Ludwigshafen: „Regina“

Premiere: 21. 11. 2013 (Premiere in Kaiserslautern: 21. 9. 2013)

Plädoyer für Demokratie

Es war schon eine echte Rarität, die der Pfalzbau Ludwigshafen in Kooperation mit dem Pfalztheater Kaiserslautern hier ausgegraben hat: Mit der Premiere von Lortzings Oper „Regina“ in der Originalfassung, für die der Komponist selber das Libretto verfasst hatte, konnte er einen absoluten Volltreffer für sich verbuchen. Es ist dem regieführenden Ludwigshafener Intendanten Hansgünther Heyme, von dem auch das nüchtern anmutende Bühnenbild und die gelungenen Kostüme stammen, sehr zu danken, dass er gerade dieses überaus selten gespielte, aber hochkarätige Werk dem Strudel der Vergessenheit entriss und in einer gelungenen, von ihm selbst stammenden Inszenierung erneut zur Diskussion stellte. In den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts hatte es mit Produktionen in Karlsruhe und Gelsenkirchen das letzte Mal Bestrebungen gegeben, das Stück einem breiteren Publikum bekannt zu machen. Diese waren leider nicht von Erfolg gekrönt. Relativ schnell verschwand die Oper wieder in der Versenkung und ruhte dort Jahre lang, bis sie vor einigen Spielzeiten am Prinzregententheater in München erneut, leider nur konzertant, dem Auditorium präsentiert wurde. Ein Mitschnitt dieser Aufführung ist bei dem Label cpo auf CD erhältlich.

Adelheid Fink (Regina)

„Regina“ hatte es von Anfang an schwer. Zu Lebzeiten des Komponisten hat dieses geniale Werk nie den Weg auf die Bühne gefunden, was ganz klar seiner politischen Radikalität zu verdanken war. Es geht um den Kampf für Freiheits- und Selbstbestimmungsrechte, um Streikrecht und schließlich um die Errichtung der Wiege der deutschen Demokratie aus einem Chaos von Blut und Knechtschaft heraus, was gerade zur Entstehungszeit der Oper im Revolutionsjahr 1848 massiven Widerstand hervorrief und letztlich der Auslöser dafür war, dass Lortzing immense Schwierigkeiten hatte, noch einmal eine Kappellmeisterstelle zu finden. 1851 starb er hoch verschuldet in Berlin. Dabei handelt es sich bei „Regina“ um Lortzings mit Abstand bestes Werk, das weit entfernt von der beschaulichen Biedermeierlichkeit seiner früheren Spielopern den Focus gekonnt auf eine Thematik von großer gesellschaftspolitischer Brisanz legt und dabei nachhaltig in die Fußstapfen Wagners tritt. Der Vergleich zwischen den beiden Tonsetzern springt ins Auge. Wie Wagner setzte sich auch der ebenfalls sehr avantgardistisch eingestellte Lortzing mit der Revolution auseinander. Im Gegensatz zu dem späteren Bayreuther Meister, der einen anarchistischen Weg einschlug und am Dresdener Maiaufstand von 1848 munter mitmischte, betrat Lortzing die gemäßigte Schiene und beschwor mit seiner „Regina“ eine Utopie von politischer Gleichberechtigung und Demokratie herauf. Demgemäß hat Hansgünther Heyme recht, wenn er dieses Werk als „Sprungbrett zum ‚Ring’“ bezeichnet, den er vor kurzem ja selber in Halle/Ludwigshafen so erfolgreich auf die Bühne gebracht hat.

Daniel Henriks (Stephan), Adelheid Fink (Regina), Tabea Floch (Kind)

Wagner hat Heyme bei seiner gelungenen Interpretation der „Regina“ stets etwas im Hinterkopf, ohne dabei indes an den alle staatliche Ordnung auflösenden Schluss der „Götterdämmerung“ anzuknüpfen. Vielmehr plädiert er ganz im Sinne Lortzings für die Errichtung einer Demokratie, die das politische Leben auch dauerhaft prägt. Dementsprechend verknüpft er die Handlung um die von Freischärlern entführte, den ganzen Abend über ein ausladendes weißes Schwanenkleid tragende Industriellentochter Regina, der es am Ende durch Erschießung des Anführers gelingt, eine Katastrophe zu verhindern, mit der Gegenwart. In der Tat gemahnt der Schluss, an dem der Aufrührer Stephan den Pulverturm in die Luft sprengen will, stark an die demokratiefeindlichen Selbstmordattentate der Jetztzeit, beispielsweise der Al-Quaida – eine stimmige geistige Brücke, die Heyme hier betritt, um mit den Mitteln der Opernbühne das Prinzip der Freiheit zu verwirklichen, und deren „großen Morgen“ eindrucksvoll anbrechen zu lassen. Dem entspricht es, dass der Hintergrund die ganze Aufführung über von nebeneinander platzierten Stoffbahnen in schwarz, rot und gold eingenommen wird. Auf diese Weise ständig präsent symbolisieren diese Farben der deutschen Flagge eine Vision von Freiheit und Demokratie, die keinesfalls nur Utopie bleiben darf, sondern sich auch mit Hilfe von notwendig gewordenen Kompromissen realisieren muss. Einer davon besteht in der Eliminierung der zahlreichen deutschen Einzelstaaten. Dieser Ansicht sind bereits zu Beginn die streikenden Arbeiter, wenn sie eine die Gliederung Deutschlands in Territorialgebiete abbildende Landkarte zerreißen. Das Neue muss auf dem Alten aufbauen, ohne sich dabei von Vielstaaterei und Standesunterschieden jeglicher Art beeinflussen zu lassen. Sie müssen im Interesse eines gedeihlichen Zusammenlebens der Menschen beseitigt werden. In stark zukunftsorientierter Weise werden hier die Ziele der erst viel später gegründeten SPD vorformuliert. Deutlich wird, dass die „Regina“ weniger eine Revolutions- als vielmehr eine Freiheitsoper ist. Gekonnt wirft Heyme am Ende die Frage auf, ob Deutschland heute seine demokratischen Strukturen so verwirklicht hat, wie Lortzing es sich vorstellte. Die Antwort bleibt er indes schuldig. Auch die in der grandiosen Schlussapotheose inmitten der anderen Figuren und des Chores etwas vereinsamt dastehende Regina scheint diesbezüglich ihre Zweifel zu haben. Hatte sie im ersten Akt in heiterer Unbeschwertheit ihren Geliebten Richard noch als Zweifler bezeichnet, so hat sich das Blatt jetzt gewendet. Sie wird zur großen Zweiflerin, während ihr Verlobter die neu gewonnene Freiheit geradezu hymnisch besingt.

Christoph Stegemann (Simon), Chor

Es ist eine beeindruckende Geschichtsstunde, mit der Heyme hier aufwartet und durch die Perspektive eines die gesamte Vorstellung über an einer Schulbank sitzenden Jungen erzählt, dem dergestalt die Wurzeln unserer Demokratie verdeutlicht werden. Gesäumt wird sein Platz von einem christlichen Kreuz. Wenn die Handlungsträger dieses mal anbeten, wie es Regina im zweiten Akt tut, treten sie gleichsam automatisch dabei auch in unmittelbaren Kontakt zu dem Schüler, der dadurch in die Handlung einbezogen wird und auf diese Weise den historischen Stoff auf eine sehr persönliche Weise vermittelt bekommt. So macht lernen Spaß. Und wenn man dazu noch eine überzeugende Unterweisung in zwischenmenschlichen Beziehungen erhält, erst recht. In dem Verhältnis der drei Protagonisten Regina, Richard und Stephan reflektiert Heyme die politische Lage des Geschehens und rückt sie auf eine private Schiene. Dabei interessiert ihn weniger der Emporkömmling Richard, sondern vielmehr die Figur des Stephan. Diesem gehört seine ganze Sympathie. Ihn nimmt er mit psychoanalytischem Feinschliff unter die Lupe und beleuchtet einfühlsam sein Seelenleben, um letztlich zu dem Ergebnis zu gelangen, dass Stephan Regina viel besser entspricht als der weniger interessant vorgeführte Richard. Deutlich wird, dass die Protagonistin ihr Begehren eigentlich nicht auf diesen, sondern vielmehr auf Stephan richtet. Einfühlsam geriert sich die Regielegende Heyme damit zum beherzten Anwalt des Entrechteten – ein sehr humaner Ansatz, der ihm alle Ehre macht.

Adelheid Fink (Regina), Geertje Nissen (Barbara), Ludovica Bello (Beate), Daniel Kim (Kilian)

Lortzings Oper ist ein reichhaltiges Sammelsurium herrlichster Melodien von hoher Ausdrucksintensität, bestechender Dramatik und wunderbarer Lyrismen. Sie enthält viele Elemente, die an den jungen Wagner gemahnen. Auch Anklänge an die Klangsprache eines Marschner oder Weber sind bemerkbar. Es drängt sich die Frage auf, was bei Lortzing in diesem Stil noch möglich gewesen wäre, hätte er noch weiter arbeiten können. Der Wagner-Nähe der Musik ist sich auch Uwe Sandner am Pult voll bewusst. Die Vielschichtigkeit der Partitur, ihre zahlreichen Farben und Facetten werden von ihm zusammen mit dem im Vergleich zur Premiere in Kaiserslautern erheblich konzentrierter und sicherer aufspielenden Orchester mit viel Prägnanz und Frische vor den Ohren des Zuschauers ausgebreitet, der romantische Charakter des Ganzen betont. Wunderbar bereits die emotional angehauchte Melodie von „Ich glaube kaum den schönen Traum“, die bereits während der Ouvertüre – diese bricht genau an der Stelle ab, als der von der Hinrichtung seines Freundes Robert Blum tief erschütterte Lortzing die Komposition einstellte – anklingt. Aber auch der dramatischen Seite des Werkes entsprachen Dirigent und Musiker hervorragend. Hier beeindruckte in erster Linie die fulminante Szene am Pulverturm im dritten Akt.

Daniel Ohlmann (Richard), Tabea Floch (Kind)

Leider stand es gesanglich nicht zum Besten. Adelheid Fink stürzte sich mit viel Elan und einer enormen darstellerischen Kraft in die Rolle der Regina, der sie schauspielerisch sehr gerecht wurde. Gesanglich schnitt sie insgesamt ebenfalls solide ab, neigte in der Höhe aber manchmal zu einer etwas scharfen Tongebung. In diesem Bereich wäre mehr stimmliche Anlehnung erforderlich gewesen. Für Daniel Ohlmann erwies sich die Partie des Richard als zu hoch. In der Mittellage mit durchaus angenehmem Tenor solide singend, stieß er bei den oft angestrengt klingenden Spitzentönen hörbar an seine vokalen Grenzen. Einen zwiespältigen Eindruck hinterließ Daniel Henriks als Stephan. Von seinem Äußeren her gut gewählt und auch trefflich spielend, war er in gesanglicher Hinsicht nicht in gleichem Maße überzeugend. In einigen gefühlvollen und bedächtigen Passagen seiner Arie „Was sprach der alte Tor?“ im ersten Akt war er recht schön anzuhören. Da wies sein Bariton einen ordentlichen Sitz auf, was im Übrigen leider nicht immer der Fall war. Seine Stimme saß manchmal ziemlich im Hals, was insbesondere bei den dramatischen Stellen der Fall war. Nur über dünnes Tenormaterial verfügte der nicht gerade gut focussiert singende Kilian von Daniel Kim. Das gilt auch für Daniel Ewalds Freischärler. Die stark abgesungene Geertje Nissen bewältigte die Barbara nur noch mit wenigen Stimmresten. Ordentlich gab Daniel Böhm den Wolfgang. Die besten Leistungen des Abends erbrachten der über wunderbares sonores Bassmaterial verfügende Christoph Stegemann, der ein noch ziemlich jung anmutender Simon war, und die die Beate mit ebenfalls bester italienischer Technik singende Ludovica Bello. Das Kind gab Tabea Floch. Ordentlich schnitt der von Ulrich Nolte einstudierte Chor ab.

Fazit: Eine ungemein faszinierende, packende und stark unter die Haut gehende Oper, deren Besuch sehr zu empfehlen ist. Hier haben wir es mit einem ausgemachten Juwel der Gattung „Politische Oper“ zu tun, das auch heute noch nichts von ihrer damaligen Aktualität eingebüßt hat. Nur die Vorzeichen haben sich inzwischen geändert. „Regina“ hat immer noch viel zu sagen. Deshalb wäre es überaus wünschenswert, dass sie endlich zu einem festen Bestandteil des Repertoires würde. Alle Theater, insbesondere die großen Opernhäuser, sollten dieses geniale Werk nachspielen. Auch Wagner-Sänger könnten sich hier bestens profilieren. Sind die „bessere Zeiten“, die sich Lortzing noch 1850 für sein Werk gewünscht hat, nun endlich angebrochen?

Ludwig Steinbach, 24. 11. 2013

Die Bilder stammen von Hans-Jürgen Brehm-Seufert.