Pforzheim: „Carmen“, Georges Bizet

Zu einer insgesamt beachtlichen Angelegenheit geriet die Neuproduktion von Bizets Carmen am Stadttheater Pforzheim. Wieder einmal wurde deutlich, dass auch ein kleineres Theater über tolle Qualitäten verfügen kann. Um das Fazit einmal vorwegzunehmen: Der Besuch dieser hochkarätigen Produktion kann durchaus empfohlen werden. Als Regisseurin konnte Claudia Isabel Martin Peragallo gewonnen werden. Für die Ausstattung war Polina Liefers verantwortlich. Gespielt wurde die Originalfassung mit gesprochenen Dialogen.

© Martin Sigmund

Das Regieteam legte sich mächtig ins Zeug. Von der Aufzeigung billiger Klischees, die man sonst oft mit dieser Oper in Verbindung bringt, hat es Gott sei Dank Abstand genommen. Flamenco, spanische Folklore und dergleichen sucht man in dieser gelungenen Inszenierung vergebens. Vielmehr betont Frau Martin Peragallo bei ihrer Regiearbeit die durch Stiermasken symbolisierte, sich einer konkreten Zuordnung entziehende parabelhafte Komponente der Handlung. Gekonnt stellt sie heraus, aus welchen Motiven es zu dem schlussendlichen Mord an der Titelfigur kommt. Technisch ist ihr dabei nicht das Geringste anzulasten. Sie versteht ihr Handwerk, das muss man sagen. So bezieht sie geschickt den Zuschauerraum in ihre Deutung mit ein. Bertolt Brecht lässt grüßen. Auch sonst spielt Brecht hier keine unwesentliche Rolle. Auf Tschechow`sche Elemente versteht sich die Regisseurin ebenfalls vortrefflich. Manchmal gönnt sie Personen Auftritte an Stellen, an denen Komponist und Librettist für sie solche eigentlich gar nicht vorgesehen haben. So ist beispielsweise Carmen bereits während der ausinszenierten Ouvertüre zu sehen. Sie tritt vor den Vorhang und raucht eine Zigarette, die sie dann fallen lässt. Nachdem sie die Bühne verlassen hat, erscheint Don José, der aufgrund eines Mordvorwurfs aus seiner Heimat flüchten musste, und hebt den Glimmstängel auf. Bereitwillig wird er von Zuniga unter die Soldaten aufgenommen. Auch Micaela bedenkt Claudia Isabel Martin Peragallo manchmal mit Tschechow‘ schen Elementen. Eindringlich geraten ist insbesondere der Schluss, an dem das Mädchen Josés Mord an Carmen beobachten darf. Durch derartige Regieeinfälle wurde die Spannung enorm gesteigert.

© Martin Sigmund

Das Bühnenbild nimmt das Künstliche des Theaterraumes auf. Das Geschehen spielt sich in einem Theater auf dem Theater ab. Strenggenommen sind es gleich mehrere solche Theater, die hintereinander gestaffelt und durch transparente Gazevorhänge voneinander abgetrennt sind. Auf diese Art und Weise entstehen mehrere Räume, die von den Handlungsträgern emsig bespielt werden. Die Portale des Theaters auf dem Theater grenzen die verschiedenen Welten Carmens und Don Josés trefflich voneinander ab. Bemerkenswert erscheint zudem, dass Carmens Hose aus demselben bordeauxroten Stoff gefertigt ist, aus dem auch die Vorhänge des Theaters auf dem Theater bestehen. Die Kostüme sind den Revolutionszeiten des Zwanzigsten Jahrhunderts entlehnt. Dabei bezieht sich Frau Liefers nicht nur auf Spanien, sondern vor allem noch auf Lateinamerika. Politische Konflikte sind hier an der Tagesordnung. Die Schmuggler werden als linke Untergrundaktivisten interpretiert, die sich gegen die diktatorischen Verhältnisse auflehnen. Bezüge auf Lateinamerika gibt es zahlreiche. Diese kommen sogar aus dem religiösen Bereich. Eine Madonna erhält in dieser Inszenierung zentrale Relevanz. So werden die Schmugglerinnen zur Mutter Gottes. Und Don José sieht in Carmen eine Heilige. Sowohl am Anfang als auch am Ende sieht man ein Theaterpublikum auf der Bühne. Am Anfang wartet es auf den Beginn der Aufführung und am Ende reagiert es auf das soeben Gesehene. Auch hier haben wir es mit einem trefflichen Einfall seitens der Regie zu tun. Mit dieser Inszenierung lässt es sich wahrlich leben.

Am Pult war Daniel Inbal voll in seinem Element. Feurig und intensiv wies er der konzentriert und klangschön aufspielenden Badischen Philharmonie Pforzheim den Weg durch Bizets Partitur. Bereits die einleitende Ouvertüre geriet unter seiner versierten musikalischen Leitung sehr rasant und prägnant. Fein gesponnene Bögen und eine gute Transparenz taten ein Übriges, sein imposantes Dirigat abwechslungsreich und interessant erscheinen zu lassen. Insgesamt schöpfte er ganz schön aus dem vollem, konnte aber zum Beispiel zu Beginn des dritten Aktes auch einen schönen Ruhepunkt setzen.

© Martin Sigmund

Ebenfalls auf hohem Niveau bewegten sich die gesanglichen Leistungen. Cecilia Pastawski war eine recht erotisch anmutende, munter spielende und mit apartem, farbenreichem Mezzosopran auch perfekt singende Carmen. Einen volltönenden metallischen Tenor brachte Felipe Rojas in die Partie des Don José ein. Leider ging er bei der bis zum hohen `b` heraufreichenden Pianissimo-Phrase am Ende seiner Arie im zweiten Akt zu sehr vom Körper weg und in die Kopfstimme. Das sollte nicht sein. Ein voluminös singender Escamillo war Martin Berner, der auch darstellerisch eine gute Figur machte. Einen enorm guten, bestens italienisch fokussierten, dabei gleichzeitig weichen und gefühlvollen lyrischen Wohlklang verbreitete Stamatia Gerothanasi als Micaela. Eine voll und rund singende Mercedes war Jina Choi, während Franziska Fait als Frasquita mit unschönen Schärfen in der Höhe aufwartete. Solide Leistungen erbrachten Leopold Bier (Remendado) und Alejandro Aparicio (Dancaire). Mächtiges Bass-Material verlieh Aleksandar Stefanoski dem Zuniga. Von dem recht elegant und sonor singenden Morales von Johan Roussey hätte man gerne mehr gehört. Ansprechend präsentierten sich Chor, Extra- und Kinderchor des Theaters Pforzheim, deren Einstudierung Johannes Berndt besorgte.

Ludwig Steinbach, 12. Oktober 2025


Carmen
Georges Bizet

Theater Pforzheim

Premiere: 26. September 2025
Besuchte Aufführung: 11. Oktober 2025

Inszenierung: Claudia Isabel Martin Peragallo
Musikalische Leitung: Daniel Inbal
Badische Philharmonie Pforzheim