Maribor: „Die Entführung aus dem Serail“

Besuchte Vorstellung am 17. Februar (zweite Vorstellung)

Eine überraschenden Neu-Deutung: Blondchen und Osmin feiern türkische Verlobung am Filmset in Istanbul

Nach ihrer kurzfristigen Absage für die Premiere, die in letzter Minute von Petya Ivanova als "Konstanze" gerettet wurde, hat am Sonntag nachmittag in der gut besuchten Oper von Maribor endlich Andrea Zakonjsek Krt als geprobte Konstanze in der zweiten Vorstellung debütieren dürfen und grossen Applaus geerntet.

Die Sopranistin ist seit vielen Jahren festes Ensemble-Mitglied und konnte auch wieder in dieser Partie beweisen, wie technisch sicher sie ihre Stimme beherrscht und die Koloraturen fordernde Partie der „Konstanze“ souverän meistert. Besonders als mit sich selbst hadernde, innerlich Zerrissene erntete die beliebte Sopranistin Applaus nach ihren Vorzeige-Arien.

Bei höchst innovastiven Regisseur Berger-Gorski fungiert Bassa Selim als Regisseur und Hauptdarsteller in einer Person. Wunderbar textdeutlich und eindringlich im Spiel war Ivica Knez vom Schauspiel-Ensemble Maribor. Die berühmt-berüchtigte Martern-Arie ist wie ein Streitgespräch a la Strindberg inszeniert, bei dem jedem klar wird, dass auch die private Konstanze eigentlich den Darsteller des Bassa Selim am Filmset liebt, aber ihrem Verlobten europäischem Kollegen Belmonte treu bleiben möchte. Was für erin schöner Einfall.

Durch den Chefdirigenten und Operndirektor Simon Krecic wird im beschaulichen Maribor ein rein slovenisches Mozart-Ensemble aufgebaut, dass sich nach einer bereits sehr erfolgreichen Zauberflöte vor vier Jahren wieder hören lassen kann.

Alle Darsteller sind hervorragend rollendeckend besetzt und auch das Orchester unter der umsichtigen Leitung von Simon Robinson verzauberte mit einem berührenden Mozartklang im schön renovierten Opernhaus von Maribor. Weitere Vorstellungen werden sogar mit einer slovenischen Zweitbesetzung aufgeführt, bei der junge Sänger aus Lubljana bzw Chor-Solisten eine Chance bekommen.

Noch nie habe ich ein solches Finale gesehen, wo Regisseur Bruno Berger-Gorski die Handlung als klassische Opern-Verfilmung an einem heutigen Filmset in Istanbul spielen lässt und Bassa Selim als verführerischer Regisseur und Schauspieler auch privat die Darstellerin der Konstanze zu fast hysterischen Ausbrüchen provoziert – ähnlich wie der türkische Darsteller des Osmin das Blondchen verführt und verwirrt. Die Regie konzentriert sich in diesem Konzept auf eine Art psychologische Paar-Analyse – wie bei Cosi fan tutte kämpfen auch hier beide Frauen als Verlobte mit ihren Treue-Gefühlen zu ihren festen Partnern und fühlen sich aber eigentlich hingerissen zu den attraktiven Männern des fremden türkischen Kultur-Kreises.

In der beschrifteten Filmhalle lässt der geniale Ausstatter Marko Japelje ein Tor in der Rückwand der Filmhalle auffahren und das Publikum schaut auf den Bosperus, auf dem zum Finale sogar ein einfahrendes Kreuzfahrtschiff anlegen kann, um die europäischen Gast-Darsteller Belmonte und Pedrillo mit ihren Partnerinnen abzuholen. Das türkische Flair wird sowohl durch Gebetsteppiche wie auch durch die wunderbaren arabisch angehauchten Kostüme von Luca Dall`Alpi betont und besonders Konstanze und Blondchen scheinen ganz dem Zauber von 1001 Nacht verfallen zu sein. Sie tragen auch privat gerne türkisch-glitzernde Kostüme und scheinen sich im Gast-Land als scheinbar Gefangene wohl zu fühlen. Im Gegensatz zu den freien Europäerinnen sind die verschleierten Frauen des Serail ganz in schwarze Burkas gehüllt und werden von den Wachen kontrolliert – da wirkt es befreiend, wenn ihnen Blondchen als Zeichen der westlichen Emanzipation einmal den Schleier abnimmt und einer arabischen Serail-Bewohnerin subtil den Lippenstift aufträgt.

Freimaurerische Elemente wie Zirkel und Winkelmass verwendet der Bassa zuerst während der Overtüre und legt sie während der Baumeister-Arie Belmonte zum Test vor, den dieser jedoch hervorragend besteht: Er nimmt die Haltung eines Suchenden ein und steht als dritte Säule in der leuchtenden Mitte. Die Gast-Light-Designerin Vesna Kolarec aus Zagreb tauchte die Bühne immer wieder in magisches Licht und konnte auch Licht-Säulen für die Freimaurer-Arie zaubern. Konstanze ist bei dieser schweren Arie, deren gefürchtete Koloraturen Martin Susnik spielend meisterte, anwesend und bekennt sich offensichtlich zu ihrer Liebe zu Belmonte.

Nicht nur stimmlich ist Martin Susnik einer der interessantesten Mozart-Tenöre zur Zeit, sondern auch darstellerisch und in der Text-Genauigkeit kann er die verschiedenen Entwicklungs-Schritte, die gerade Belmonte durchläuft, glaubwürdig verkörpern. Seine Stimme berührt in ihrem klaren Ausdruck, die Koloraturen gelingen mühelos und Martin Susnik wurde nach seinen Arien mit Bravi bedacht. Er soll auch bereits in der Zauberflöte in Maribor gefeiert worden sein und tritt regelmässig im nahen Italien auf. Von diesem Tenor wollen und werden wir sicherlich noch mehr hören.

Ein Geheimtipp scheint der bestechend schöne Koloratur-Sopran der sehr attraktiven jungen Nina Dominko als Blondchen zu sein. Ihre Stimme trägt und durchläuft mühelos alle Klippen dieser Partie.

Natürlich durften auch Video-Life-Übertragungen nicht fehlen und als ein Dreirad- Auto als Istanbuler Taxi auf die Bühne kommt, sind Lacher vorprogrammiert. Konstanze wird vom Shopping zur Filmhalle zurückgefahren, wo sie wieder ihrem Kummer erliegt und ihre Arie mit einer tragischen Sonnenbrille singen muss, um offensichtlich Anti-Depressiva von Kollegin und Freundchen Blondchen in der Garderobe gereicht zu bekommen. Beide Frauen machen ähnliches durch und verstehen sich. Wieder als Star-Sopranistin im türkischen klassischen Kostüm wirft dann Konstanze ihre Shopping-Tüten sowie ihre Gefühle dem eifersüchtigen und sie bedrängendem Bassa-Darsteller vor die Füsse.

Eine ähnlich emotial hoch aufgeladene Paar-Beziehung wie bei Bassa und Konstanze liegt auch zwischen Osmin und Blondchen vor, die sich immer abwechselnd einmal fetzend und dann wieder liebend in den Armen liegen.

Türkische Putzfrauen wie auch tanzende Flaschen am Filmset beim Vivat-Bacchus -Duett lassen schmunzeln und zeigen witzig die Hierarchie hinter der Bühne.

Berger-Gorski und sein Ausstatter Marko Japelj lassen unter dem Regisseur Bassa Selim im heutigen Istanbul spielen und im Finale werden die sozialen und finanziellen Unterschiede in der Bezahlung von europäischen und türkischen Mitarbeitern am Filmset deutlich: Osmin muss sich für seine Bezahlung in der türkischen Schlange anstellen, während Belmonte, Konstanze, Pedrillo und Blondchen mit ihren Schecks am fein gedeckten Premierentisch sitzen und mit ihren Roll-Koffern auf das Schiff warten, dass tatsächlich mit einer besteigbaren Reling einfährt.

Während der Proben am Set stellen die europäischen Paare Belmonte und Konstanze genauso wie Pedrillo und Blondche“ fest, dass ihre scheinbar harmonischen Paar-Beziehungen durch den Einfluss des charismatischen Darstellers des Regisseurs und Bassa Selim`s in Personal-Union und durch den attraktiven türkischen Darsteller des „Osmin“ ins Wanken kommen. Blondchen erliegt genau wie das Publikum dem umwerfenden Charme des jungen slovenischen Bass-Bariton`s Tomaz Stula r, der sich immer wieder den umgehängten Opern- Bauch des klassischen Osmin ablegt und als Latin-Lover mit behaarter Macho-Brust Blondchen in der Garderobe verführt.

Seine schöne, berührende Stimme sitzt wunderbar und wird technisch sauber geführt – er vereint intelligentes Spiel mit Charme und so überrascht es nicht, dass er mit seiner anziehenden Persönlichkeit am Ende Blondchen so sehr verwirrt, dass sie im Finale anstatt Istanbul mit ihrem Verlobten Pedrillo und den europäischen Kollegen zu verlassen, tatsächlich von der Reling zu den türkiischen Kollegen zurückläuft, um gemeinsam mit Osmin eine türkische Verlobung am Film-Set zu feiern, während Bassa Selim von der Beleuchterbrücke hinter Konstanze herschaut, die Istanbul mit Belmonte und Pedrillo Richtung Europa verlässt.

Durch das türkische Happy- End wirkt das gesamte Regie-Konzept eher wie eine Liebes-Erklärung an die islamische Welt, als eine Kritik an der arabischen Welt mit den brutalen Texten des Osmin, die normalerweise dazu verführen, die beiden Welten gegeneinander auszuspielen, als die gegenseitige Attraktivität zu betonen wie in Maribor.

Diese Neu-Deutung überrascht zuerst, gibt aber Sinn und könnte eine neue Diskussion über weitere Interpretationen der Entführung auslösen, in der bisher Osmin leider häufig nur als brutaler Schlächter oder als Clown dargestellt wurde. Die Anreize der osmanischen Welt auf die euroäpischen Frauen, die in der Musik angedeutet werden, sind subtil herausgearbeitet und jeder begreift die inneren Kämpfe der beiden Frauen, die sich zu Osmin und Bassa hingezogen fühlen . Osmin gewinnt zu Recht das Herz von Blondchen und das schlecht bezahlte türkische Personal scheint in seiner Lebensfreude das Leben zu geniessen, währed die gut bezahlten europäischen Kollegen emotional frustriert Instanbul gen Heimat verlassen. Konstanze reagiert sehr betroffen auf den Satz von Bassa Selim aus seinem Beleuchter-Turm Mögen Sie es nie bereuen, mein Herz ausgeschlagen zu haben. Blondchen scheint dagegen von den Türken sowohl in Lebensfreude wie auch Herzensangelegenheiten gelernt zu haben.

Sören Wicking 19.2.2019

Besonderer Dank an unseren kooperationspartner MERKER-online (Wien)

Bilder sihe unten Erstbesprechung!

P.S.

„Die Entführung“ in Maribor wird noch am 19., 21., 23. und 25 Februar gespielt