Passau: „La Wally“

Premiere: 17.12.2016, besuchte Vorstellung: 07.01.2017

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Liebe zwischen Schnee und Eis

Lieber Opernfreund-Freund,

in diesem Jahr jährt sich die Uraufführung von Alfredo Catalanis "La Wally" zum 125. Mal und das mag der Grund sein, warum das ansonsten seltsamerweise kaum gespielte Werk gleich an mehreren europäischen Häusern gegeben wird. Im Februar zeigen Modena, Piacenza und Reggio Emilia eine Koproduktion der an den "Geierwally"-Roman von Wilhelmine von Hillern angelehnten Oper und im März folgt die Premiere an der Wiener Volksoper. Doch so weit muss der Opernraritätenjäger gar nicht die Donau hinab reisen. Auch in Passau wird das Werk gezeigt, das weit mehr ist als ein Oper gewordener Heimatfilm. So kalt wie die eisige Bergwelt, in die sich Wally flüchtet, ist auch die Gemeinschaft der Bergbewohner der reich gewordenenen Außenseiterin gegenüber und wird vielleicht auch Wallys Herz nach der Unterdrückung durch den Vater, der sie mit Vinzenz Gellner verheiraten will, und der Zurückweisung durch den Angebeteten, der sie vor versammelter Dorfgemeinschaft brüskiert.

André Bücker zeigt dieses Seelendrama vorlagengetreu vor verschneiter Berglandschaft und schafft es mittels des wandelbaren Hauses, des Jan Steigert entworfen hat, passender Bergweltprojektionen und einer ausgefeilten Lichtregie, die von Catalani in geniale Musik gegossenen Stimmungen der Titelheldin packend auf die Bühne zu bringen. Trotz Alpenkolorit, das sich auch in den traditionellen und doch phantasievollen Kostümen von Suse Tobisch zeigt, mutet diese "Wally" keineswegs altbacken an, sondern kommt frisch und fesselnd daher. Bücker schafft selbst in Massenszenen intime Momente der beiden Verliebten, überfrachtet die kleine Passauer Bühne zu keiner Zeit aufgrund seiner durchdachten Personenführung und zeigt eine in einen gelungenen Alpenkrimi eingebettete Liebesgeschichte, die zu Herzen geht.

Kapellmeisterin Margherita Colombo leitet die Niederbayerische Philharmonie und malt Catalanis vor Intensität strotzende Partitur nicht nur in den ausgedehnten Vorspielen nach der Pause in glühenden Farben nach. Sie wählt mitunter gemessene Tempi und zeigt so klangliche Details, lässt den leidenschaftlichen Melodien Platz zum Wirken und führt die Sänger sicher durch den Abend. Der von Eleni Papakyriakou einstudierte Chor ist schmal besetzt und schafft so klanglich eine unglaubliche Intimität. Die Damen und Herren singen wunderbar und spielen voller Leidenschaft.

Leidenschaft zeigt auch Adelheid Fink, die vom Pfalztheater Kaiserslautern als Gast nach Niederbayern gekommen ist, um die Titelpartie zu singen. Doch ist ihre Stimme augenscheinlich zu fein und zart für die Alpenheroine. Das versucht die Sängerin durch starkes Forcieren wett zu machen, was zu einer unschönen Schärfe vor allem in den Höhen führt. So überzeugt sie am ehesten in den wenigen Momenten, in denen sie ihrer Stimme und dem Publikum wenig Druck zumutet, so beispielsweise am Ende des dritten und dem Beginn des vierten Aktes. Ihr zur Seite steht aber auch ein extrem ausdrucksstarker Giuseppe.

Ensemblemitglied Jeffrey Nardone zeigt den Jäger nuanciert, glänzt mit metallischer Höhe (die er dem Publikum nur am Ende des Finalaktes vorenthält), feinen Piani und viel, viel Gefühl. Da kann man als Zuschauer gut nachvollziehen, dass die Wally ihm verfällt und sich nur zu gern von ihm aus ewigem Eis vor einen warmen Ofen retten lassen würde. Noch mehr überzeugt hat mich gestern sein Gegenspieler Gellner, der in Kyung Chun Kim einen idealen Interpreten findet. Sein samtiger Bariton ist durchaus zu gewaltigen Ausbrüchen fähig und so brilliert der Südkoreaner auf ganzer Linie zwischen hoffnungsvollem Sehnen und brachialer Gewalt. Einen Geier gibt es in Catalanis "Wally" nicht, aber einen jugendlichen Freund der Titelheldin, Walter. Die Hosenrolle wird von Ensemblemitglied Emily Fultz bravourös gemeistert, die junge Koleratura zeigt begeisternde Höhe und Geläufigkeit und ist auch darstellerisch eine Wucht. Kimberley Boettger-Soller verfügt über einen warmen, seelenvollen Mezzo und zeigt ansteckende Spielfreude. Da bedauert man regelrecht, dass die Rolle der Afra so klein ist. Marc Kugel zeigt als Landstreicher seinen kraftvollen Bass-Bariton ebenso wie komödiantisches Talent, Szymon Chojnacki als Wallys despotischer Vater singt tadellos und beeindruckend, spielt den Tyrannen allerdings ein wenig brav.

Das voll besetzte Theater ist von derAufführung zu recht begeistert und auch ich empfehle ihnen, bei allen Abstrichen, die man hier bei der Titelheldin machen muss, diese Produktion, die an den Theatern in Passau, Landshut und Straubing noch bis ins Frühjahr hinein zu sehen sein wird. Vielleicht besuchen Sie ja am 20. Januar die Landshuter Premiere – und feiern mit dem Werk auf den Tag genau seinen 125. Geburtstag.

Ihr Jochen Rüth 8.1.2017

Fotos (c) Landestheatetr / Peter Litvai