25. April 2013 (Premiere 26. Oktober 2012)
In einer Co-Produktion mit der Oper Halle und der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz entstand in der BASF-Metropole Ludwigshafen im Theater im Pfalzbau das städteübergreifende Projekt „RING – Halle – Ludwigshafen“. 2010 fand die Premiere von Rheingold statt, 2011 wurde das Projekt mit Die Walküre fortgesetzt und nach den Aufführungen von Siegfried und Götterdämmerung im Vorjahr steht heuer von 21. bis 27. April erst- und einmalig in Ludwigshafen die gesamte Tetralogie Richard Wagners auf dem Spielplan. Der aus Wien anreisende Rezensent musste leider an den ersten beiden Abenden passen, wundert sich dann aber, dass am Abend von Siegfried auf der anderen Seite des Rheins (nämlich im Mannheimer Nationaltheater) gerade einmal nur sechs Straßenbahnstationen entfernt auch Die Walküre (in der bekannten Freyer-Inszenierung) gespielt wurde. Die beiden parallelen Ring-Projekte sorgten auch für lokalpolitischen Gesprächsstoff, die aber jeweils fast ausverkauften Häuser sprachen aber eine klare Sprache für Wagner und sein Werk.
Nur kurz soll auf die Inszenierung des Ludwigshafener Intendanten Hansgünther Heyme eingegangen werden, da – wie schon Sieglinde Pfabigan im Merker-Heft über die Halle-Aufführungen des Projektes schrieb – dessen detaillierte Beurteilung den Besuch aller vier Abende voraussetzen würde. Zentral beherrschendes Element des Bühnenbilds sind mit zweistelligen Ziffern- und Buchstabenkombinationen bezeichnete Urnen, in denen sich die Überreste aller „Helden“ der Welt befinden. Eine geographische Kuriosität des benachbarten Mannheims dürfte für diese „Wand des Todes“ Modell gestanden haben, dort werden nämlich die Straßen der Innenstadt nicht mit Namen, sondern mit A1 bis U6 bezeichnet. Heyme zeigt Mime als Denker, als einen zur richtigen Tat Unfähigen und vergleicht ihn mit Einstein, der 1945 versuchte Atombomben zu verhindern, während sie Wernher Freiherr von Braun baute, der Siegfried der damaligen Zeit. Mime sitzt hoch über den Realitäten der Welt, unter ihm verlaufen die Pipelines der kapitalistischen Welt. Im zweiten Akt ist Wotan der Theatermacher, zieht alle Fäden, auch im buchstäblichen Sinn. Er lässt die Puppen tanzen, auch wenn sie vom Schnürboden kommen, dann zieht er sogar am Seil. Die Drachenszene imponiert durch wunderbare Projektionen, einzig der reale Auftritt Fafners fällt ein wenig flach aus, auch die Personifizierung von Sieglinde (als „Mutterwesen“) erschien nicht unbedingt zwingend notwendig, während die beiden Boten des Todes und des Bären (im ersten Akt) und des Rosses Grane (im dritten Akt) witzig waren. Wie überhaupt humoristische Details auch dafür sorgten, dass die 5 ¼ Stunden wie im Flug vergingen. Nur das „Grande Finale“ zwischen Brünnhilde und Siegfried schien trotz aller Bewegtheit der beiden Akteure althergebrachtes Rampensingen.
Die große Überraschung bot die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz, die unter ihrem GMD Karl-Heinz Steffens Wagners Klang voll trafen, von der aufmerksamen Begleitung der Dialoge Mime-Siegfried über das feinste piano im zweiten Akt bis zum dramatischen Liebesbeweis des Finales. Sogar das Hornsolo gelang durch Cong Gu perfekt. Vielleicht war die eine oder andere Generalpause doch eine Spur zu plakativ, aber Hochachtung vor Steffens, der mittlerweile auch an Häusern wie der Mailänder Scala gefragt ist.
Das größte Interesse galt natürlich „unserem“ Siegfried Andreas Schager, der nach seinem Meininger Tristan und vor dem Rienzi in Rom hier in der Titelrolle auf der Bühne stand. Dass Tagesverfassungen gesangliche Leistungen beeinflussen können ist gerade in diesem Fach selbstverständlich. Wenn Schager also diesmal – wie er nach der Aufführung selbst sagte – nicht auf 100 % war, so gibt es zwar einige Wertungspunkte Abzug, eine großartige Interpretation und ein idealer Siegfried der Jetzt-Zeit war er allemal. Jugendliches Spiel, tolle Figur, die sich auch sehen lässt (seine Six-Packs animieren sofort das eigene Fitness-Programm zu intensivieren), eine durchwegs auf Linie singende strahlende Tenorstimme, obertonreich, manchmal fast zu sehr forcierend, aber mit unheimlicher Durchhaltekraft bis zum Schluss. Der Gedanke, dass diese Partie eigentlich gar nicht so schwer sein kann, drängt sich auf, ist aber natürlich purer Unsinn.
Der ideale Partner und Kontrahent sollte an diesem Abend Ralph Ertel als sein Ziehvater Mime sein. Faszinierend wie die beiden Stimmen sich den ganzen ersten Akt über ergänzten, Ertel geht fast genau so ins Heldische wie Schager und verzichtet auf die typische Charaktertenorfärbung. Nicht ganz auf diesem Niveau bewegte sich Gérard Kim als Wanderer, dem das letzte Quentchen an Volumen fehlen dürfte, sein unbestrittener Schöngesang allein überzeugte in der Rollengestaltung nicht ganz, aber dennoch solide. Und solide waren auch die übrigen Partien besetzt: Gerd Vogel als Alberich, Christoph Stegmann als Fafner, Ceri Williams als Erda und Ines Lex als Waldvogel. Ziemlich schwankend, was den gesanglichen Part anlangt, präsentierte sich Lisa Livingston als Brünnhilde. Anfäglich mit klarem hellem Sopran überzeugend, trübte sich ihre Stimme dann ein und wurde immer vibratoreicher.
Noch ein Wort zu den Kartenpreisen, die von einem festspiel- und staatsoperngeprägtem Wiener einfach als sensationell zu bezeichnen sind: Das teuerste Ticket kommt hier nämlich nur auf 65 Euro, die Pausen-Cola ist billiger als am Würstelstand. Ein „Ring“ also weit weg von Hochkultur und Schickeria, der Jubel des Publikums war riesig, allen voran für Orchester, Schager und Ertel!
Ernst Kopica
Fotocopyright: Gert Kiermeyer