DVD: „Le Nozze di Figaro“, Wolfgang Amadeus Mozart

Bei dem Label C-major ist ein im Jahre 2023 an der Wiener Staatsoper entstandener Live-Mitschnitt von Mozarts Le Nozze di Figaro auf DVD erschienen. Nun könnte man sich fragen, was noch ein Figaro soll, gibt es nicht schon genug davon auf DVD? Erst vor kurzem wurde der Salzburger Mitschnitt dieser Oper auf DVD gebannt. Indes ist die Regie von Barrie Kosky, dem Rufus Didwiszus (Bühnenbild) und Victoria Behr (Kostüme) erfolgreich zur Seite stehen, schon ein gewichtiger Grund für diese Veröffentlichung. Die Inszenierung gerät zu einem echten Paukenschlag. Sie hält sowohl für modern als auch für konventionell eingestellte Gemüter einiges bereit, was ein interessantes Gemisch verschiedener Stile ergibt. Wer es altmodisch will, wird sich sicher an dem spätbarocken Rokoko-Stil des gräflichen Palastes erfreuen. Wer dagegen das Zeitgenössische liebt, wird sich im ersten Akt mit der kühlen Wand, die drei Türen aufweist, nicht schwer tun. Der vierte Akt spielt auf einer schiefen Ebene. Die Auf- und Abgänge erfolgen hier durch Bodenluken.  In diesem wechselnden Ambiente betont Kosky die gesellschaftliche Sprengkraft der Oper (vgl. Booklet). Der politische Aspekt des Ganzen wird von ihm trefflich herausgearbeitet und geschickt in den großen Gesamtzusammenhang gestellt. Gekonnt werden die sozialen Abhängigkeiten der Handlungsträger voneinander aufgezeigt, wobei der Regisseur auch einen gehörigen Schuss Psychologie in seine Interpretation einfließen lässt. Das verleiht seinem Konzept einen überzeugenden geistigen Überbau.

Insgesamt gibt Kosky dem Affen ganz schön Zucker. Er inszeniert flott, zügig und mit einem ausgeprägten Drive. Seine Personenregie ist ausgesprochen abwechslungsreich und lebendig, ja geradezu funkensprühend. Langweilig wird es wahrlich an keiner Stelle. Die zahlreichen heiteren Stellen wechseln mit durchaus tragischen Szenen ab. Dabei scheint Kosky insbesondere die Contessa d`Almaviva zu interessieren. Die Szenen einer Ehe, mit denen er aufwartet, sind sehr berührend. Die Ehe des Grafenpaares d`Almaviva ist zerrüttet. Dennoch kommt es im zweiten Akt fast zu einer Vergewaltigung in der Ehe. Am Ende des dritten Aktes wird deutlich, dass sich der Graf und seine Rosina eigentlich nichts mehr zu sagen haben. Die Contessa leidet unter dieser Situation und bleibt allein zurück. Traurig wirft die abgehende Susanna noch einmal einen Blick auf sie. Erst zum Schluss, als d`Almaviva seine Frau um Verzeihung bittet, nimmt die Ehe des Paares einen erneuten Aufschwung. Dass die Komödie Figaros in Wahrheit die Tragödie Rosinas ist, darüber ist sich Barrie Kosky voll im Klaren. Und gerade mit diesem Aspekt vermag er besonders gut umzugehen. Lustiges und Tragisches reichen sich in seiner Interpretation einfühlsam die Hand und gehen eine treffliche Verbindung ein. Dieser Regisseur ist zweifellos ein Meister seines Fachs, dessen großes Können unbestreitbar ist.

Im Graben animiert Philippe Jordan das hervorragend disponierte Orchester der Wiener Staatsoper zu einem munter dahinfließenden, frischen und aufgeweckten Spiel von großer Eleganz und Intensität. Zudem ist sich Jordan nicht zu schade, die Rezitative am Pianoforte selbst zu begleiten. Auch letzteres gelingt ihm vorbildlich.

Insgesamt beachtlich sind die gesanglichen Leistungen. An dem Abend, als die hier festgehaltene Aufführung aufgezeichnet wurde, hatte an der Wiener Staatsoper der Krankheitsteufel zugeschlagen und die Sängerin der Susanna eiskalt erwischt. Das ist der Grund, warum auf dieser DVD Ying Fang diese Rolle nur beherzt spielt, während Maria Nazarova mit gut gestütztem, silbern schimmerndem Sopran aus dem Orchestergraben hervorragend singt. Sauber fundiertes, helles und geschmeidiges Stimmmaterial bringt Peter Kellner in die Partie des Figaro ein, die er auch ausgelassen spielt. André Shuen besticht als Conte d`Almaviva mit einem dunkel timbrierten, prachtvoll italienisch fokussierten und ebenmäßig dahinfliessenden Bariton, der zudem eine sichere Höhe aufweist. Darstellerisch bringt Hanna-Elisabeth Müller die Tragik der Contessa bestens zum Ausdruck. Vokal wartet sie mit einem prachtvollen, elegant geführten jugendlich-dramatischen Sopran auf, den sie nuancenreich einzusetzen weiß. In der Rolle des von Kosky als genderfluide Künstlerpersönlichkeit gedeuteten Cherubino (vgl. Booklet) überzeugt die saft- und kraftvoll singende Patricia Nolz. Sonores Bass-Material bringt Stefan Cerny für den Don Bartolo mit. Neben ihm überzeugt mit lebhaftem Spiel und perfektem Gesang die Marcellina von Stephanie Houtzeel. Schön im Körper singt Johanna Wallroth die Barbarina. Über eine profunde Bass-Stimme verfügt Wolfgang Bankls Antonio. Lediglich mittelmäßige Leistungen erbringen Josh Lovell (Don Basilio) und Andrea Giovannini (Don Curzio) mit ihren etwas flachen Tenören. Gut präsentiert sich der von Martin Schebesta einstudierte Chor der Wiener Staatsoper.

Ludwig Steinbach, 14. Oktober 2025


DVD: Le Nozze di Figaro
Wolfgang Amadeus Mozart

Wiener Staatsoper
Inszenierung: Barrie Kosky
Musikalische Leitung: Philippe Jordan

C-major
Best.Nr.: 769808
2 DVDs