Berlin: Der Dawson-Abend beim Berliner Staatsballett

Große Worte – kleine Taten

Eine Berliner Erstaufführung und eine Weltpremiere vereint der neue Abend beim Staatsballett in der Deutschen Oper. Sein Titel Dawson verweist auf den Schöpfer der beiden Arbeiten – den englischen Choreografen David Dawson, den man in Deutschland vor allem durch seine Tätigkeit beim Ballett Frankfurt und dem Semperoper Ballett Dresden kennt.

Das erste Stück (für einen Tänzer), Citizen Nowhere, wurde 2017 beim Het Nationale Ballet Amsterdam uraufgeführt. Die vom Tonträger eingespielte Musik stammt von dem Polen Szymon Brzoska, der regelmäßig mit Choreografen zusammenarbeitet. Ihre sphärischen Melismen gleichen dem Weltraum-Sound aus einem sciene fiction-Film, biedern sich in ihrer Gefälligkeit dem Ohr des Hörers an, sind aber vom Kitsch nicht weit entfernt. Das Ballett imaginiert in 13 Porträts Saint-Exupérys Erzählung vom Kleinen Prinzen, was freilich eher eine Behauptung darstellt, als das sich die Handlung des Buches durch den Tanz erschließen würde. Gelegentlich werden in Eno Henzes Bühnengestaltung im Hintergrund, auf dem anfangs Buchstaben in wildem Taumel rasen, Schriftzeilen sichtbar, welche Sätze aus der Geschichte zitieren.

Das tänzerische Vokabular ist rein neoklassisch, der Bewegungsfluss sehr dynamisch und fließend mit vielen schnellen Drehungen und Balancen auf Halbspitze. Die abgewinkelten Hände sind eine Eigenart des Choreografen, dessen Erfindungsreichtum sich sonst in Grenzen hält. Auch erfüllt diese Arbeit nicht den im Programmheft formulierten Anspruch, die Kunstform des Tanzes zu erneuern. Dabei ist Olaf Kollmannsperger ein glänzender Interpret, der das fordernde Solo von fast dreißig Minuten mit bewundernswerter Kondition absolviert, mit viriler Eleganz ein Muster an ästhetischem Anblick bietet.

Auch das zweite Stück, Voices, obwohl eine Neuschöpfung, erfüllt die Vorgabe nicht, Neues zu wagen. Sieben Paare in farbigen Trikots (Kostüme: Yumiko Takeshima) absolvieren auf der leeren Bühne, die von Bert Dalhuysen in unterschiedlichen Pastellfarben ausgeleuchtet wird, eine Dauerschleife von Drehungen und Hebungen zu Max Richters monotoner Musik – einem Streicherteppich, über dem die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 in mehreren Sprachen rezitiert wird, und darüber hinaus in Form einer Collage Klavierakkorde, Vogelstimmen und raunende Stimmen ertönen. Aus der exzellenten Tänzergruppe ragt Aya Okumura heraus, die in ihrem Solo mit agiler Energie gefallen kann. Vor allem aber imponieren Polina Semionova mit fraulicher Eleganz und ihr zuverlässiger Partner Alejandro Virelles. Sie bestreiten den letzten Pas de deux, der einige starke Momente bereithält, das Stück in seiner ermüdenden Einförmigkeit und dem altmodischen Zuschnitt aber nicht retten kann. Das Premierenpublikum am 26. 9. 2021 sah das anders und jubelte euphorisch.

Bernd Hoppe, 29.9.2021