Nürnberg: „Macbeth“, Giuseppe Verdi

© Bettina Stöß

Obwohl die Oper eine Oper „senza amore“ ist, feierte sie schon bei der Premiere einen Sensationserfolg. 38 Vorhänge, das wollte etwas besagen. Zwar war Macbeth nicht die erste Oper ohne ein Liebespaar, es sei denn, man verstünde die beiden Titelfiguren als ein Paar, das einer seltsamen amour fou verpflichtet ist. Doch mag die Außergewöhnlichkeit des Macbeth, die neunte Oper Giuseppe Verdis, auch heute noch auf ein Publikum zu wirken, in dem – wir sind in Nürnberg, nicht in Bayreuth – auch relativ viele junge Leute sitzen. Zwar liegt deren Aufmerksamkeit nicht durchgehend auf dem Wesentlichen, man küsst sich halt auch gern und checkt mitunter die neuesten WhattsApp-Eingänge, doch soll man nicht meckern. Macbeth ist, auch in Nürnberg, eines jener Werke, die die meisten, auch die jugendlichen Besucher schließlich zum Hinschauen und -hören geradezu verdammen – und dafür sorgen, dass sie vielleicht auch eine nächste Oper besuchen.

Dass Macbeth in Nürnberg im Vergleich zu den „normalen“ Opern der 1840er Jahre ein ungewöhnlich raues und dramatisch konzentriertes Musikdrama, wenn auch nicht im Sinne Wagners, ist: dafür sorgt an der Pegnitz zunächst das Orchester. Sitzt man auf einem Randplatz in einer der vorderen Reihen, hört man die Holzbläser, unter ihnen das helle Englischhorn und die dunkle Bassklarinette, besonders gut heraus; sie geben gleichsam die klanglichen I-Tüpfelchen auf den Akzenten, mit denen eine Hexen- oder Schlafwandelszene gestaltet wird.

© Bettina Stöß

Die Frankfurter Macbeth-Aufführung überraschte erst kürzlich durch eine unfassbar genaue und delikate Durchformung der Partitur; in Nürnberg spielt man unter dem GMD Roland Böer die Pariser Fassung mit dem Florentiner Urfassungs-Schluss (also der nihilistischen Abschiedsrede des Macbeth) nicht besser oder schlechter, sondern – das macht die Akustik des Hauses, in dem ein forte zu einem fortissimo wird – wesentlich direkter, den Klang verschmelzender. Kateryna Sokolova, eine junge, seit 2012 inszenierende Regisseurin, setzt der Direktheit der musikalischen Attacke nun eine szenische Verschlüsselung entgegen, die ganz ins Innere zu gehen scheint. Nach ihrer Lesart gibt es nicht nur ein Alter Ego des Macbeth. Nach ihrer Interpretation sind auch die sogenannten Hexen Teile jener Innenwelt, in denen sich der Usurpator wiedererkennt. Kein Wunder: Macbeth ist ein Typ, der, sich in permanenten Monologen befragend, nur in der Lady ein Gegenüber findet, die ihm keine wirkliche Partnerin ist – es sei denn, im mörderischen Bestreben, zu so etwas wie Macht zu gelangen. Also tritt schon im Preludio mit Sebastian Eilers eine oft herumtänzelnde Figur auf, die Macbeth bis zu seinem Tod treu bleiben wird: seine Gedanken, seine Hoffnungen, seine Ängste, ein Spielmacher, Clown und todtrauriges Subjekt. Also erscheinen die in zweierlei Sinne uniform gekleideten, auch schottisch karierten „Hexen“ als Macbeth’ „Spiegelbilder“. Das hat großen szenischen Reiz, nimmt den fantastischen Gestalten nichts von ihrer Andersartigkeit – und bagatellisiert doch ein wenig die Verbrechen, die, folgt man Sokolova, eher in Macbeth’ Psyche als in der äußeren, blutigen Realität zu geschehen scheinen; dass kein Kunstblut verspritzt wird, muss der Opernfreund nicht bedauern. Innen ist eben nicht gleich Außen, die Sphären vermischen sich auf eine Weise, die uns darüber im Unklaren lässt, was wirklich, was unwirklich ist. Im Fall des Macbeth läuft’s auf eine leicht ästhetizistische Deutung eines durchaus brutalen Sujets hinaus. Und doch besitzt der Abend eine bannende Kraft, die auch vom kalten Licht, einer Steigerung des normalen Nürnberger Arbeitslichts, das für viele Produktionen typisch ist, nicht gebrochen wird (ein Dank an Sebastian Alphons, dem Leiter der Beleuchtungsabteilung der Oper Graz, mit der zusammen Nürnberg in Sachen Macbeth kooperierte). Ein Licht wie von Baustellenscheinwerfern, wie eine Opernfreundin am Abend bemerkte – es ist das Licht einer „finsteren“ Nacht („finster“ war das Hauptwort, mit dem Verdi seinen Macbeth charakterisierte), die im grauen, von Nikolaus Webern entworfenen Gefängnis herrscht, dessen Spielraum von unregelmäßigen Staketenwänden und einer seltsam sinnlosen Treppe begrenzt wird.

Und wie singt man in dieser seltsam realen wie zugleich irrealen Zone? Hinreißend. Sangmin Lee ist ein betont schön und kräftig-warm aussingender Bariton: eine Figur, die spätestens dann verrückt wird, wenn sie in der Festszene den Mantel des plötzlich unsichtbaren Banco in der Hand hält. In den inneren Welten ist es leicht, sich selbst und anderen abhanden zu kommen; die Lady wird später hinter einer Wand verschwinden. Die Könige tauchen in der Gespensterszene eh nur in Projektionen auf, aber ein kleiner Junge läuft und spielt sich als szenisches Leitmotiv durch die Oper. Die Lady singt wie eine Lady, Emily Newton muss nicht wie die Tadolini auftreten, von der der Komponist verlangte, dass sie möglichst hässlich bringen möge. Im Gegenteil: Sie ist mit ihrer gleichsam edel und kontrolliert artikulierenden, gelind metallischen Stimme eine Grande Dame, die allerdings ihren zerklüfteten Abschiedsnachtgesang charakteristisch gestaltet. Zu Macbeth passt in idealer Weise der Banco: Seokjun Kim verfügt über einen prachtvollen Bass, in dem sich Sinn und Sinnlichkeit wunderbar verbinden. Hans Kittelmann singt einen rauen Macduff, der jugendliche Tenor Sergei Nikolaev darf in der kleinen Rolle, mit einer patrotisch-empfindsamen, aber nicht präpotenten Arietta, als Malcolm glänzen. Nb: Die Inszenierung und Nikolaev beweisen, dass dieses kleine Stück, das gelegentlich wie eine unpassende Koffer-Arie wirkt, seinen guten dramaturgischen Platz im Ganzen des Macbeth besitzt, wenn man sie nicht als show stopper macht.

© Bettina Stöß

Gut auch der Arzt des Wonyong Kang – und die Kammerfrau der Lady. Laura Hilden, man sollte sich diesen Namen aus dem Internationalen Opernstudio merken, und dies nicht allein deshalb, weil ihr die Regisseurin so etwas wie eine Hauptnebenrolle gab. Die labile Kammerfrau steht, man sieht’s mit Spannung, in einer durchaus stressigen Beziehung zur Lady und leidet, am linken Bühnenrand sitzend, durchaus an den Zuständen im Hause Macbeth. Wer möchte schon einen verrückt werdenden Chef und eine hysterische Chefin haben? Sie hat übrigens eine Entsprechung im „Hexen“-Chor. Dort gibt es eine gleichfalls separate Figur, die sich, am rechten Bühnenrand sitzend, dem Grauen entziehen möchte – einem Grauen, in dem die Mörder Regenschirme tragen und einen Knaben mit Lutscheis locken wollen. Der Chor des Nürnberger Staatstheaters macht das, unter Tarmo Vaask, wieder hinreißend stimmstark und -schön.

Schön? Kann, ja soll ein Macbeth „schön“ sein? Verdi hätte sich dagegen verwahrt – aber im Licht der gegenwärtigen Opernästhetik bietet der neue Nürnberger Macbeth tatsächlich ein schönes, weil spannendes und psychologisch aufgeladenes, zwischen Traum und Wirklichkeit, seelischer (un-)Logik und „terror“ changierendes Theater mit starken Stimmen, denen man gern zuhört.

Die Oper „senza amore“ kam also auch bei den sich busselnden jungen Leuten gut an.

Frank Piontek, 4. März 2025


Macbeth
Giuseppe Verdi

Staatstheater Nürnberg

Besuchte Vorstellung: 2. März 2025
Premiere am 22. Februar 2025

Inszenierung: Kateryna Sokolova
Musikalische Leitung: Roland Böer
Orchester des Staatstheaters Nürnberg