Premiere am 5. November 2016
Die „Lustigen Weiber von Windsor“ sind eine eher schwächere Komödie von Shakespeare. Das meinte der durch seine umfangreiche „Theatergeschichte“ bekannt gewordene Günther Erken in seinem Beitrag innerhalb einer Vortragsreihe über Shakespeare im Theater Münster („Gelehrte im Theater“ – Initiator Pressesprecher Wolfgang Türk). Deren Inhalt sei, fuhr er fort, mit der Musik Giuseppe Verdis auf den Text von Arrigo Boito (unter Verwendung einiger Passagen aus „Heinrich IV“) als lyrische Komödie „Falstaff“ zum grossen Welttheater, auch wegen der Schlußfuge, gesteigert worden.
Dies zeigte nun wieder einmal die Aufführung in Münster, die am vergangenen Samstag Premiere hatte. Die musikalische Leitung lag bei GMD Fabrizio Ventura. Insgesamt handelte es sich um eine Wiederbelebung der Inszenierung, mit der Münsters heutiger Generalintendant Dr. Ulrich Peters sich von seiner vorigen Stellung als Staatsintendant des Münchener Theaters am Gärtnerplatz verabschiedet hatte. Damals – vor ungefähr fünf Jahren – wurde sie aufgeführt wegen der bis heute nicht abgeschlossenen Sanierung in der dafür so passenden Ausweichspielstätte Prinzregententheater.
Die Handlung sollte dargestellt werden als Theater auf dem Theater mit den von Falstaff angezettelten Intrigen als Mittelpunkt des turbulenten Geschehens. So spielten die ersten Teile der drei Akte vor einem Theatervorhang, es gab an einer Tür rechts den Hinweis „Stage door“ und es wurden Kleiderständer mit Kostümen herein- und herausgeschoben – alle Mitwirkenden waren übertrieben britisch gekleidet passend zur Zeit der Entstehung der Oper (Bühne und Kostüme Christian Floeren) Durch Öffnen dieses Vorhangs konnte dann schnell gewechselt werden zu den anderen Schauplätzen wie Platz vor Fords Haus und das Innere seines Hauses – hier mit einer Hochhausarchtitektur im Hintergrund. Zum „mythischen“ Schlußbild sah man vor einer Projektion des Waldes von Windsor dann richtig schön kitschig eine Eiche im fahlen Mondschein.
Schon in München als Darsteller der Titelpartie gelobt verkörperte Gregor Dalal auch jetzt stimmlich und schauspielerisch bewundernswert alle Facetten des alten Schwerenöters. Mit seiner wandlungsfähigen und treffsicheren Baßstimme besang er ironisch die Nutzlosigkeit der „Ehre“, klang eitel mit seinen vermeintlichen Erfolgen als Möchte-gern Don Juan und in seiner Jugenderinnerung als Page gegenüber Alice. Ihre Stimme nachahmend sang er auch im Falsett. Melancholischer Höhepunkt war sein Monolog nach dem unfreiwilligen Bad in der Themse mit „Mondo ladro“ (undankbare Welt) und der fast schon tragischen Aufforderung an sich selbst „Va vecchio John“ (Geh immer weiter bis ans Ende)
Sein eigentlicher Gegenspieler Ford wurde wie schon in München gesungen mit grossem Verdi-Bariton von Gary Martin. Sein Pseudo-Madrigal schloß er gekonnt mit Koloraturen. Der Monolog im zweiten Akt „È sogno“ erinnerte mit seinem überzeugend gespielten Ausbrüchen unbegründeter Eifersucht an Verdis „Otello“
Mit perlendem staccato scheinbar ganz spielerisch Spitzentöne treffend glänzte Sara Rossi Daldoss als schöne Strippenzieherin Alice. Zärtliche erwachende Liebe gestalteten stimmlich Eva Bauchmüller als Nanetta und Youn-Seong Shim als Fenton. Letzterer verströmte tenoralen Wohlklang in der einzigen richtigen „Arie“ der Oper zu Beginn des zweiten Teils des dritten Aufzugs. ebenso „dolcissimo“ beginnend wie später Nanetta als Elfenkönigin. Suzanne McLeod glänzte mit der bei ihr gewohnten stimmlichen und schauspielerischen Bühnenwirkung als intrigante Mrs. Quickly. Mit wohlklingendem Mezzo ergänzte Lisa Wedekind das Quartett der „lustigen Weiber“. Cameron Becker als Bardolfo und Plamen Hidjov als Pistola sangen und spielten passend, mußten auch dann Hans-Wurst-artig über die Bühne torkeln, wenn ihr Auftritt im Libretto nicht vorgesehen war.
Hans Kittelmann sang mit treffsicherem Tenor den Dr. Cajus, als juristisches Markenzeichen stets eine Aktentasche tragend.
Grosse Begeisterung weckt die Oper vor allem durch ihre für alle Sänger schwierigen Ensembles. Da konnte Fabrizio Ventura sein dirigentisches Können beweisen. Im „Nonett“ des ersten Finales wo die fünf Herren in schnellen Achteln vor sich hin plappern (auch mit der Vorschrift pppp) und die vier Damen den Plan zu Falstaffs Täuschung besingen, war er noch vorsichtig. Das Finale des zweiten Aufzugs, wo sich auch stimmlich neben den vier Hauptbeteiligten noch der Herrenchor (Choreinstudierung Inna Batyuk) an der Suche nach Falstaff beteiligt, die Damen sich über diesen im Wäschekorb lustig machen und Nanetta und Fenton über allem Liebeskantilenen singen, klappte prima. Die bis heute immer wieder zutreffende Schlußfuge „Tutto nel mondo è burla“ (Alles ist Narrheit auf Erden) wurde dann ohne Wackler zu schnellem Tempo gesteigert.
In ganz wenigen Opern ist der Orchesterpart thematisch und instrumental so geistreich komponiert wie im „Falstaff“ (vielleicht Teile der „Meistersinger“) Das konnte der Zuhörer weitgehendst geniessen. Die häufige Klangmischung von Streichern und (Holz)-bläsern klang delikat. Englisch-Horn, Oboe, Flöte und Harfe glänzten in ihren kurzen Soli. Als Falstaff den „Wahnsinn des Trillers“ besang, trillerten diese alle mit. Das schwierige „molto staccato“ der Kontrabässe zu Beginn des dritten Aktes ging leider dadurch etwas unter, daß Falstaff aufgetaucht aus der Themse mit einem riesigen Rettungsring die Bühne betrat – letzterer eigentlich überflüssig, denn er freut sich ja darüber, daß sein Bauch ihn über Wasser hielt. Sehr schön klang die klagende Begleitung der Bläser zu seinem folgenden Monolog. Zu Beginn des dritten Aktes erzeugten das Solo-Horn hinter der Bühne den passenden nächtlich-unheimlichen Klang.
Vor neun Jahren tauchte in einer Inszenierung der „Aida“ in Münster ein Schauspieler geschminkt als Giuseppe Verdi auf der Bühne auf, damals genau so überflüssig wie jetzt, wo er gespielt von Wolfgang Ueffing immer mal beobachtend durch das Bühnenbild schritt oder, da wenigstens passend, zu Beginn des dritten Aufzuges Falstaff den Glühwein reichte.
Wie schon in anderen Opernhäusern geschehen gaben die Übertitel nicht eine Übersetzung des italienischen Textes, sondern interpretierten und banalisierten diesen. Etwa wurde im Brief Falstaffs an die Damen aus „Sei heitere Gefährtin, heiterer Begleiter bin ich“ „Ich sei die Majo auf deinen Pommes“ oder so ähnlich – ha ha, wie witzig! Da hat das Publikum was zum Lachen!
Das wäre dazu gar nicht notwendig gewesen, das Publikum im sehr gut besetzten Theater folgte auch so amüsiert und aufmerksam dem Geschehen. Zum Schluß gab es Bravos und Applaus bis zum „eisernen Vorhang“ – auch stehend – wenn einige aufstanden, mußten die andern mitmachen!
Sigi Brockmann 6. November 2016
Fotos Oliver Berg