Köln: „Hedwig and the Angry Inch“

Volksbühne am Rudolpflatz, 12.08.2018

Off-Broadway in Deutschland

Immer wieder entdecken am New Yorker Off-Broadway neue Musicals das Licht der Welt. Einige schaffen den Sprung an den Broadway oder auch über den Ozean nach Europa, andere sind hierzulande leider nie zu erleben. Und dies, obwohl in den Werken oft ein großes Potential für kleine, aber feine Musicalproduktionen steckt. Doch vielleicht wird sich hier in Zukunft etwas ändern, in Hamburg hat sich der Verein OFFstage Deutschland e.V. gebildet als Initiative zur Förderung von Off-Musical in Deutschland. In Frankfurt ansässig ist das noch junge Produktionsunternehmen offMUSICAL, die dort sehr erfolgreich mit den beiden Musicals „Hedwig and the Angry Inch“ und der Deutschlandpremiere von Green Day‘s „American Idiot“ gestartet sind. Die Premierenproduktion von offMUSICAL war nun auch in Berlin und Köln zu sehen.

„Hedwig and the Angry Inch“ ist ein Werk, welches es inzwischen auch auf den Spielplan ambitionierter Stadttheater geschafft hat, zuletzt war es u. a. im Theater Trier zu sehen und vor wenigen Jahren am Landestheater Linz, dennoch ist es weitestgehend unbekannt obwohl das 1998 uraufgeführte Musical im Rahmen eines Broadway-Revivals im Jahr 2014 mit vier Tony Awards ausgezeichnet wurde. Zur Handlung heißt es in der Presseankündigung: „Die talentierte, doch international ignorierte Rock-Chanteuse Hedwig wird auf ihrer Welttournee mit der eigenen tragikomischen Vergangenheit konfrontiert: Als Hänsel Schmidt in Ost-Berlin aufgewachsen, überredet sie der amerikanische GI Luther zur Übersiedlung in die USA und zur Geschlechtsangleichung. Leider geht diese katastrophal schief und von ihrem Glied bleibt ein „Angry Inch“ zurück. Verlassen und ausgenutzt, weder Mann, noch Frau führt sie ihr Weg nun auf die Volksbühne am Rudolfplatz. Sie ahnt nicht, dass dieses Konzert ihr Leben für immer verändern wird.“

Der Zuschauer begibt sich nun auf eine rund 110minütige Reise durch Hedwigs tragischkomisches Leben, erzählt in Rückblicken durch die „Dame“ höchstpersönlich. 11 Songs, meist sehr rockig, hin und wieder aber auch durchaus gefühlvoll bilden den musikalischen Rahmen des Werkes von Stephen Trask (Musik und Texte) und John Cameron Mitchell (Buch). Unter der musikalischen Leitung von Dean Wilmington besteht die Band, die ebenfalls den Namen „The Angry Inch“ trägt, zudem aus Jonas Wiesner an der Gitarre, Sebastian Michaeli am Schlagzeug und Jan Nicolai Schmidt am Bass. Zusammen bilden sie eine formidable Rockband. Als Hedwig gibt Michael Kargus mit toller Stimme die Titelfigur musikalisch stark, allerdings gelingt es ihm nicht immer, die tragischen Momente wirklich bewegend ins Publikum zu transferieren. So sind es insbesondere die humorvollen Stellen im Werk, bei denen man als Zuschauer wirklich rundum zufrieden ist. Auch die große Diva die ihren Ehemann Yitzhak unterdrückt um klar zu machen wer hier der Star ist, bringt Kargus glaubhaft rüber.

Ganz hervorragend Kathrin Hanak in der Rolle des Ehemanns, meist rollenbedingt zurückhaltend aber bei Ihrem Solo „Unterm Strich“ grandios. Während die Zwischentexte, die von Michael Kargus und Thomas Helmut Heep (der sich auch für die Inszenierung verantwortlich zeichnet) lokal angepasst wurden, komplett auf Deutsch sind, bleiben einige Lieder unübersetzt. Ganz hervorragend inszeniert ist das Ende, bei dem sich Hedwig endlich komplett dem Zuschauer öffnet und mit „Midnight Radio“ den vielleicht stärksten Auftritt des Abends auf die Bühne bringt.

Sicherlich ist „Hedwig and the Anry Inch“ nicht der Geschmack jedes Lesers, dennoch zeigt dieses Werk einmal mehr, wie breit gestreut modernes Musiktheater heute sein kann und dass Musical viel mehr ist als eine reine Cash-Cow in Form von beispielsweise „My Fair Lady“ oder aktuell auch „Spamalot“. Auch dass sich Anspruch und Musical nicht gegenseitig ausschließen, sondern prima ergänzen können, zeigt uns offMUSICAL Frankfurt an diesem Abend. Im Januar 2019 schickt man nun auch Green Day´s „Amerian Idiot“ auf Tour durch Bielefeld, München, Stuttgart, Essen und Saarbrücken, in Berlin ist man bereits am 31.08. und 01.09. dieses Jahrs zu Gast im Admiralspalast.

Markus Lamers, 13.08.2018
Fotos: © Agnes Wiener / Niklas Wagner