Aufführung am 31.12.2020
Georg Nigl, Regula Mühlemann (c) Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
Alles funktioniert, wenn die richtigen Leute zusammen kommen, auch wenn die Voraussetzungen dermaßen suboptimal sind wie bei der Wiener „Silvester-Fledermaus“ des Pandemie-Jahres 2020. Wenn alle wollen – und wenn alle (fast alle) können, was sie wollen – , dann kommt auch Johann Strauß mit jenem Schwung auf die Bildschirme, zu dem ihm sonst Lachen und Applausstürme des Publikums entscheidend verhelfen. Und das Team, das trotz allem die „Fledermaus“ mit allem Verve interpretierte, ließ sich nicht davon beeinträchtigen, dass das Live-Publikum fehlte (wobei doch Auserwählte drinnen saßen, die am Ende geklatscht haben – bevorzugte Kritiker wohl).
Die Musik der „Fledermaus“ ist so unwiderstehlich, dass man instinktiv „mit-swingt“, wenn sie richtig gebracht wird, und wer sollte das können, wenn nicht die Wiener Philharmoniker? Aber auch Dirigent Cornelius Meister machte da vieles richtig, vor allem das „Mitatmen“ mit den Sängern. Im zweiten Akt wurde die schwungvolle Laune hoch geheizt, und der Chor war angehalten, gewissermaßen das Publikum für die Pointen der Darsteller zu spielen. Auch die Nuancierung stimmte – vom übersprudelnden Übermut zu der sentimental-beduselten Seligkeit eines ausklingenden Festes, wenn die Spritzigkeit der Müdigkeit weicht. Schön, sehr schön.
Was die Besetzung betrifft, so war sie bunt gemischt, vom hohen Norden bis in die Schweiz, viel Deutschland, ein bisschen Bundesland und ein bisschen Wien. Man ist immer neugierig auf Neues, und die Einwände sind minimal, man befand sich immer auf der Höhe seiner Aufgabe.
Jochen Schmeckenbecher ,Georg Nigl (c) Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
Held der „Fledermaus“ ist, trotz der bestrickenden Frauenrollen, ja doch immer der Eisenstein. Von Georg Nigl hat man an der Staatsoper bisher kaum etwas gesehen, im Theater an der Wien ist er als eindrucksvoller Wozzeck in Erinnerung, und von Papageno bis zur Moderne hat er an vielen Bühnen seine Möglichkeiten ausgeschritten. Was nicht bedeutet, dass man Operette „kann“. Nun ist Nigl ein Wiener mit Sängerknaben-Vergangenheit, es gibt keine Identitätsprobleme. Allerdings ist er nicht – wie die meisten „Eisensteine“ seit Eberhard Waechter es gezeigt haben – ein Grandseigneur. Sein Held tendiert eher in die Vorstadt (mit einer immer wieder unter Beweis gestellten Fähigkeit zum Meidlinger „L“), erreicht manchmal eine gewisse Nähe zu den heimischen Kabarettisten. Aber er ist auf seine Art wirklich komisch und kann mit voller Stimme Operette singen, auch in tenoralen Höhen (wo die Rolle ursprünglich lag, nur die Wiener Tradition macht beharrlich einen Bariton daraus).
Georg Nigl, Camilla Nylund (c) Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
Dieser Eisenstein hatte zwei prächtige Damen: Das Deutsch der in Dresden lebenden Finnland-Schwedin Camilla Nylund ist exzellent (nichts peinlicher, als wenn in der Operette die deutsche Sprache geradebrecht wird, wo die Anforderungen der Sprechszenen doch schauspielerische Ausmaße annehmen). Sie hat die Leichtigkeit des Vortrags und gibt der Rosalinde doch die Qualität einer großen Opernstimme: Das zeigt sich vor allem an dem mörderischen Csardas, an dem schon manche Kollegin gescheitert ist. Im übrigen ist es drollig, wie die schöne Dame eine Operettendiva parodiert.
Dass die Wiege der Adele von Regula Mühlemann in der Schweiz stand, hörte man nur im Pauseninterview, für die Rolle hat sie sich eine fast natürliche Umgangssprache mit Wiener Färbung erarbeitet (wenn auch „kralawatschert“ für alle Nicht-Einheimischen ein schwieriges Fremdwort ist). Im übrigen zwitschert sie die Rolle in bester Adelen-Manier, hat Soubretten-Stimme mit Koloratur, weiters Humor, Charme und die lockere Unverschämtheit eines frechen süßen Mädels, das um seine Reize weiß. Sich auf Staatsopern-Brettern in dieser Rolle so zu bewähren, ist eine Leistung, die Würdigung verdient.
Regula Mühlemann / Okka von der Damerau (c) Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
Nennen wir noch Ileana Tonca, die als Ida ein bisserl die Nase hoch trägt und dabei doch recht sympathisch ist. Und da ist noch, wenn man sie als Frau nehmen will, als Überraschung Okka von der Damerau als Prinz Orlofsky, denn sie ist so anders, wie man sie in dieser Rolle noch nicht gesehen hat. Wir sind die schmalen, hübschen Prinzen gewöhnt, wie Kirchschlager, Kulman und zuletzt Elena Maximova sie auf die Bühne gestellt haben. Hier hat man ein Mannweib zum Fürchten, dem es allerdings nicht an Komik ermangelt. Dass der Orlofsky für einen Mezzo stellenweise sehr hoch liegt, merkte man auch diesmal.
Jochen Schmeckenbecher lebt, wie er im Pauseninterview sagte, nun schon zehn Jahre in Wien und Umgebung, und ganz hat er es nach eigener Aussage noch nicht kapiert, wie es hier läuft. Dafür ist er (und nein, wir denken nicht an die klassischen „Franks“) ein durchaus witziger, prägnanter Gefängnisdirektor. Auffallend geschmeidig passte sich Martin Häßler als Dr. Falke dem Idiom und der Mentalität der boshaften Heiterkeit an. Leider waren die Töne, mit denen Michael Laurenz als Alfred den Abend eröffnete, kläglich gebrüllt, später wurde es besser. Dazu zappelte noch Robert Bartneck den Dr. Blind.
Peter Simonischek als Frosch war von Anfang an Geschmackssache. Das Pausengespräch, das der Live-Stream bot, hat genau gezeigt, wie sehr diesem (steirischen, wie er betonte) Schauspieler der Ton für diese Figur fehlt. Das ist kein fröhlicher, sondern ein schwerfälliger, langwieriger Trinker, der im dritten Akt kaum für Laune sorgt, dessen Pointen überhaupt nicht zünden. Na ja – „Lass dich impfen, dann darfst rauchen“, hätte bei Live-Publikum wohl Lacher gebracht. Und Herr Direktor Roscic wurde auch erwähnt… (Übrigens klammert sich Simonischek zu sehr an seine Rollen – er war zu lange der Salzburger Jedermann, er ist schon viel zu lang der Staatsopern-Frosch…)
Als absolut gute Entscheidung erwies es sich, auf den „Stargast“ im zweiten Akt zu verzichten. Dass die Polka „Donner und Blitz“ getanzt wird, ist dramaturgisch goldrichtig, jeder „Starauftritt“ hat sich immer nur als retardierendes Element herausgestellt, manchmal peinlich, wenn sich ein Kammersänger aufstellte und Arien ablieferte (man ist ja nicht im „Rosenkavalier“, sondern beim anderen Strauß).
Diesmal hat man im Stream (vielleicht auch bei der Fernsehübertragung?) für Pausengespräche gesorgt, zuerst ein sehr schönes Interview mit Camilla Nylund, dann viele Antworten vieler Beteiligter auf viele Fragen. Lebensnah finden die Geschichte alle, bei „Wienerischem“ denken manche ans Essen, manche an die der hiesigen Bevölkerung zugeschriebene Hinterfotzigkeit. Was die musikalische Lieblingssequenz angeht, so schoss Michael Laurenz den Vogel ab, als er die seine vorpfiff. Und Georg Nigl wählte die unübertrefflich absurde Formulierung „Hab ein Wimmerl auf der Nase“ / „An das Wimmerl glaub ich nicht“… Nachdrücklicher kann sich Wiener Schmäh nicht artikulieren.
Renate Wagner 5.1.2021