23.7. und 24.7.2022 in der Helmut-List-Halle
Auf der Website der Styriarte steht:
„Kein Fan der Alten Musik, der den Namen Jordi Savall nicht kennt. Keine Auszeichnung, die der „Botschafter der Europäischen Union für den kulturellen Dialog“ im Verlauf seiner Weltkarriere nicht gewonnen hätte. Umso schöner, dass der 1941 geborene Katalane seit Jahrzehnten zu den engsten und treuesten Freunden des Hauses Styriarte zählt.“
So ist es seit Jahren eine vom Publikum der Styriarte geliebte Usance, dass Jordi Savall mit seinen Ensembles den Abschluss der Styriarte bestreitet. Seine Konzerte sind praktisch immer ausverkauft und umjubelt.
Der erste Abend am 23.7. 2022 war ausschließlich Claudio Monteverdi gewidmet, das Programm und auch die Gesangs-und Instrumentalbesetzung waren ganz ähnlich dem Styriarte-Konzert vom Juli 2018. Und das ist das,was das wirklich ganz Außergewöhnliche bei Jordi Savall: es klingt jedesmals wie spontan aus dem Moment heraus geboren und absolut nie nach Routine!
Ein Bespiel dafür ist der seit bald 35 Jahren auf den ersten Bühnen der Alten Musik stehende italienische Bariton Furio Zanasi , der auch diesmal als Testo (Erzähler) in Il combattimento di Tancredi e Clorinda den Text von Torquato Tasso (selbstverständlich auswendig!) rezitierte. Dies war wahrhaft Musiktheater auf höchstem Niveau, das sich auf wenige andeutende Gesten beschränken konnte, weil sich die gesamte Dramatik der Szene durch exzeptionelle Stimmkunst vermittelte. Text und Musik waren hier ideal miteinander verbunden. Da erlebte man gleichsam atemlos, wie sich Text und Musik zur Oper entwickeln. Ich habe Furio Zanasi wiederholt erlebt – jedesmal ist er für mich packend und neu. Großartig! Das Orchester musizierte ebenso hervorragend – stellvertretend seien für das exzellente Instrumentalensemble die erfahrenen Orchesterstützen Manfredo Kraemer (Violine I) und Andrew Lawrence-King an der Doppelharfe genannt. Und Jordi Savall koordinierte das Ganze mit sparsamen, uneitlen und stets den Gesamtzusammenhang wahrnehmden Gesten. Es sei nochmals gesagt: das war höchste Kunst – da erlebte man neuerlich ein musikdramatisches Wunder, das unmittelbar packte und vergass darüber, dass man Monteverdi in dieser Besetzung in den letzten Jahren schon wiederholt in Graz erlebt hatte – wie auch Mathis Huber in seiner Einführung gesagt hatte! Und mit dem Monteverdi-Abend schloss sich auch insoferne der Kreis der Styriarte 2022, hatte doch zu Beginn in der Fux-Oper Monica Piccinini die Venus und nun so wie vor vier Jahren an diesem Abend ganz wunderbar elegisch das Lamento della Ninfa interpretiert.
Das zweite Konzertprogramm am Tag darauf war für Graz völlig neu, obwohl es bereits seit 2018 auf CD erhältlich ist – Muslimische Musik u.a.aus Marokko, Mali, Ägypten, Jemen, Sansibar, Indien, Malediven und China – und obwohl es schon seit 2015 auch auf youtube verfügbar ist.
Es war eine bunte Mischung von Menschen aus Europa, Afrika und Asien, die mit ihren uns großteils unbekannten Instrumenten Ibn Battutas Reise des 14. Jahrhunderts von Nordafrika über Mekka, Indien bis China und zurück begleitete. In der arabischen Welt ist jedem Schulkind der legendäre Weltreisende Ibn Battuta bekannt – bei uns in Europa weiß kaum jemand etwas von ihm. Seit einiger Zeit gibt es im C.H.Beck-Verlag eine sehr gute kommentierte deutsche Neuauflage der Reisebeschreibung. Es lohnt sich sehr, sich damit auseinanderzusetzen. Schon Goethe hatte gesagt: „Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen“ – ein wunderschöner Satz, der auch ideal zu Jordi Savall passt, der diesmal Musikerinnen und Musiker aus Syrien, Marokko, Griechenland, Syrien, Madagaskar, Italien, China, Türkei, Afghanistan. Frankreich und Spanien um sich versammelt hatte.
Michael Dangl las zwischen den Musikstücken kurze andeutende Texte aus der Reisebeschreibung, sodass der Zuhörer seine eigene Fantasie schweifen lassen konnte und nicht zu viel vorweggenommen wurde. Und wen soll man von den Solisten herausheben?? Sie ergänzten sich in Rhythmus, Melodie und Klangfarbe ausgezeichnet, sodass der zweistündige Abend mit Pause nie langweilig wurde. Großer Beifal!!
Hermann Becke, 30. 7. 2022
Aufführungsfotos: Styriarte
Am Ende hier die Bilanz des Jahres 2022, die Intendant Mathis Huber der Öffentlichkeit vorgelegt hatte. Er beschönigte nichts: die Auslastung war nach zwei Corona-Jahren von 90 % auf 80 % zurückgegangen. Auch ich kenne Stammpublikum, das zum Teil deshalb wegblieb, weil es die Ansteckung fürchtete. Aber ich möchte auch an einen traurigen Anlass erinnern. Alice Harnoncourt ist im 92. Lebensjahr kurz vor Ende der Styriarte 2022 gestorben
Es lohnt sich, den persönlichen Nachruf von Intendant Mathis Huber zu lesen, der seit 1990 mit Nikolaus und Alice Harnoncourt bis 2015 eng zusammengearbeitet und das unverwechselbare Profil des Styriarte-Profils entwickelt hatte. Der Nachruf gibt ein Bild, wie die Weiterentwicklung ihren Weg nimmt. Unter anderem heißt es in diesem Nachruf – und das gibt Hoffnung:
„2015 hat sich Nikolaus Harnoncourt von der Bühne verabschieden müssen, und damit hat auch Alice ihre Geige aus der Hand gelegt. 2016 ist er gestorben, und es hieß, ein Unersetzlicher sei gegangen. Diese Feststellung teile ich auch heute ohne Einschränkung. Aber wir spielten natürlich weiter, und es blieb sehr schön und aufregend. Alice hat den Weg der Styriarte auch nach dem Abschied von Nikolaus Harnoncourt neugierig verfolgt. Sicher ist ihr da vieles komisch vorgekommen, aber sie hat akzeptiert, dass die Fragen von 1985 nicht mehr viel mit den Fragen von 2022 zu tun haben, dass Festivals neue Wege gehen müssen, wie auch Familien heute anders funktionieren, wie auch der Glaube, der ihr sehr wichtig war, heute eine Randerscheinung des Lebens ist. Jetzt, da uns Alice Harnoncourt im 92. Lebensjahr nach einer unglaublichen Lebensleistung verlassen hat, meine ich, dass auch sie eine Unersetzliche war. Ich habe diese Qualität professioneller Zusammenarbeit wie mit ihr kein zweites Mal erlebt und das wird es auch nicht mehr geben. Und jetzt stell ich mir einfach vor, dass es den Himmel gibt, an den sie geglaubt hat, und dass sie in diesem Himmel mit Nikolaus weiter diskutieren kann, und dass sie jetzt auch die vielen offenen Fragen, die sie dem grenzenlosen Bach und dem unerklärlichen Mozart und dem Meister aller Meister, Josquin Desprez, noch stellen wollten, direkt an den Quellen klären können. Also auch im Himmel wartet schon wieder viel Arbeit auf Alice!“
Die Styriarte 2023 wird vom 23. Juni bis zum 23. Juli 2023 stattfinden. Ausgehend von der sechsten Produktion im Rahmen des Fux.OPERNFESTes, diesmal das Megaprojekt „Costanza e Fortezza“ aus dem Jahr 1723, also genau 300 Jahre nach der Uraufführung in Prag, wird die Styriarte 2023 ihr Programm unter das Motto „Held:innen“ stellen.
30.7.2022, Hermann Becke