Besuchte Aufführung am 23.01.20 (Premiere am 16.11.19)
Unterhaltung ist Trumpf
An großen Häusern, wie der Staatsoper Hannover, ist die Operette oft ein Stiefkind, doch in Hannover hat es sich eingebürgert, das man dem Publikum jede Saison eine Unterhaltungsproduktion beschert, ein Jahr ein Musical, ein Jahr eine Operette, was die Zuschauer auch begeistert annehmen. Auch die neue Opernleitung hält klugerweise daran fest und hat in ihrer ersten Saison auf eine mutige Rarität gesetzt und, es sei vorweggenommen, auf ganzer Linie gewonnen. Paul Abrahams Operetten erleben in den letzten Jahren eine erfreuliche Renaissance, nachdem "Viktoria und ihr Husar" und "Die Blume von Hawai" endlich rekonstruierte Versionen erlebten, die die sämigen Nachkriegsfassungen in die flotten Orginale veränderten. Hatte auch das relativ unbekannte "Ball im Savoy" über die Komische Oper Berlin den Weg in die Theater gefunden und taucht immer wieder in den Spielplänen auf. Der dortige Intendant, Barrie Kosky, setzt sich verstärkt für das Werk Abrahams ein und lässt als semikonzertante Aufführungen die Deutschen Erstaufführungen der Emigrationswerke, so 2018 "Märchen im Grand Hotel" und 2019 "Dschainah- das Mädchen vom Tanzhaus", aufführen. Semikonzertant bedeutet, die Musik über handlungserläuternde Sprechertexte. Das "Märchen im Grand Hotel" schien mir damals schon als besonders aufführenswert, so erfolgte am Staatstheater Mainz die erste (erfolgreiche) szenische Erprobung, in Hannover jetzt die zweite.
Die Handlung setzt sich aus zwei kurzen Rahmenakten in Hollywood und der Haupthandlung im Grand Hotel in Cannes zusammen. Filmproduzent MacIntosh hat Probleme, die seine Tochter Marylou als emanzipierte Frau lösen wird; sie begibt sich nach Cannes , wo sie auf exilierte europäische Aristokraten trifft. Die vertriebene spanische Infantin Isabella ist eigentlich mit dem österreichischen Prinzen Andreas Stephan verlobt; dahinein turbuliert sich der als Kellner inkognito arbeitende Hotelerbe (Finanzadel!) Albert und schnappt sich schließlich die verarmte Infantin, die zum Schluss in Hollywood Filmkönigin wird, ebenso wie die kesse Marylou den Prinzenboy. Dazwischen natürlich jede Menge Verwicklungen bis zum Slapstick von den großartigen Librettistenkönnern Alfred Grünwald und Fritz Löhner-Beda mit viel Witz und Grazie geformt, da kann wirklich viel gelacht werden. Abrahams Musik wirkt in seinem Emigrationsstück (Wien 1934) etwas anders , als in seinen drei großen Berliner Erfolgsoperetten. Nicht ganz so aufpoliert ohrwurmträchtig, sondern etwas melancholisch verschatteter, vor allem was die vertriebene Infantin betrifft; das ist jetzt durchaus mein ganz subjektiver Eindruck.
Natürlich reicht ein gutes Stück allein nicht zum Erfolg, sondern die gekonnte Umsetzung, die in Hannover wirklich in den allerbesten Händen lag. Stefan Huber hatte im letzten Jahr schon in Nürnberg "Ball im Savoy" und an der Komischen Oper Berlin "Roxy und ihr Wunderteam" von Paul Abraham zum Erfolg geführt und bringt an der Leine einen veritablen Kracher auf die Bühne, der zu ausverkauften Vorstellungen führt. Spritzige Dialoge, tolle Choreographien und eine klasse Ausstattung sind neben der professionellen musikalischen Umsetz Garant dafür. Timo Dentler und Okarina Peter gestalten schon die Reise von Hollywood nach Cannes und zurück zu einem echten Coup, die drei rotierenden Hoteltüren auf der Drehbühne geben immer wieder schnell kleine, verwandelbare Spielräume frei, in denen sich die Handlung und Musiknummern in schönen Dreissiger-Jahre-Kostümen von Heike Seidler abspielt. Das besondere Bonbon sind allerdings die wunderbaren Choreographien von Andrea Danae Kingston mit ihrem hohen Stepanteil, die von den Solisten und acht Tänzern, die den ganzen Chor und fast alle Staffage ersetzen, ganz großes Kino, wie man es an Deutschen Theatern nicht oft erleben darf. Die Solisten sind eine gelungene Mischung aus Mitgliedern des Opernensembles und ausgewählten Musicaldarstellern, natürlich wird Sprache und Gesang vom Mikroport verstärkt, was in Hannover auf technisch gelungene Weise geschieht.
Valentina Inzko Fink befeuert als Marylou die Handlung unter den Adligen, was so ein bißchen an den Dichter in Rossinis "DerTürke in Italien" erinnert, mit keckem Charme gibt sie einen echten "Flapper" der Zwanziger Jahre. Ihr gegenüber die elitäre, mondäne Infantin Isabella von Mercedes Arcuri mit den weit ausschwingenden Melodiebögen auf fast opernhafte Art gesungen. Sie muß natürlich dem Herzenbrecher Albert verfallen; Alexander von Hugo erinnert mit jungenhaft dreistem Witz an Peter Alexander als Rößl-Leopold, seine Solostep-Nummer gehört eindeutig zu den Höhepunkten des Abends. An diesen drei Hauptdarstellern entzündet sich die Vorstellung und wird vom vortrefflichen Ensemble darumherum prima unterstützt: Carmen Fugiss als schräge Gräfin Inez de Ramirez und der irgendwie niedlich Prinz Andreas Stephan von Philipp Kapeller an erster Stelle, Daniel Eggert als Großfürst Paul, Ansgar Schäfer in Doppelrolle und Frank Schneiders als elegant gediegener Hotelier-Papa, ebenso wie Henrike Stark als Sekretärin Mabel und Andreas Zaron als Matard/Barry. Und natürlich die vielseitigen Tänzer in ihren verschiedenen Auftritten.
Carlos Vazques gelingt mit dem gutgelaunten Niedersächsischen Staatsorchester Hannover genau der richtige "Sound" zwischen später europäischer Operette und frühem Broadway-Musical. Eine Vorstellung, die in ihren sämtlichen Komponenten stimmig ist und glücklich macht. Bitte rechtzeitig um Karten kümmern, denn selbst die Aufführungen innerhalb der Woche sind so gut wie ausverkauft.
Martin Freitag, 5.2.2020