Berlin: „Onegin“ zum 95. Male

Seit der Premiere am 9. November 2003 gehört das Ballett Onegin in der Choreografie von John Cranko zu den beliebtesten Aufführungen der Berliner Compagnie. Am 27. 11. 2021 bejubelte das Publikum in der voll besetzten Staatsoper die 95. Aufführung. Sie bekam ihren Glanz durch den Auftritt von Polina Semionova als Tatjana, die sich nach der durch die Geburt ihres zweiten Kindes bedingten Pause wieder in souveräner Form präsentierte. Bewundernswert gelang ihr die Darstellung des jungen Mädchens in seiner Anmut und Gefühlsverwirrung. Im Traum-Pas-de-deux sieht man schon die erwachende junge Frau, deren Sehnsucht nach Liebe sich zu leidenschaftlicher Hingabe steigert. Die Tänzerin vereint hier starken Ausdruck und tänzerische Perfektion, wie auch in ihrem Solo bei der Geburtstagsfeier. Überwältigend schließlich Tatjanas verzweifelter innerer Kampf im Widerstreit der Gefühle, als Onegin ihr seine Liebe gesteht und sie sich dennoch für Gremin entscheidet. Alejandro Virelles hatte in diesem letzten Pas de deux seine beste Szene, aber insgesamt kam sein Rollendebüt als Titelheld trotz solider technischer Bewältigung zu früh. Für die Formung des Charakters fehlt es ihm einfach noch an Reife und Ausdrucksfacetten. Noch problematischer geriet das zweite Rollendebüt des Abends. Suren Grigorian als Lenski ließ es – vor allem im Auftritt – an technischer Sicherheit fehlen. Auch vermisst man bei ihm die federnde Leichtigkeit der Sprünge, die Eleganz in der Ausformung der Figuren. Immerhin sah man in seinem Solo vor dem Duell erste Ansätze für eine hoffentlich positive Entwicklung. Gebührend leicht und kokett war die Olga von Alzée Sicre, Gremin hat man in seiner fürstlichen Autorität schon stärker gesehen als von Konstantin Lorenz. Während Martina Böckmann für die Amme zu jung und zu unprofiliert ist, bedeutet Barbara Schroeder für die Larina in ihrem damenhaften Charme und der mütterlichen Fürsorge noch immer einen Besetzungsglücksfall. Am Pult der Staatskapelle Berlin sorgte Ido Arad für musikalischen Glanz, konnte freilich Bläsermisstöne im letzten Bild nicht verhindern.

Bernd Hoppe, 28.11.21