Würzburg: „Otello“

Besuchte Aufführung: 8.11.2015 (Premiere: 17.10.2015)

Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan

So manchem Opernbesucher wird der neue „Otello“ am Mainfrankentheater Würzburg bekannt vorkommen. Das ist aber kein Wunder, denn es handelt sich um eine Kooperation mit dem Theater Erfurt, wo die Aufführung bereits im vergangenen Jahr über die Bühne ging und dessen Intendant Guy Montavon auch für die Regie verantwortlich zeigte.

Ray M. Wade jr. (Otello), Adam Kim (Jago)

Sieben Jahre lang hat Verdi an seinem „Otello“ komponiert. Vorangegangen war eine sechzehnjährige Schaffenspause. Nach der Premiere von „Aida“ am 24.12.1871 hatte sich der Komponist auf sein Landgut St. Agata zurückgezogen und war nicht willens, noch einmal eine Oper zu schreiben. Indes fallen in diese Zeit Überarbeitungen von „Simone Boccanegra“ und „Don Carlo“. Dass es schließlich doch noch zum „Otello“ kam, ist in erster Linie Verdis Verleger Ricordi und dem Librettisten Arrigo Boito zu verdanken. Betrachtet man sich das Werk einmal genauer, fällt auf, dass der Meister aus Buseto im Vergleich zu seinen früheren Opern seinen Stil etwas geändert hat. Insbesondere wird eine gewisse Anlehnung an die Musikdramen Richard Wagners deutlich. Der „Otello“ ist durchkomponiert, weist eine eingehende Psychologie auf und lässt auch musikalisch eine gewisse Nähe zum Werk Wagners erkennen. Die Vermutung liegt nahe, dass sich Verdi in seiner großen Schaffenspause eingehend mit Wagner beschäftigt hat.

Karen Leiber (Desdemona)

Insbesondere der „Lohengrin“ wird es gewesen sein, der den zurückgezogenen Komponisten sehr beeindruckte. Jedenfalls sind im „Otello“ mannigfaltige Ähnlichkeiten gerade mit diesem Werk zu vermerken. Diese sind auch GMD Enrico Calesso nicht verborgen geblieben. Es war einfach grandios, wie er die musikalischen Bezüge zu Wagners romantischer Grals-Oper zusammen mit dem prachtvoll aufspielenden Philharmonischen Orchester Würzburg mit großer Souveränität herausarbeitete und keinen Zweifel daran aufkommen ließ, dass Verdi seinen deutschen Kollegen sehr geschätzt hat. Insbesondere die Desdemona-Szenen, die von großer Streicherseligkeit geprägt waren, profitierten von dieser Vorgehensweise. Selten hat man das berühmte Liebes-Motiv so eindringlich und schön gehört wie unter Calesso. Wunderbar, wie er die Musik in den lyrischen Passagen aufblühen ließ. Andererseits hatte er aber auch ein gutes Gespür für die dramatischen Stellen, bei denen er die Musiker zu einer etwas robusteren Tongebung animierte. Insgesamt ging es im Graben sehr differenziert und nuancenreich zu. Der GMD holte einfach alles aus Verdis Partitur heraus, wobei ihm die Instrumentalisten zuverlässige, versierte Partner waren.

Ray M. Wade jr. (Otello), Karen Leiber (Desdemona)

Eine spektakuläre Neudeutung stellte die Inszenierung von Guy Montavon dar. Was er mit Hilfe einer ausgeprägten, flüssigen und logischen Personenregie auf die Bühne brachte, war trefflich durchdacht und in hohem Maße ansprechend. Der Intendant des Erfurters Theater deutet den „Otello“ überzeugend als ausgesprochenes Nachtstück. Die von Francesco Calcagnini eingerichtete abstrakte Bühne, die das Schiff Otellos darstellt, ist durchweg dunkel ausgeleuchtet. Kein Tageslicht dringt in den geschlossenen Raum hinein. Alles wirkt eng und klaustrophobisch. Dass unter diesen Voraussetzungen die Gefühle des extrem gestressten Protagonisten schließlich eskalieren, ist durchaus nachvollziehbar. In der Enge und Abgeschlossenheit des Raumes müssen sie letztlich zur Explosion kommen. Es ist ein auswegloses, in sich abgeschlossenes Ambiente, in dem Jago bei einem Schachspiel den von ihm manipulierten Otello schachmatt setzt. Der Sturm, der zu Beginn mit Hilfe von auf- niederwallenden, übereinandergelagerten visuellen Impressionen eindrucksvoll erzeugt wird, ist psychologisch zu deuten und steht für das enorme emotionale Chaos in der Psyche der Titelfigur. Der über der Bühne schwebende riesige Spiegel drückt zudem trefflich die Reflexionen ihrer Seele aus.

Adam Kim (Jago)

Hier ist indes nicht Jago der Spiritus rector, sondern der venezianische Staat, dessen Streitmacht Herr Calcagnini, von dem auch die Kostüme stammen, graue Uniformen aus der Zeit um 1950 verordnet hat. Venedig hat den dunkelhäutigen, strategisch sehr bewandten Feldherrn nur benutzt, um sich durch dessen ausgeprägte militärischen Fähigkeiten seiner äußeren, politischen Feinde zu entledigen. Nach getaner Arbeit braucht man ihn nicht mehr. Er hat seine Schuldigkeit getan und kann gehen. Das ist aber noch nicht alles. Weil Otello für den venezianischen Staat zu gefährlich geworden ist, trachtet dieser danach, ihn zu vernichten. Jago wird eingesetzt, um den unliebsamen Feldherrn mit Hilfe einer Intrige derart bloßzustellen, dass man ihn beseitigen kann. Die Verleumdung Desdemonas dient mithin als Mittel zum politischen Zweck. Die Gattin Otellos erfährt in Montavons Deutung eine erhebliche Aufwertung. Wie es bereits vor zwei Jahren Bruno Berger-Gorski am Theater Bremerhaven getan hat, befreit auch er sie von dem Stempel der passiven Heulsuse und macht aus ihr eine starke, selbstbewusste Frau, die im letzten Akt sogar versucht, Otello mit Hilfe einer Attrappe zu täuschen, was ihr letztlich aber nicht gelingt. Am Ende wird Otello von Ludovico mit einer kleinen Pistole eliminiert und Jago für seine gelungene Arbeit gelobt – eine recht makabre Szene, die sich aber bestens in den Kontext der gelungenen Inszenierung einfügt.

Ensemble

Von den Sängerin(innen) vermochte an erster Stelle Karen Leiber für sich einzunehmen, die sich Montavons Konzeption der Desdemona bestens zu eigen gemacht hat und voll in ihrer Rolle aufging. Selten hat man die Frau Otellos darstellerisch so kraftvoll und intensiv erlebt wie in Frau Leibers Darstellung. Auch gesanglich entsprach sie ihrer Rolle mit hervorragend fokussiertem, italienisch geführtem, warm und gefühlvoll klingendem jugendlich-dramatischem Sopran, der auch zu langen Bögen fähig war, voll und ganz. Da war es nicht weiter erstaunlich, dass das Lied von der Weide und das Gebet im vierten Akt die vokalen Höhepunkte der Aufführung wurden. Gut entwickelt hat sich Ray M. Wade jr., der mit insgesamt gut sitzendem, dramatisch angehauchtem und prägnant eingesetztem Tenor einen achtbaren Otello gab. Dass einige Höhen etwas runder hätten ausfallen können, tut der insgesamt sehr soliden Leistung keinen Abbruch. Keinen guten Tag hatte Adam Kim als Jago. An diesem Abend ließ seine Stimmkraft zu wünschen übrig. Er stand etwas neben der Rolle, die er stimmlich leider nicht ganz ausfüllen konnte. In Enrico Calesso hatte er aber einen einfühlsamen, hilfsbereiten Dirigenten. Es drängte sich der Verdacht auf, dass Kim indisponiert war und sich nur nicht ansagen ließ. Es wäre interessant, ihn einmal im Vollbesitz seiner baritonalen Kräfte zu hören. Der Emilia lieh Barbara Schöller ihren gut verankerten, tiefsinnigen Mezzosopran. Yong Bae Shin war ein ordentlich singender Cassio. Schönes Tenormaterial, das indes noch etwas mehr der Reife bedarf, brachte Joshua Whitener für den Roderigo mit. Etwas hart und nicht gerade italienischer Natur war der Bass von Bryan Boyce in der Partie des Ludovico. Da war ihm sein Fachkollege Hyeong-Joon Ha als Herold überlegen. Gerne mehr gehört hätte man von Daniel Fiolka, der mit hellem, prägnantem Bariton einen recht passablen Montano sang. Auf hohem Niveau präsentierte sich der von Michael Clark einstudierte Opernchor des Theaters Würzburg.

Fazit: Ein interessanter Opernabend, der die Fahrt nach Würzburg wieder einmal voll gelohnt hat!

Ludwig Steinbach, 10.11.2015

Die Bilder stammen von Falk von Traubenberg