Gießen: „L’elisir d’amore“, Gaetano Donizetti

Das Stadttheater Gießen hat eine sichere Hand bei der Produktion von musikalischen Komödien. In der vergangenen Saison brachte es zu Beginn die herzerfrischende zeitgenössische Komische Oper Ich, ich, ich! heraus und beendete die Spielzeit mit der gewitzten deutschen Erstaufführung von Gershwins Wintergreen for President (die empfehlenswerte Produktion wird übrigens ab dem 11. Oktober wiederaufgenommen). Nun hat man sich mit Donizettis Liebestrank für einen Repertoireklassiker entschieden. Wieder ist eine spritzige Inszenierung geglückt, die nach zweieinhalb äußerst kurzweiligen Stunden ein gut gelauntes Publikum in die Nacht entläßt.

© Lena Bils

Sehr gelungen sind bereits Bühnenbild und Kostüme von Nathalie Himpel. Prägend ist dabei ein karminrot-weißes Rautenmuster, mit dem der Bühnenboden und ein Teil der Kulissenwände versehen sind. Ebenfalls ziert dieses Muster als Saum, Kragen oder Stola die ansonsten in weiß gehaltenen Kostüme der Volksmenge. Das sieht nicht nur gut aus, sondern ist eine Reverenz an die Tradition der Commedia dell’arte, mit deren Stereotypen das Libretto spielt. Kostüme des Harlekins als wichtiger Commedia-Figur nämlich sind typischerweise mit einem farbigen Rautenmuster versehen. Deutlich abgehoben davon sind die Uniformen der Soldaten. In der Form lehnen sie sich an französische Vorbilder aus der Entstehungszeit der Oper (1832) an. Frack und Tschako (Kopfbedeckung) sind mit Dalmatiner-artigen schwarzen Flecken auf weißem Grund versehen. Dieses Muster findet sich auch auf den spielzeugartigen Waffen, einem Schwert und Gewehren, wieder – eine gewitzte Militärparodie.

Für eine abwechslungsreiche Belebung der Szenen des ersten Aktes sorgen quer über die Bühne gezogene Leinen, an denen Wäsche zum Trocknen hängt. Es ist erstaunlich, welche Bandbreite an Aktionsmöglichkeiten Regisseurin Tamara Heimbrock den schlichten Requisiten – Wäsche, Leinen, Klammern, Körbe – abgewinnt. Sie versteht ihr Handwerk, setzt bekannte Stilmittel wie etwa das Einfrieren von Bewegungen punktgenau ein und würzt alles mit einer Prise Slapstick – gerade so viel, daß die Szenen nie in Klamauk umkippen. Das ungemein agile Ensemble setzt die locker-gewitzte Inszenierung mit großer Spielfreude um.

© Lena Bils

An der Spitze steht hier Ferdinand Keller als Nemorino, den die Kostümbildnerin in einen gestreiften Anzug gesteckt hat. Kellers enorme darstellerische Intensität konnte man in Gießen bereits bei seinem Auftritt als Madwoman in Curlew River bestaunen, seine Wandelbarkeit und seine komische Seite in Ich, ich, ich!. Nun erweist er sich als Erzkomödiant. Wie er die Figur des unglücklich Liebenden mit Mimik, Blicken, Gesten, Körperhaltung, ja in jeder Bewegung auf die Bühne bringt, ist phänomenal. Angesichts seiner bezwingenden Rollengestaltung und seiner enormen Bühnenpräsenz sieht man gerne darüber hinweg, daß sein Tenor nicht den herkömmlichen Erwartungen an das Stimmfach für einen Nemorino entspricht. Zu hören ist kein strahlender „italienischer“ Tenor, sondern eine in der Mittellage leicht herb timbrierte Stimme, die in der Höhe an Farbe gewinnt, ohne großen Schmelz zu entfalten. Keller versteht es aber, sein Material gestalterisch klug einzusetzen, so daß die sing-schauspielerische Gesamtleistung vollkommen überzeugt. Zur Wunschkonzertarie „Una furtiva lagrima“ läßt das Produktionsteam einen Glühbirnen-Sternenhimmel heruntergleiten und aus dem Bühnenboden eine leibhaftige Harfenistin zur Begleitung herauffahren, so daß dieser Moment mit einer Prise Kitsch vom dankbaren Publikum ungebrochen genossen werden kann.

Auch Clarke Ruth weiß sein Talent für Komik in der Rolle des Quacksalbers Dulcamara auszuspielen. Die Kostümbildnerin hat ihn in einen mit Blumenmustern bunt herausstechenden Anzug gesteckt und mit einer magentafarbigen Perücke samt Zwirbelschnurrbart ausstaffiert. Ein Theatercoup ist sein erster Auftritt, bei dem er im Korb eines Heißluftballons aus dem Schnürboden hereinschwebt. Die Partie liegt für seinen kernigen Baßbariton in einer bequemen Lage. Ruth spielt den Buffo-Charakter seiner Figur lustvoll aus und gibt dem Affen immer wieder Zucker.

© Lena Bils

Ilya Lapich gibt mit Hingabe den Belcore als aufgeblasene Soldatenhauptmannkarikatur und gefällt mit virilem Bariton.
Ob es dem Libretto immanent ist, daß vor allem die Männer in diesem Stück als Witzfiguren erscheinen, oder ob dies an einem spezifisch weiblichen Regie-Blick liegt? Jedenfalls wirken Julia Araújo als Adina und Sora Winkler als Giannetta neben dem unbeholfenen Nemorino, dem aufgeblasenen Belcore und dem durchtriebenen Dulcamara wie Repräsentantinnen eines überlegenen und patenteren Geschlechts. Julia Araújo darf dabei einmal mehr ihre Kompetenz im Belcanto unter Beweis stellen mit einem frischen Timbre und mühelosen Koloraturen.

Das quirlige Treiben auf der Bühne bekommt seine adäquate Unterstützung aus dem Orchestergraben. Jan Croonenbroeck hält seine Musiker zum zugleich lockeren wie präzisen Spiel an, wählt überwiegend flotte Tempi und ist den Sängern ein verläßlicher Begleiter. Ein origineller Einfall ist es, die wenigen Secco-Rezitative statt von einem Klavier von einem Akkordeon begleiten zu lassen. Alexander Pankow schlüpft dafür in die Rolle eines Straßenmusikers und agiert gemeinsam mit den Darstellern auf der Bühne.

Der von Moritz Laurer vorbereitete Chor fügt sich nahtlos in das runde Gesamtbild und überzeugt mit vollem, homogenem Klang. Zudem erweisen sich die Sänger auch als darstellerisch agil.

Der Saisonauftakt in der Musiktheatersparte ist dem Stadttheater Gießen mit dieser unverkrampft lockeren und ebenso werkadäquaten wie einfallsreichen Produktion überzeugend gelungen. Die Stammkräfte auf der Bühne wie im Orchestergraben präsentieren ihre musikalischen Qualitäten, so daß dem Publikum ein ungetrübtes Vergnügen geboten wird.

Michael Demel, 6. Oktober 2025


L‘elisir d’amore (Der Liebestrank)
Melodramma giocoso von Gaetano Donizetti

Stadttheater Gießen

Premiere am 4. Oktober 2025

Inszenierung: Tamara Heimbrock
Musikalische Leitung: Jan Croonenbroeck
Philharmonisches Orchester Gießen