Berlin: „Die schweigsame Frau“, Richard Strauss (zweite Besprechung)

Keineswegs das Ereignis, als das es angekündigt wurde

Für Richard Strauss, auf die Siebzig zugehend, war es ein Glücksfall, als zu Beginn der 1930er Jahre der renommierte Schriftsteller Stefan Zweig sich als sein neuer Librettist empfahl. In wechselseitig inspirierender Zusammenarbeit schufen sie nach einer Komödie von Ben Jonson aus der Shakespeare-Zeit eine wahrhaft „komische Oper“ voller markanter Charaktere, Tempo und Witz, aber auch von großer Nachdenklichkeit. Die Komposition begann 1932, im Januar 1933 überreichte Zweig den letzten Teil seines Librettos, welches Strauss selbstbewusst als „das beste Libretto für eine Opera comique seit Figaro“ bezeichnete und welches er ohne jegliche Änderungswünsche vertonte. „Die Oper ist ein Volltreffer, wenn vielleicht erst im 21. Jahrhundert“, so Strauss.

Die Uraufführung am 24. Juni 1935 – dirigiert von Karl Böhm, gesungen von Maria Cebotari und Kurt Böhme in den Hauptpartien, der fulminanten Erna Sack als Isotta, – war ein großer Erfolg beim Publikum. Doch das Stück wurde bereits nach wenigen Aufführungen abgesetzt. Aufgrund des jüdischen Librettisten (von dem sich Strauss nie distanzierte) war es den Nazis, die der Premiere demonstrativ fernblieben, ein Dorn im Auge.

© Bernd Uhlig

Abfällig äußerten sich die Kritiken oft über das „tönende Flachrelief“ (Ulrich Schreiber) der „Schweigsamen Frau“. Der Komponist gab freimütig zu, dass ihm das Komponieren nicht mehr mit der Leichtigkeit früherer Jahre von der Hand ging. An die großen Erfolge seiner früheren Opern konnte er mit der „Schweigsamen Frau“, seiner elften Oper, nicht anknüpfen. Bis heute wird das Stück nur selten aufgeführt.

Manchem dürfte die Handlung bekannt vorkommen. Sie erinnert stark an den Don Pasquale. Das ist indes nicht weiter verwunderlich, denn Strauss‘ Oper und Donizettis Werk gehen beide auf dieselbe Vorlage zurück, nämlich Ben Jonsons „Epicoene or the silent woman“. Das Ende ist in der Oper allerdings anders als in „Epicoene“. Dort entpuppt sich die schweigsame Frau schließlich als Mann, bei Strauss dagegen ist und bleibt sie die Frau Aminta.

Philipp Gloger inszeniert sein Debüt am Haus, und er tut es sehr plakativ. Er vertraut der Komödie Ben Johnsons nicht und inszeniert das Stück, das bisher noch nie an der Berliner Staatsoper zu sehen war, im Hier und Heute und verblödelt es zur Klamotte, zur quietschbunten, ja karnevalesken Maskerade schräger, verrückter Berliner Typen.

Schon zu Beginn wird auf der Leinwand das Thema Wohnungsnot mit Immobilien-Anzeigen (und den horrenden Mietpreisen) angedeutet. Die Handlung spielt in einer imposanten, großbürgerlichen, allerdings spießig eingerichteten Berliner Altbauwohnung, deren Zimmer hin- und hergeschoben werden können (Bühne: Ben Baur), eine Wohnung, die den Anzeigen nach unbezahlbar sein dürfte. Darin haust – etwas vertrottelt – ein kauzig-knorziger, wohlhabender, aber einsamer und extrem geräuschempfindlicher alter Mann, der den Lärm der Welt nicht ertragen kann und sich nach Ruhe sehnt, der ehemalige Kapitän Sir Morosus. Peter Rose gibt ihn kraftlos und ohne Bass-Autorität. Er ist umgeben von seiner keifenden Haushälterin (Iris Vermillion). Ihm wird von seinem gewitzten Barbier Schneiderbart (sehr anständig der Bariton Samuel Haselhorn) und seinem plötzlich auftretenden Neffen Henry (dem in Sprachdiktion und glanzvoller Stimme brillanten südafrikanischen Tenor Siyabonga Maqungo, er ist seit der Spielzeit 2020/21 Ensemblemitglied der Staatsoper Unter den Linden und der eigentliche Lichtblick der Aufführung) in einer Scheinehe eine angeblich schüchterne junge Frau untergejubelt. Sie wird von der amerikanische Sopranistin Brenda Rae gesungen, bleibt allerdings unter den stimmlichen Erwartungen, die in sie gesetzt wurden. Sie soll Sir Morosus kurieren, entpuppt sich aber als lärmende, bösartige Xanthippe, die Morosus Mores lehrt. Übrigens lassen Wortverständlichkeit und Parlando-Kunst im gesamten Ensemble zu wünschen übrig.

© Bernd Uhlig

Im letzten Akt wird die Maskerade zur Freude von Sir Morosus aufgelöst und aufgeklärt. Er kann nunmehr darüber lachen, wie ihm mitgespielt wurde, gibt Henry seine Aminta (sie sind längst ein Liebespaar) zur Frau und macht ihn zum Erben. „Wie wunderbar, ist doch eine junge, schweigsame Frau, aber wie wunderbar erst, wenn sie die Frau eines anderen bleibt!“ Lieber einsam als unglücklich verheiratet. Gloger weiß es besser: Mit einem Kommentar aus dem Statistischen Bundesamt (auf den Zwischenvorhang projiziert) belehrt er das Publikum: „Einsamkeit ist die größte Volkskrankheit“. Zudem seien viele Sätze im Libretto von Stefan Zweig, so Gloger, derart frauenfeindlich, dass er gar eine Macho-feindliche Frauenrechts-Demonstration auf offener Bühne anzettelt. Aller Sinn für feinen Humor (das Stück ist schließlich eine Komödie, und keine schlechte) geht ihm ab, dafür überhäuft er seine banale Inszenierung mit Klischees, etwa rosaroten Kissen, Blumen und Bettwäsche, der Priester wird zur Elvis-Karikatur aufgepoppt, immer wieder wird in dieser Spaßparty getwistet. Mehrere Personen greifen zum Mikrofon, aber auch Scheinwerfer, Pailletten und Perücken sind opportun in dieser veralberten Verkleidungskomödie, deren feiner Text von Stefan Zweig sich mit der Aktualisierung nicht selten beißt. Schade.

Schon seit Jahren hatte Christian Thielemann davon geträumt, „Die schweigsame Frau“ zu dirigieren. Diesen Wunsch erfüllt sich der neue Staatsopern-Maestro nun mit seiner ersten eigenen Neuproduktion am Opernhaus Unter den Linden. Er dirigiert das Werk allerdings wie ein stauendes Kind mit großen Augen und gibt zu, dass die Partitur mit ihrer freien Tonalität, den vielen Sprüngen und der Länge des Stücks eine Herausforderung sei.„Strauss verwöhnt uns hier nicht mit großen Melodien. Er wollte einfach zeigen, dass er auch anders kann.“ Thielemann dirigiert das anspruchsvolle Werk (das er als das „kompositorisch avancierteste Werk in Strauss‘ gesamten Opernschaffen“ bezeichnet, was man anzweifeln darf) mit den Strichen, die schon Richard Strauss machte. Dennoch wird der Abend lang, und er ist langweilig, trotz der hervorragenden Verfassung der Staatspelle Berlin. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Thielemann zwar viele „schöne“ Stellen der Musik brillant auszuleuchten weißt, aber er sie isoliert nebeneinanderstellt, ohne Spannung aufzubauen, entweder zu leise, zu langsam oder zu laut, ein Nebeneinander von süßlicher Sentimentalität und brutalen Klangballungen, und das im Hochformat. Viele Extreme, viel Unruhe, viel Krach. Man kann den Worten des Sir Morosus nur zustimmen: „Wie schön ist doch die Musik – aber wie schön erst, wenn sie vorbei ist!“

Dieter David Scholz, 23. Juli 2025


Die Schweigsame Frau
Komische Oper in drei Aufzügen (1935)
Musik von Richard Strauss
Text von Stefan Zweig nach Ben Jonson

Staatsoper unter den Linden, Berlin

Gesehene Aufführung: 22. Juli 2025
Premiere: 19. Juli 2025

Inszenierung: Jan Philip Gloger
Musikalische Leitung: Christian Thielemann

Staatskapelle Berlin

Weitere Termine: 24. Juli 2025, Wiederaufnahme ab 9. Mai 2026