Münster Erphokirche am 25. November 2018
Lange bevor die Stadt Münster im Jahre 1919 ein eigenes Orchester gründete, wurde das Musikleben organisiert durch privates Engagement der Bürgerschaft über einen sogenannten Musikverein. Noch aus dieser Zeit stammt die Tradition, daß Ende November ein grosses Chorwerk aufgeführt wurde, nach dem Namenstag der Heiligen am 22. November Cäcilienfest genannt. Da dieser Tag häufig in die Nähe des Totensonntags fiel, wurden insbesondere in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts aus diesem Anlaß geistliche Werke, auch viele Requiem-Vertonungen, aufgeführt, darunter etwa bereits im November 1964 eine Aufführung von Britten`s War Reqiem.
Diese Tradition wurde jetzt fortgesetzt, indem kurze Chorwerke von Gabriel Fauré kombiniert wurden mit der 1999 in Rom uraufgeführten Misa Tango (Tango-Messe) des argentinisch-italienischen Komponisten Luis Bacalov, dies in der Erphokirche.
Seit dem 30. September 1944 gibt es nämlich in Münster keinen Konzertsaal mehr – die Symphoniekonzerte finden im Theater statt. Dafür gibt es eine für heutige Verhältnisse zu grosse Anzahl Kirchen mit teils guter Akustik. Zu ihnen zählt die etwas abseits des Stadtzentrums gelegene Erphokirche. Sie wurde Ende der 20-er-Jahre des vorigen Jahrhunderts im historisierenden Stil der Zeit aus Werkstein als grosser Saalbau mit markantem Mittelturm und vier Flankentürmen errichtet und nach Erpho, einem Bischof von Münster im 11. Jahrhundert benannt. Seit dort kaum noch Gottesdienste stattfinden, wird die Kirche als Kulturkirche genutzt und eignete sich deshalb für das Konzert am Totensonntag.
Kurze Werke für gemischten Chor und Orchester von Gabriel Fauré wurden aufgeführt vom Konzertchor Münster – das ist der vor einigen Jahren von einem findigen GMD unbenannte Chor des Musikvereins – begleitet vom Sinfonieorchester Münster unter Leitung von Inna Batyuk, der Chordirektorin des Theaters. Zu Beginn erklang Fauré’s op. 11, die Vertonung des lateinischen Dienstag-Morgen-Gebets Consors paterni luninis, das das göttliche Licht verherrlicht, hier in der französischen Übersetzung von Jean Racine, Da konnten die Herren des Chors zu Beginn ihre p–Kultur beweisen und der gesamte Chor beim Divin Sauveur kraftvolles ff anstimmen. Es folgte als literarisches kunstvollstes Werk des Abends Fauré’s op. 12, die Vertonung von Victor Hugo’s Gedicht Les Djinns. Beschrieben wird das Erscheinen dieser arabischen Luftgeister in entsprechend angepasster Verslänge, zunächst zweisilbig, dann sich mit Herannahen der Geister jeweils um eine Silbe zusätzlich bis zu Versen von zehn Silben bei deren Zug durchs Haus, um dann beim Abziehen der Geister entsprechend die Verslänge zu verkürzen. Fauré hat das mit einem entsprechenden crescendo und decrescendo für Chor und Orchester komponiert. Dies gelang vor allem dem Chor angefangen von den kurzen Noten des pp-Beginns über die grosse dynamische und melodische Steigerung bis hin zum wieder ganz kurzen Silbengesang sehr exakt und dabei mitreissend. Geschlosssen wurde der erste Teil mit der populären und in vielfältiger Weise bearbeiteten Pavane op. 50 von Fauré , hier mit für den Chor bestimmten Text eines Robert de Montesquiou. Es geht darum, daß Liebe sich leicht in ihr Gegenteil verkehrt (On s’adore! On se hait! – Man liebt man haßt) Neben dem zwischen dem leisen Beginn, einer dynamischen Steigerung und dann wieder leisen Schluß des Chors beeindruckte hier besonders die etwas melancholische Darstellung der bekannten Melodie durch die Flöte gefolgt von Oboe und Klarinette zum piccicato der Streicher.
Auf diesen Beginn folgend hätte man vielleicht eine Aufführung von Fauré’s Requiem erwartet. Aber in seiner gewohnt unkonventionellen Programmgestaltung wählte GMD Golo Berg, der jetzt die musikalische Leitung übernahm, die Misa Tango für Mezzosopran, Bariton, Bandoneon, Chor und Orchester von Luis Bacalov. Dieser ist eigentlich mehr als Komponist von Filmmusik bekannt, etwa von Django oder Fellini’s Stadt der Frauen bis hin zur Oscar-prämierten Musik zu Der Postmann. In seiner Tango-Messe vertont Bacalov gekürzt und auf spanisch nur einzelne Sätze der Teile des katholischen Meßritus und nur solche, die alle Religionen bekennen können, die sich auf Stammvater Abraham berufen, also Judentum, Christentum und Islam. Christus wird nicht namentlich erwähnt, wenngleich er natürlich mit Lamm Gottes (Cordero de dios) gemeint ist. Er komponierte weitgehend tonal, rhythmisch etwas erinnernd an Strawinsky, in der Orchestrierung auch an Bernstein und baute im Gloria sogar in bester Kirchenmusik – Tradition ein kurzes fugiertes Zwischenspiel ein.
Zum jetzt grösseren Orchester trat für die Aufführung neben dem Konzertchor Münster wieder einstudiert von Inna Batyuk nun hinzu der Philharmonische Chor Münster einstudiert von seinem langjährigen Leiter Martin Henning. In den Solopartien glänzten mit leuchtendem Mezzosopran auch Chor und Orchester überstrahlend Judith Gennrich und mit klangvollem bis zu tiefen Tönen im Agnus dei ausdrucksvollem Bariton Filippo Bettoschi. Der Tradition des Tango entsprechend war der wichtigste Solist Stephan Langenberg am Bandoneon. Gleich nach der zu Beginn gesungenen Anrufung des Señor (Herrn) im Kyrie durch den Chor folgte ein einfühlsam gespieltes einem Rezitativ ähnelndes melancholisches Solo des Bandoneons. Ganz ergreifend klang es in Zwischenspielen mit dem Solo-Cello im Sanctus oder mit den Solo-Violinen im Agnus Dei . Auch das Klavier war mit ihm zusammen als Soloinstrument zu hören.
Schwungvoller Tango-Rhythmus im raschen Tempo gelangen Chor und Orchester dank der präzisen Leitung durch GMD Golo Berg vor allem im Gloria und im Credo. Dynamisch abwechslungsreich in Lautstärke von ganz leise bis hin zu gewaltigem ff klangen im Chor die häufig wiederholten Santo (heilig) – Rufe. Es war bewundernswert, wie sicher (Liebhaber-) Chor und Orchester, einmal auch der Chor allein, den für sie nicht alltäglichen Rhythmus perfekt im Zusammenspiel bewältigten. Als das Werk mit der Bitte um Frieden (da nos la paz) ganz unerwartet mit einem ganz traditionellen Akkord schloß, brauchte das Publikum in der völlig ausverkauften Kirche einen Moment der Besinnung, bis grosser Beifall und Bravos einsetzten, so stark und andauernd, daß Golo Berg zum Dank das Gloria mit Chor und allen Solisten in raschem und schwungvollem Tempo wiederholen liess. So endete der Abend mit dem Ausruf Rey celestial (Himmelskönig) quasi himmelhoch-jauchzend!.
Sigi Brockmann 26. November 2018
Bilder (c) A. Zinnkant / Der Opernfreund Brockmann
PS. Bei der Deutschen Grammophon gibt es eine CD der Misa-Tango in der Besetzung der Uraufführung zusammen mit weiteren Werken von Astor Piazolla