Kaiserslautern: „Friedenstag“ mit „Metamorphosen“

Vorstellung am 05.10.2014 (Premiere am 27.09.2014)

Der Friede wird nicht gewonnen, wenn der Hass andauert

Die Oper Friedenstag geht auf das Drama "Die Kapitulation von Breda" den spanischen Dichter Pedro Calderón de la Barca zurück. (Historisch 1625) Strauss‘ Librettist Stefan Zweig fertigte 1934 auf Wunsch des Komponisten einen "1648" genannten Entwurf des Librettos an. Zweig schwebte eine Parabel auf die politische Situation im Dritten Reich vor. Die Arbeit am Libretto wurde durch Zweigs Emigration unterbrochen. Auf Zweigs Empfehlung wurde es dann von Joseph Joseph Gregor ausgeführt, mit dem Strauss auch bei späteren Arbeiten nie richtig warm wurde und der der letztlich einen kalten, wenig opernhaften Text vorlegte. Die Handlung des einaktigen Werks spielte nun im Festungswerk einer belagerten Stadt im Oktober 1648, also im Jahre des Westfälischen Friedens. Am 24. Juli 1938 kam es im Nationaltheater München unter der Stabführung von Clemens Kraus zur Uraufführung. Ihm und seiner Frau Viorica Ursuleac, die auch die weibliche Hauptpartie sang, war die Partitur gewidmet.

Karsten Mewes (Kommandant der belagerten Stadt)

Dass Strauss, der bis heute von selbst ernannten politisch Korrekten immer wieder in die Nähe des Nationalsozialismus gerückt wird, sein Antikriegs- und Friedensjubelstück 1938, als Aufrüstung und Kriegshetze der Nazis nicht mehr zu übersehen waren, in seiner zur „Stadt der Bewegung“ mutierten Heimatstadt uraufführen konnte, ist wohl der Tatsache zu verdanken, dass Strauss schon zu Lebzeiten ein Denkmal geworden war. Selbst die Nazis mussten dem Stück zujubeln und der „Führer“ gab sich die Ehre, um den im Werk inhärenten Pazifismus für sich zu reklamieren. So kam es zu einer Welle von Produktionen im Dritten Reich, bis mit Kriegsausbruch Pazifismus nicht mehr angesagt war, das Stück in der Versenkung verschwand und ein wirklicher „Friedenstag“ in weite Ferne gerückt war. Sehr kurz ist aber auch eine Liste mit der Aufführungsgeschichte des Werks nach dem Krieg, denn Friedenstag kommt trotz seiner musikalischen Sonderqualität nur noch ganz selten auf die Bühne. Selbst im Strauss-Jubiläumsjahr findet man den Einakter nur in Kaiserslautern. Für die nur 75 Minuten Aufführungszeit des Stücks benötigt man ein Strauss-Orchester, bedeutenden szenischen Aufwand (wenn man es nicht als Oratorium aufführen will), ein großes Sängerensemble sowie Chor und Extrachor. Als Kombinationsstück für einen Doppelabend ist es daher auch noch nicht entdeckt worden.

Nun ist man in Kaiserslautern auf die Idee gekommen, Strauss mit Strauss zu kombinieren und hat quasi als Epilog zu Friedenstag dessen „Metamorphosen“ als szenisches Nachspiel gebracht. In diese halbstündige Elegie für 23 Streicher hat Strauss 1945 seine Trauer über die Zerstörungen des Kriegs hineinkomponiert, vor allem natürlich über die Zerstörung der meisten Musiktheater und Konzertsäle in Deutschland. (Zerstörte Säle können keine Tantiemen bezahlen!) Dass diese Verwüstungen eine unausweichliche Folge eines verbrecherischen Durchhaltezwangs im Kriege sind, wird durch die Kombination der beiden Stücke bekräftigt.

Karsten Mewes (Kommandant), Maria Lobanova (Maria, sein Weib)

Es könnte ein konventioneller Opernstoff sein: die Überlagerung von historischem Geschehen (Dreißigjähriger Krieg) mit einer Beziehungsgeschichte (Der Kommandant und seine Frau); aber die politische Komponente überwiegt bei weitem, und die ist zudem völlig zeitlos. So legt die Regisseurin Kerstin Maria Pöhler die Handlung in eine zeitlose Gegenwart. Dazu hat der Ausstatter Herbert Murauer eine Stahlgitterkonstruktion auf die Bühne gestellt. Sie sieht aus wie eine halbversenkte Brückenkonstruktion und wird von einem modernen Kommandostand überragt. Dort harrt der Kommandeur der Dinge, während sich unten die im Elend versinkende Zivilbevölkerung und die rohe Soldateska in modernen Uniformen bewegen. Der Kommandant berichtet von dem vom “Kaiser“ (da kann man sich auch etwas anderes denken!) erhaltenen Durchhaltebefehl. Er ist auf den „Kaiser“ vereidigt und muss dem Befehl folgen, koste es, was es wolle. Zweigs ursprünglichen Vorstellungen folgend, bleibt trotz der präzisen historischen Verzeitung des Werks sonst alles im allgemeinen: eine belagerte Festung ohne Namen, alle handelnden Figuren bis auf eine bleiben namenlos und sind nur durch ihre Funktionen gekennzeichnet.

Aus der beziehungsreichen und nicht mit einer eindeutigen Botschaft versehenen Inszenierung lässt sich herauslesen, dass die wegen des Waffenstillstands erfolgende Übergabe der Festung an die Belagerungsarmee und deren Kommandanten, „den Holsteiner“, als Siegfrieden der Gegenpartei empfunden wird. 1918/1919 wird hier mit-inszeniert. Dass es kein Versöhnungsfrieden ist, wird im Epilog dargelegt. Während der 30-minütigen Metamorphosen reißen sich die Bevölkerung und die Festungstruppen die angelegten weißen Friedensbinden wieder von den Oberarmen. Einzeln treten sie mit Mimik und Gestik zwischen Resignation und Hass vor, werden auf einer Projektionsfläche abgebildet und treten dann nach hinten ab. Maria, die Frau des Kommandanten bleibt fragend allein zurück. Der Friede ist nicht gewonnen, lautet die letzte leider banale Botschaft: man braucht ja bloß die Tagesschau einzuschalten, um das festzustellen. Ganz dazu passend war der „Holsteiner“ als homo politicus im Schweinwerferlicht mit Leibwächtern vom Saal her auf die Bühne geschritten und wollte vor allem ein Medienspektakel veranstalten. Sein Auftreten: glatt und „alternativlos“. Ein ungemütliches Ende der Oper. Befreiungs/Friedens-Fanfare und der abschließende C-dur-Jubel der Oper (an Beethovens Fidelio gemahnend) versanken im Abgesang der Metamorphosen, im Abgesang auf das zerstörte kulturelle Umfeld Mitteleuropas, an das Strauss bis zuletzt hatte glauben wollen. Aus diesem Opernabend wird man nicht ohne tiefe Bewegung entlassen.

Chor und Extrachor des Pfalztheaters sowie oben: Peter Floch (Schütze), Alexis Wagner (Wachtmeister), Maria Lobanova (Maria)

Einige wenige Zutaten der Inszenierung hätten vielleicht etwas weniger drastisch sein können: Misshandlung, Verhöhnung und Erniedrigung des Piemontesen, der Dokumente durch die feindlichen Linien geschleust hatte, oder der Quickie, den der Kommandant und seine Frau noch vollzogen, als sie den Feind nahe glaubten. Das war unnötig im Kontext der genügend deutlichen Personenzeichnung und -Führung: die Soldaten als völlig desolater, geschlagener und verrohter Haufen und deren Konfrontation mit der hungernden und verzweifelten Zivilbevölkerung. Dazu kam die sehr wirkungsvolle Lichtregie von Manfred Wilking, der durch flache Schrägbeleuchtung aus der Bühne heraus das Bühnengeschehen bedrohlich auf die Seitenwände des Theatersaals ausweitete. „Es ist tragisch, dass wir Menschen es nicht fertig bringen, dass endlich Frieden auf der Welt herrscht. Solange Frieden und Krieg aber ausschließlich eine Frage des Geldes und nicht der Ethik ist, wird es auch nie Frieden geben.“ stand auf den Flugblättern, die zum Schluss der eigentlichen Oper in den Zuschauersaal geworfen wurden. Diesen oder einen anderen Zusammenhang zu finden, hätte man getrost auch den Zuschauern überlassen können; dieser Text ist unmotiviert im Blick auf die Inszenierung, naiv, wohlfeil und überflüssig.

Maria Lobanova (Maria)

Von der musikalischen Seite des Abends konnte man sehr angetan sein. Es musizierte das Orchester des Pfalztheaters unter seinem GMD Uwe Sandner, der sicherlich alle seine Musiker im Graben versammelt hatte, wo sie sehr konzentriert aufspielten. Dem Sujet angemessen ist die Musik des Friedenstags bei aller Straussschen Klangopulenz viel herber, als sein sonstiges Spätwerk. Es tönte streckenweise Kriegsgeschehen mit scharfer musikalischer Suggestivkraft aus dem Graben in einer Tonsprache, die auf die Schrillheit seiner früheren Einakter, vor allem Elektra zurückgreift. Kein abgehobener plaudernder Konversationston, dabei aber jeder Takt unverkennbarer Strauss in einer originellen Partitur. Ulrich Nolte hatte Chor und Extrachor einstudiert. die auch szenisch recht gefordert waren und zum finalen Jubelchor Saal und Bühne von der Seite eintretend füllten. Fast zwangsläufig kam es bei diesem letzten großen Chorauftritt zu Koordinationsproblemen.

Für die drei Hauptrollen waren Gastsänger engagiert. Karsten Mewes brachte mit dunkel donnerndem Bassbariton die uneinsichtige Härte des Kommandanten stimmlich wie darstellerisch gut herüber. Die Höhen der Partie machten ihm indes zu schaffen. Maria, sein Weib (die einzige Namensrolle) stellt eine der großen Strauss-Partien für jugendlich-dramatische Sopranistinnen dar. Maria Lobanova stellte sich bravourös den großen Anforderungen dieser Rolle, wobei eine anfängliche Enge der Stimme bald durch kraftvoll aufblühende Höhen und sichere Intervallsprünge vergessen gemacht wurde. Carsten Süss gab mit feinem und schlang geführten Tenor den Bürgermeister, als Friedenssucher antagonistisch zum Charakter des Kommandanten. Wieland Satter als Holsteiner verlieh mit rundem, sonor strömendem Bass dem „Holsteiner“ stimmlich überzeugendes Profil und war darstellerisch ganz nach dem Vorbild ubiquitär und allabendlich auftretender Politiker in schickem Zwirn gesteckt. Alexis Wagner gab mit verlässlich kraftvollem Bass und nobler Statur den Wachtmeister. Während Arlette Meißner in der tragischen Rolle der Frau aus dem Volke hingebungsvoll aufging, war Daniel Böhm als salbungsvoller Prälat ohne Konturen gezeichnet. Daniel Kim wurde zum Opfer einer Straussschen Tenoristenrolle, mit der an diesem Abend nicht zurechtkam und nur schwankendes stimmliches Profil verlieh. Mit Peter Floch hingegen gestalteter ein weiterer Haustenor die Rolle des Schützen stimmlich souverän und stellte sich darstellerisch perfekt der ihm zugewiesenen posttraumatischen Belastungsstörung. Die weiteren kleinen Rollen wurden von Sängern des Opernchors gestaltet.

Für musikalisch und politisch gleichermaßen Interessierte und dem Theater nicht gänzlich Abgeneigte aus der Region ist diese Produktion des Pfalztheaters fast ein „Muss“. Vielleicht interessiert sich ja auch ein anderes Theater für eine Übernahme. Das könnte durchaus lohnend sein, denn schon die Lauterer Produktion hat auch überregional Interesse erregt und Zuschauer angezogen. Die Produktion kommt in Kaiserslautern noch am 02.11., 06. und 12.12.2014 und wird am 05.02.2015 noch einmal in Ludwigshafen im Pfalzbau gezeigt.

Manfred Langer, 21.10.2014
Fotos: Jörg Heieck

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