Zum Teufel mit den Puppen!
Die Neuinszenierung von Beethovens „Fidelio“ in der Wiener Staatsoper wirft grundsätzliche Fragen auf. Warum musste eine Inszenierung wie jene von Otto Schenk, die so zutiefst richtig und menschlich war, überhaupt ersetzt werden? Und gar noch von dem Puppen-Habjan, der an Wiener Bühnen schon genug angerichtet hat? Wer sich zutiefst verärgert den „Nathan“ nicht stören lassen wollte oder nur mit schwer unterdrückter Wut zusehen musste, wie Salome nicht nur ihren Schlußmonolog bewältigen, sondern sich auch noch mit einer grauenvollen Puppe herumquälen musste, wird jeder neuen Belästigung durch die Geschöpfe von Nikolaus Habjan mit Schrecken entgegensehen. Und sie bleiben nicht aus, denn offensichtlich goutieren Publikum wie Kritiker (die sich „Konzepte“ vorbeten lassen und dann nachbeten) das, was er vorsetzt (und diejenigen, die es nicht mögen, halten offenbar den Mund).
Offenbar besteht das größte Talent von Nikolaus Habjan (noch vor den nicht zu leugnenden Begabungen als Puppenspieler und, wenn nötig, Sprecher) darin, sich so wirkungsvoll verkaufen zu können, dass er sich (abgesehen von zahlreichen Arbeiten in Deutschland) mittlerweile in alle Wiener Theater eingeschlichen hat. Die Staatsoper hatte ihm noch gefehlt – nun ist er mit „Fidelio“ hier eingezogen. Zum Leidwesen jener Opernfreunde, die ehrliche Arbeit mit Menschen höher schätzen als affektierte Puppenspiele.

Habjan lieferte, was man von ihm ausschließlich erwarten kann: Puppen. Diesmal verdoppelte er „nur“ zwei Figuren, man bekam also das doppelte Leonorchen und den doppelten Florestan. Und was war die Folge? Während je zwei Puppenspieler diese lebensgroßen Puppen führten, standen die (Sänger-)Menschen meist hilflos, wie bestellt und nicht abgeholt, daneben, und wussten wenig mit sich anzufangen. Da hat man also angeblich eine Leonore als Fidelio-Puppe, die sich an die Notwendigkeiten in Roccos Gefängnis anpasst, während die echte Leonore – ja was? Sie singt und spricht. Und da ist der verschmutzte, abhalfterte, wirrhaarige Puppen-Florestan im Gefängnis und daneben der zugegeben etwas wohler genährte Sänger, der auf seine Einsätze wartet. Ja und? Was bringt uns das außer Gewurle auf der Bühne, das sowohl von der Handlung wie von der Musik ablenkt? Das gibt der Geschichte keinen Mehrwert, es schädigt sie vielmehr empfindlich.
Ganz abgesehen davon ist Nikolaus Habjan als Regisseur zu „Fidelio“ so wenig Sinnhaftes eingefallen wie Paulus Hohgatterer zu seiner zeitgeistig billigen neuen Textfassung, deren Tiefpunkt darin besteht, dass Jacquino Leonore, als sie darum bittet, die Gefangenen in die Sonne hinaus zu lassen, als „Gutmensch“ beschimpft.
Die Bühnenlösung von Julius Theodor Semmelmann besteht in einer grauen Zwischenwand, die sich in verschiedenen Größen öffnet, um Schauplätze erscheinen zu lassen. Erst eine Wäschekammer, in der Marzelline und Jaquino streiten, wobei er sich als ziemlich mieser, terroristischer Kerl erweist. Eine Augenfolter ist dann ein ganz in grellem Orange gehaltenen Wohnzimmer, wo dem Regisseur einfiel. Rocco zu seiner Gold-Arie jede Menge von Kästchen hervorholen zu lassen und Goldmünzen oder Goldketten daraus zu leeren. Pizarros Mordauftrag findet in einem Büro statt, und wenn die Gefangenen eigentlich kurz aus dem Kerker heraus geholt werden sollen, besingen sie die Sonne unvermindert hinter Gittern, starr stehend, wobei es noch einige Videos zu sehen gibt, die auflösen mag, wer will.
Im zweiten Teil, dem Kerker, verwirrt sich das Spiel der beiden Puppen und der Protagonisten total, ohne spannend zu sein, und nach der „Dritten Leonoren Ouvertüre“, die nach guter Wiener Tradition hier gespielt wird, reflektiert nichts an der grauen Szenerie die unglaubliche Freude, die aus „Heil sei der Tag“ spricht.
Kurz, Habjan erzählt uns, dass „Fidelio“ eine ernste, böse, politische Oper ist. Eh schon wissen. Aber eine der schönsten. Schenk hat das neben all ihrem Schrecken realisiert, Hier gibt es nur szenische Angeberei. Abgesehen davon, dass es in der Besetzung doch Namen gibt, die man kaum oder gar nicht kennt (Ensemble-Pflege?). können sich die Sänger samt und sonders nicht mit dem messen, was man in Wien als Fidelio-Niveau erwartet (und früher auch gewohnt war)
Die Leonore der von der Direktion so geschätzten Malin Byström ist so bemüht wie farblos und kommt erst in der „Namenlosen Freude“ einigermaßen zur Geltung. David Butt Philip setzte sein „Gott!“ so schwächlich an, dass man um ihn fürchtete, erfing sich aber und war in der Folge ein kraftvoller, wenn auch immer knetschig klingender Florestan. Als Ausfall muss man den Rocco von Tareq Nazmi betrachten, zu wenig Stimme und von der Regie stellenweise angehalten, sich wie ein Schmierendarsteller zu benehmen (Huch, jetzt bin ich aber erschrocken!). Man hat schon Pizarros erlebt, vor denen man sich mehr gefürchtet hat als vor Christopher Maltman. Kathrin Zukowski (offenbar als Einspringerin) war Marzelline, Daniel Jenz der unliebenswürdige Jaquino und Simonas Strazdas kein Don Fernando, der dem Ende ein Glanzlichte aufgesetzt hätte, eher im Gegenteil.
Franz Welser-Möst packte die Musik härter an als sonst, offenbar, weil man ja auf der Bühne eine so kritische Fassung erlebt hat, die zum Nachdenken anregen soll (aber nur Ärger bereitet). Die „Dritte Leonore“ von den Wiener Philharmonikern zu hören, ist immer eine große Sache, und die werden ja an den Pulten gesessen sein.
Diese Inszenierung ist so evident schlechter als die vorige, dass man dem Direktor nur raten kann, auf seine „Elektra“-Methode zurückzugreifen, die Neuproduktion auf der Stelle wegzuschmeißen und die alte von Schenk wieder hervorzuholen. Ungeachtet der Geldverschwendung. Ungeachtet dessen auch, dass am Ende der „Fidelio“-Premiere nur zwei Buh-Rufer versuchten, etwas Widerstand in den allgemeinen Beifall zu würzen.
Renate Wagner, 17. Dezember 2025
Fidelio
Ludwig van Beethoven
Wiener Staatsoper
Premiere: 16. Dezember 2025
Regie: Nikolaus Habjan
Dirigat: Franz Welser-Möst
Wiener Philharmoniker