17.7. 2020 , Helmut -List-Halle Graz
Musikalisch geglückt, szenisch allzu simpel!
Ursprünglich sollte in der Styriarte 2020 der Don Giovanni ein exklusives und zentrales Ereignis des Festspielprogramms werden: Andrés Orozco-Estrada sollte seinen ersten Don Giovanni dirigieren, man hatte ein sehr junges Sängerteam eigens dafür in einem internationalen Probesingen ausgewählt und der vom Straßentheater kommende Regisseur Adrian Schvarzstein wollte das Stück im Zirkus spielen lassen. Doch dann kam Corona und man konnte nicht mehr an eine vollständige szenische Aufführung denken. Also verdichteten der Regisseur und der Styriarte-Dramaturg Karl Böhmer als Librettist das Werk auf 60 Minuten, nannten es Don Giovanni in Nöten und gerieten dabei wahrlich in Nöte. Die Nöte begannen schon mit dem vorangestellten Satyrspiel zum Anfang , mit dem das Publikum schon im Foyer empfangen wurde.
Der Regisseur und seine Partnerin Jurate Sirvyte fegten als Saaldiener durch das versammelte Publikum – putzend und den rechten Corona-Sicherheitsabstand einmahnend. Das war eher allzu simples Blödeln als ein dem Don Giovanni angemessenes Satyrspiel. Schon hier blieb Schvarzstein deutlich unter jenem Festspielniveau, das er selbst im Jahre 2017 bei der Styriarte mit einer temperamentvoll-köstlichen Inszenierung einer unbekannten spanischen Barockoper vorgegeben hatte. Auch die von ihm bereits 2019 in halb-privatem Rahmen gezeigte Fassung einer Pergolesi-Oper unter dem Titel Il Ciarlatano, die heuer eigentlich für das styriarte-Programm vorgesehen war und leider Corona zum Opfer fiel, war komödiantisches Theater im besten Sinn und auf hohem Niveau. Für die Einleitung zum Don Giovanni war ihm allerdings offenbar nichts Geistvolles eingefallen. Und leider setzte sich dieser Eindruck fort, als man den Saal betreten hatte. Adrian Schvarzstein war für das szenische Arrangement des Don Giovanni verantwortlich, das ebenso wenig überzeugen konnte wie die dafür verfassten Texte von Karl Böhmer. Auch hier erlebte man nur platte, vordergründige Komik, die dem doppelbödigen, sich zwischen Tragödie und Komödie bewegenden Dramma giocoso von da Ponte und Mozart nicht angemessen war.
Gott sei Dank wurde man musikalisch entschädigt! Und dies, obwohl es sehr kurzfristige und einschneidende Umbesetzungen gab – hier der Wortlaut der Mitteilung des Veranstalters:
Andrés Orozco-Estrada musste seine Mitwirkung an dieser Produktion aufgrund gesundheitlicher Probleme leider absagen. Es ist der styriarte gelungen, für ihn in Michael Hofstetter einen genialen Ersatz am Dirigenten-Pult zu finden. Auch unser Don Ottavio musste kurzfristig aus gesundheitlichen Gründen umbesetzt werden. Für Angelo Pollack springt Daniel Johannsen ein.
Natürlich bedauerte man, dass Andrés Orozco-Estrada abgesagt hatte, aber Michael Hofstetter, der ja seit Jahren mit der Styriarte und ihrem Orchester verbunden ist, machte seine Sache großartig. Im styriarte-Festspiel-Orchester werden Grazer MusikerInnen mit international agierenden Gästen zusammengeführt, die ihre spezifische Erfahrung in das Projekt einbringen. So setzt sich das Orchester 2020 aus MusikerInnen von recreation, vom Concentus Musicus Wien und vom Chamber Orchestra of Europe zusammen, nebst weiteren internationalen Gästen. Die Streicher spielen auf Darmsaiten, das Blech auf Naturinstrumenten und auch das Holz auf historischen Instrumenten. Die engagiert-intensive Wiedergabe der Ouvertüre durch Orchester und Dirigent übertrug sich spontan auf das Publikum und man war – trotz der simplen Moderationstexte – endlich beim Don Giovanni „angekommen“.
Mit dem Auftritt von Tetiana Miyus entstand dann sofort echte Opernatmosphäre. Mit großem Impetus und mit einer in allen Lagen ausgewogenen und diesmal auch farbenreich differenzierenden Stimme überzeugte sie als Donna Elvira und tat damit zweifellos einen wichtigen Schritt zu einer Facherweiterung. Ihre Elvira hatte dramatische Überzeugungskraft und sie geriet auch akustisch nicht ins Hintertreffen gegenüber dem unmittelbar hinter ihr postierten Orchester. Die 32-jährige Tetiana Miyus bot in ihren drei Szenen für mich stimmlich und interpretatorisch die reifste Leistung des Abends – Gratulation!
Die erst 23-jährige Miriam Kutrowatz als Zerlina ist zweifellos auf dem Weg zu einer schönen Karriere. Sie überzeugte mit natürlicher Ausstrahlung und klarem Sopran, der sich noch weiter festigen wird. Mit berechtigtem Stolz konnte ihr Vater Eduard Kutrowatz – gemeinsam mit seinem Bruder Johannes Intendant des Liszt-Festivals Raiding – die sehr erfreuliche Leistung der vielversprechenden jungen Sopranistin verfolgen. So wie die Zerlina ist auch der aus Straßburg stammende Don Giovanni Damien Gastl noch in Ausbildung. Er verbindet seine gute Bühnenerscheinung mit einem flexiblen Bassbariton – auch seine weitere Entwicklung darf man mit Interesse verfolgen. Den Don Ottavio hatte in dankenswerter Weise ganz kurzfristig der erfahrene und auch bei der Styriarte geschätzte Konzertsänger Daniel Johannsen übernommen. Zweifellos ist für die kultivierte Evangelisten-Stimme der Ottavio eine Grenzpartie – aber Johannsen hat die Aufgabe glänzend gemeistert. Da die Produktion an zwei aufeinanderfolgenden Tagen je dreimal (18 Uhr, 19h30 und 21 Uhr) angesetzt ist, kann man seinen befriedigten Seufzer auf Facebook – nach den ersten beiden Aufführungen – sehr gut verstehen:
So, oamål geht’s no! „Dalla sua pace“ und „Il mio tesoro“ demnächst zum 4. Mal an einem Tag. So etwas kann man auch nur bei der styriarte kennenlernen (wie etwa 2015 eine 11-Uhr-Matinée mit „Il Barbiere di Siviglia“). EIN TRAUM mit diesem Festspielorchester, mit meinem lieben Michael Hofstetter und GANZ TOLLEN Kollegen.
Don Giovannis Ständchen begleitete musikantisch und bühnenwirksam das musikalische Multitalent Eddie Luis (siehe das Foto zu Beginn des Beitrags) – das war eines der wenigen szenisch gelungenen Details.
Der einzige musikalische Wermutstropfen in dieser musikalischen Kurzversion: man vermisste die für Mozart charakteristischen großen Ensembles, weil eben nur vier Stimmen vorhanden waren. Beim verkürzten, von Tetjana Miyus souverän angeführten Schlussensemble fehlte die Donna Anna und anstelle von Leporello und Masetto sang der Don Giovanni die Bass-Stimme…..
Ein Protagonist ist bisher noch unerwähnt geblieben: der in Film und Fernsehen erprobte Schauspieler Harry Lampl. Er hatte die wenig dankbare Aufgabe, die moderierenden Verbindungstexte zu sprechen und einen exaltierten Regisseur zu mimen, der diese Corona-bedingte Rumpffassung über die Runden bringen sollte. Und damit bin ich bei der von mir gewählten Überschrift für diesen Bericht: der Abend war musikalisch geglückt und szenisch allzu simpel! Dennoch: das Publikum reagierte mit freundlichem Beifall – wohl nicht zuletzt deshalb, weil man glücklich und dankbar ist, nun endlich wieder Opernszenen mit Orchester erleben zu können!
Hermann Becke, 18.7.2020
Szenenfotos: Styriarte, © Nikola Milatovic
Hinweis:
Neuerlich sei ausdrücklich auf das großzügige Streaming-Angebot der styriarte hingewiesen. Hier kann man auch diese Veranstaltung im vollen Umfang online nacherleben. Damit hat die styriarte eine zeitgemäße Möglichkeit geschaffen, ein möglichst großes Publikum zu erreichen, auch wenn im Saal selbst nach wie vor nicht mehr als 250 Personen pro Vorstellung sein dürfen.