Wuppertal: „Faust“, Charles Gounod

Nach der Uraufführung als Singspiel mit Rezitativen 1859 und als Oper 1869 wurde sie bis heute rund 3000-mal aufgeführt allein in der Opera Paris. Gespielt wurde sie auch bei der Eröffnung der Metropolitan Opera 1883 in New York und bei der Eröffnung des Barmer Opernhauses hier schon 1876. Gounods zwölf andere Opern sind im Orkus des Vergessens untergegangen. In Deutschland wurde Gounod im Wesentlichen bekannt durch sein eher banales « Ave-Maria » über dem 1.  Prélude aus dem « Wohltemperierten Klavier », welches bei Hochzeiten gerne gesungen wird.

Das Libretto der Oper « Margarete » verengt den Blick, aber die satanische Liebesgeschichte machte durch ihren Riesenerfolg immerhin auch Goethes Weltendrama in der Welt bekannter. Da geht es nicht mehr um die Frage, was die Welt im Innersten zusammenhält, nicht um Wissenschaft und sozialen Wohnungsbau, sondern in der Mischung aus Leidenschaft, Drama, Tod, Emotionen und Mondnacht um beste Opernunterhaltung.  

© Matthias Jung

Das Ganze beginnt mit tiefen Streichern und absteigenden ernsten Celli. In seinem Studierzimmer will sich die alte, depressive, weißhaarige Faust umbringen. Gold, Ruhm und Macht bedeuten ihm nichts mehr. Er träumt von Jugend und Leidenschaft. Alles verspricht ihm der Teufel und zaubert ihm die   junge Marguerite in die Seele.  Dank Satan werden Leidenschaft und Sexualität wieder belebt: Sexismus zweier Alter im 19. Jahrhundert. Dank einer genialen Zeitmaschine, einer Art Zahnarztstuhl mit großer Uhr, wird dazu aus dem alten tatsächlich ein junger Faust. Ein Chor junger Mädchen vor seinem Fenster tut das Seine dazu. Sangmin Jeon gestaltete den tenoralen Doktor Faust klangvoll hell mit nur leichten Registerunsicherheiten in hohen Höhen. Als Mephistopheles hatte für den erkrankten Erik Rousi der souveräne Almas Svilpa vom Aalto Theater Essen einspringen müssen, der diese Rolle mit großer starker Stimme und souveräner Bühnensouveränität schon im 1. Akt ausgefüllt und sich bis zum Ende noch steigerte. Im 2. Akt dirigiert der von oben herab geschwebtem rotem Teufel die Soldaten, die ihre Angst vor dem Krieg im Alkohol ertränken, auf flammenlodernder Bühne Bücher verbrennen und sich mit Hitlergruß zum Schluss des Bildes präsentieren. Da hatte Mephistopheles mit seinem bis in die Kniekehlen hängenden Zopf schon mit den Liedern von Ratte und goldenem Kalb sängerische Höhepunkte gesetzt. Siébel vertrocknen die seiner Freundin zugedachten Blumen in der Hand und Marguerite, überrascht vom teuflischen Geschmeide, legt es an. Von ihrer im Spiegel gedoppelter Erscheinung ist sie begeistert und der Zuschauer überrascht.   Dann flezt sie sich mit der Ballade vom König von Thule auf ihrem roten Sofa, zärtlich die Lehne liebkosend.  Von dem weltgewandten Dr Faustus ist sie schwer begeistert, Mephisto flirtet derweil mit der alternden Marthe (souverän gesungen wie gespielt Vera Egorova), die die Meldung vom Tod ihres Mannes sehr schnell verwunden hat.  Marguerite und Faust entdecken derweil sich und ihre Liebe. Die schluchzende Sologeige und das singende Solocello untermalen diese Szenen.  

Matthew Ferraro aus New York hat das Bühnenbild bezüglich Wohnung von Marguerite und Straße davor sehr elegant gelöst mit einem Puppenhaus von rund 2,5 m Höhe und liebevoll ausgestalteten Details auf der einen Seite der Drehbühne und verschiedenen anderen Lokalitäten (Straße, später Kirche) auf der Gegenseite der Bühne. Rote Rosen, rotes Sofa, rote Becher spiegeln Leidenschaft und Blut auf der insgesamt stets dunklen Bühne, die erst im dramatischen Schlussbild Tageslicht durchs Fenster zulässt.

Nach der Pause kommentieren die tiefen Streicher erneut das Drama. Faust der Urheber der Schwangerschafts Marguerites, hat sich abgesetzt. Siébel (lyrisch mitfühlend, ausdrucksstark Edith Grossmann) steht ihr bei. Sie betet in der Kirche unter dem Klang der Orgel zu Gott und bittet Vergebung ihrer Sünden, aber die Gottesstatue erweist sich als der Teufel selbst, wegkriechend kann sie bei hoch lodernden Flammen dieser Hölle kaum entrinnen. Gelegentliche Gesichtszuckungen lassen Krankheit ahnen. Die ungewollt Schwangere kann den hämischen Spott ihrer « Freundinnen » auch ohne social media schwer ertragen ebenso wie Valentins Erregung über die Familienschande ihrer Schwangerschaft. Dank teuflischer List bezahlt er seine Rachegelüste im Duell mit Faust mit tödlicher Verletzung und verflucht seine Schwester. Hochdramatisch in Stimme und Straßen Szene verstirbt er (Zachary Wilson) vor den Augen der Dorfbevölkerung.  In nächsten Bild Akt trifft man sich auf dem Brocken im Harz, wo Mephisto herrscht, erlebt dort eine Walpurgisnacht in wüsten Träumen, aus denen das Liebespaar sich im Gefängnis wiederfindet.

© Matthias Jung

Marguerite hat ihr Neugeborenes im Wahn getötet, ihr schizophrenes Alter Ego wird von Schergen brutal zum Schafott abgeführt. Faust will sie aus dem Kerker retten, sie widersetzt sich, hat den drängenden Teufel als solchen erkannt. Hochdramatisch stimmlich kämpft Marguerite wahnhaft mit sich und Faust. Margaux de Valenz Art lief szenisch wie stimmlich auch hier zu überwältigender Hochform auf. Ihr Gottvertrauen aber und ihre Zuversicht kann Mephisto nicht ertragen und verschwindet. Marguerite verstirbt in Frieden und Glückseligkeit, ist gerettet, wie die Engel von oben verkünden. Beim Schlusschoral des erfolgreichen Oratorien-Komponisten -mit Oratorien hat Gounod Geld verdient- kann das atemlose Publikum aufatmen. Frenetischer Applaus mit Pfiffen und Bravi brach aus für die vorzüglichen Solisten, den riesigen Chor und den Dirigenten, der sich damit von Wuppertal verabschiedet. Unterwegs zwischen den Staatstheatern Wien und Stuttgart, den Opern Helsinki und Oslo, will der 1. Kapellmeister (seit 2021/22), wie man hört, zukünftig als freier Dirigent arbeiten und sich nicht mehr an ein Haus binden. In Wuppertal muss also nicht nur ein neuer GMD gesucht werden.

Fazit: Große Oper in Wuppertal, stimmlich und szenisch vorzüglich, bietet dramatisch und elegisch reines Opernvergnügen.  

Johannes Vesper, 25. Februar 2025

Dank an unsere Freunde von den Musenblättern


Faust
Charles Gounod

Oper Wuppertal

Premiere am 23. Februar 2025

Inszenierung: Matthew Ferraro
Musikalische Leitung: Johannes Witt
Sinfonieorchester Wuppertal