Berlin: Don Q ist zurück

Victor Ullate s Fassung von Don Quixote (nach Marius Petipa und Alexander Gorski) hatte am 16. 2. 2018 beim Staatsballett Berlin ihre Premiere. Nun ist dieses Fest des Tanzes in der Deutschen Oper Berlin wieder zu erleben. Dankenswerterweise hat Ullate sich in seiner Version weitestgehend an die klassischen Choreografien gerhalten. Seine eigenen Zutaten wirken weniger überzeugend. Sie bestimmen vor allem die erste Szene des 2. Aktes auf dem nächtlichen Feld mit den Windmühlen, wo der Einsatz der verstärkten Gitarre (gespielt von Detlev Bork) in Kompositionen von José Maria Gallardo del Rey als Fremdkörper im musikalischen Gefüge empfunden wird. Diese Musik untermalt die Auftritte der Königin und des Königs der „Gitanos“, denen das wilde Temperament der Zigeuner in Gorskis Version fehlt, was nicht Iana Balova und Olaf Kollmannsperger anzulasten ist, sondern dem Choreografen. Auch die „Gitano“­-Tänzerinnen sind in ihrem Gestus eher von orientalischer denn spanischer Anmutung. Eine Flamenco-Einlage zum rhythmischen Klatschen der Tänzer lässt danach die Spannung stark abfallen. Und Don Quixote kämpft hier nicht gegen Windmühlenflügel, sondern gegen einen kosmischen Spiralnebel, der auf dem Hintergrundprospekt erscheint. Befremdlich ist die Einspielung lärmender elektronischer Geräusche, die Quixotes Traum illustrieren, in welchem ihm bizarre Fabelwesen in roter und violetter Beleuchtung (Marco Filibeck) erscheinen. Glücklicherweise führt der zweite Teil seines Traumes gemäß der originalen Vorlage in den Zaubergarten, was Petipas klassisch-akademische Figuren zurückbringt, welche den Tänzern ein Höchstmaß an Akkuratesse und Eleganz abverlangen. Ullate hat die Figur des Cupido statt einer Tänzerin einem Tänzer übertragen, womit Dominic Whitbrook im goldenen Trikot mit einem flinken Wirbel brillieren kann. Der dritte Akt spielt hier in Lorenzos Weinkeller, die Hochzeitszeremonie im Garten von Camachos Schloss, der sich als die Alhambra von Granada darstellt.

In der Aufführung am 6. 12. 2021 gab es eine Reihe von Rollendebüts. Bemerkenswert war das von Evelina Godunova als Kitri. Die Tänzerin, noch nicht einmal im Rang einer Ersten Solistin, überraschte mit stupender technischer Bravour, die sich sogleich bei ihrem ersten Auftritt mit federnden grand jétés offenbarte. Auch die Variation im Pas de deux des 1. Aktes mit Basil imponierte in ihrem Tempo und der Brillanz. Nicht jede Balance im Hochzeits-Pas-de- deux war ganz sicher, aber dessen Schluss mit mehrfach auf dem Punkt gedrehten fouettés spektakulär.

Auch Daniil Simkin als Basil gab in dieser Fassung sein Rollendebüt. Rassig und temperamentvoll, dabei stets elegant, konnte er in jedem Moment überzeugen. Exzellent seine Variation im letzten Pas de deux und die spektakulären grand jétés à la manège.

Gegen dieses Paar fallen die beiden Rollendebütanten Sarah Brodbeck als Straßentänzerin Mercedes und Alexandre Cagnat als Torero Espada stückgemäß etwas ab, aber immerhin bieten beide die rassige Allüre und er in seiner Variation des 3. Aktes eine bestechende Haltung gemäß der Escuela Bolera.

Zu nennen sind noch Federico Spallitta, der den eitlen, heiratswilligen Gecken Camacho skurril zeichnet, ohne ich ganz zur Karikatur zu verzerren. Yevgeniy Khissamudinov sichert dem Titelhelden die Sympathien des Publikums durch würdevolle Darstellung, während der Sancho Pansa in Ullates Choreografie aufgewertet wird, was Alexander Shpak mit effektvollen Einlagen zu nutzen weiß. Robert Reimer bringt die rhythmische Verve der Musik mit dem Orchester der Deutschen Oper Berlin zu mitreißender Wirkung..

Roberta Guidi di Bagno ist eine renommierte italienische Ausstatterin, aber man hat von ihr schon weit stimmigere Arbeiten gesehen. Diese hier ist etwas kunstgewerblich mit Hintergrundprospekten und Soffitten aus kunststoffartigem Material. Die Kostüme sind allzu Gold-, Silber- und Glitzer-verliebt. Vor allem das silbern funkelnde Kleid von Mercedes und Espadas silberner Torero-Anzug scheinen wie aus einem anderen Stück ausgeborgt. Sogar Camacho und der Don müssen am Schluss goldene Kostüme tragen. Immerhin hat die Ausstatterin folkloristische Buntheit vermieden, die Kleider von Kitri und ihren Freundinnen mit Volants und Blumendekor wirken duftig und leicht. Der anhaltende Beifall am Ende war verdienter Lohn für eine hochkarätige Aufführung.

Bernd Hoppe 8.12.2021