Pforzheim: „Das Rheingold“

Besuchte Aufführung: 19.9.2018, (Premiere: 14.9.2018)

Die Götter im Zirkus

Herzliche Gratulation an das Theater Pforzheim für ein rundum gelungenes „Rheingold“! Wieder einmal hat sich gezeigt, dass der Vorabend zu Wagners „Ring des Nibelungen“ durchaus nicht nur eine Domäne der großen Opernhäuser ist, sondern auch von kleinen Theatern mit Erfolg gestemmt werden kann. Die Pforzheimer Erstaufführung von Wagners Werk war in hohem Maße beeindruckend. Die szenische, musikalische und gesangliche Seite formten sich zu einem homogenen Ganzen, das einen ganz in seinen Bann zog und Lust auf die kommenden Teile des „Ring“ machte. Das Theater Pforzheim braucht den Vergleich mit größeren Häusern wahrlich nicht zu scheuen. Hier entfalteten sich wieder einmal erstaunliche Qualitäten, das ist offensichtlich. Es hat alles auf eine Karte gesetzt und haushoch gewonnen. Wenn an einigen wenigen Stellen an diesem Abend mal etwas nicht geklappt hat, so fällt das angesichts des famosen Gesamteindrucks nicht ins Gewicht. Diese gelungene Aufführung wird sicher in die Annalen des Pforzheimer Theaters eingehen.

Gespielt wurde die im Jahre 1905 für das Coburger Theater entwickelte Fassung mit reduzierter Bläserbesetzung von Alfons Abbass. Das hatte zur Folge, dass die Badische Philharmonie Pforzheim unter der versierten Leitung von GMD Markus Huber zeitweilig recht kammermusikalisch klang. Auf der anderen Seite wurde einer ausgezeichneten Transparenz Tür und Tor geöffnet. Huber setzte auf insgesamt etwas gemäßigte Tempi – im Ganzen benötigte er fast zweieinhalb Stunden – und eine breite dynamische Skala. Prägnante musikalische Höhepunkte wurden sicher aus dem Fluss der Musik heraus entwickelt und mit einer Vielfalt von Farben versehen. Dramatische Akzente kamen dabei nicht zu kurz. Obendrein wartete der GMD mit einer detaillierten Feinarbeit auf. Das alles führte zu einem abwechslungsreichen, differenzierten und nuancenreichen Klangteppich. Schade nur, dass es zum Schluss gerade beim Ertönen des Schwert-Motivs zu Wotans großem Gedanken einmal zu einem Patzer der Solo-Trompete kam. Ansonsten spielten die Musiker wirklich ansprechend. Die Musik erschloss sich dem Publikum indes anders als bei sonstigen Aufführungen. Das Orchester saß nämlich nicht im heuer überdeckten Orchestergraben, sondern im Hintergrund auf erhöhter Warte. Das führte zu einer starken Unmittelbarkeit der Gesangsstimmen und ließ zudem die handelnden Personen so nah an das Auditorium heranrücken wie nie zuvor.

Nico Wouterse (Wotan), Philipp Werner (Loge)

Da die Sänger sich demzufolge nie gegenüber dem Orchester durchsetzen mussten, hatten sie es relativ leicht. Insgesamt ist zu konstatieren, dass das Pforzheimer Theater größtenteils über ausgezeichnete Stimmen verfügt. Bis auf zwei Ausnahmen waren alle Rollen aus dem Ensemble besetzt – eine bemerkenswerte Leistung, die das hohe Niveau des Theaters Pforzheim nur noch unterstreicht. Nico Wouterse war ein kräftig und markant singender Wotan, der seinen Part auch überzeugend spielte. Leider setzte er zu Beginn bei „Auf Bergesgipfeln die Götterburg“ einmal zu früh ein. Ungewöhnlich helles, fast schon tenoral klingendes Bariton-Material von solider italienischer Schulung brachte Michael Mrosek für den Alberich mit. Er sang über weite Strecken sehr solide. Am Ende aber missglückten ihm zwei sehr angestrengt klingende Spitzentöne. Einen trefflichen Eindruck hinterließ Philipp Werner, der als Loge mit phantastischer heldentenoraler Strahlkraft beglückte. Auch schauspielerisch wurde er seinem Part voll gerecht. Diesen bemerkenswerten Sänger kann man sich auch gut als Siegmund und Siegfried vorstellen. Einen vorbildlich sitzenden und geradlinig geführten Mezzosopran brachte Dorothee Böhnisch für die Fricka mit. Ihre Schwester Freia war bei der mit gut sitzendem Sopran intensiv singenden Anna Gütter in besten Händen. Lukas Schmid-Wedekind war ein sonor und gefühlvoll singender Fasolt. Auch Aleksandar Stefanoski gefiel in der Rolle des Fafner mit klangvoller Bassstimme. Ordentlich sang Paul Jadach den Donner. Voller und runder als man es bei dieser kleinen Partie sonst gewohnt ist, gab Theodore Browne den Froh. Mit sauber dahinfliessendem, elegantem und emotional anmutendem Mezzosopran sang Lisa Wedekind die Erda. Auch als Floßhilde gefiel sie gut. Im homogen klingenden Rheintöchter-Trio gesellten sich die perfekten Stimmen von Natasha Sallès (Woglinde) und Stamatia Gerothanasi (Wellgunde) zu ihr. Gegenüber seinen allesamt mit gutem vokalem Material aufwartenden Kollegen fiel der dünn und ohne die erforderliche Körperstütze intonierende Mime von Dennis Marr ab.

Philipp Werner (Loge), Alberich

Auch die Inszenierung von Intendant Thomas Münstermann im Bühnenbild von Jörg Brombacher und Alexandra Bentele s Kostümen kann als voll gelungen bezeichnet werden. Der Regisseur hat die Handlung in einer Zirkusmanege angesiedelt, die er als Weltenkreis verstanden wissen will und deren Grundfläche bezeichnenderweise ein Ring bildet. Diese Metapher war ein gelungener Einfall. Anhand des Zirkuspersonals wird auf hervorragende Art und Weise die Allgemeingültigkeit der hier abgehandelten Konflikte vor Augen geführt. Wotan ist der Zirkusdirektor, Fricka seine Frau. Freia wird als von allen begehrte Ballerina vorgeführt, Donner und Froh erscheinen im Outfit von Artisten. Alberich macht den vom Kultur Schaffer e. V. verkörperten Nibelungen als Dompteur das Leben schwer. Mime wird als Clown interpretiert. Die Riesen sind mächtige Kraftmenschen. Anhand der Kostüme der Zirkusangehörigen wird deutlich, dass sich das Geschehen am Anfang des 19. Jahrhunderts abspielt, als das Zirkuswesen seinen Höhepunkt erreicht hatte.

Unter Münstermanns Ägide erhielt das Ganze einen kammerspielartigen Anstrich. Dadurch, dass – wie bereits erwähnt – die Sänger so nahe an die Besucher herankamen, steigerte sich die Intensität des Spiels ungemein. Auf Personenregie versteht sich Münstermann, das wurde an diesem gelungenen Abend offenkundig. Leerläufe gab es nie, alles wirkte dicht gedrängt und wie aus einem Guss. Gut herausgearbeitet waren die zwischenmenschlichen Beziehungen, überzeugend die Verwandlungen Alberichs, in denen ein Zauberschrank zum Einsatz kam. Das Rheingold wird nicht gegenständlich gezeigt, sondern durch Licht symbolisiert. Der Hort besteht aus riesigen weißen Luftballons, die in einem Netz zusammengehalten werden. Neben den Göttern ist es gerade Alberich, der den Regisseur besonders interessiert und den er durchaus nicht unsympathisch darstellt. Anhand dieser Figur wird im vierten Bild auch ein gehöriger Schuss an Brutalität mit ins Spiel gebracht: Der auf einer Gesichtshälfte entstellte Loge beißt dem Schwarzalben den Finger samt Ring ab und spuckt diesen dann Wotan vor die Füße. Dieses Bild hatte etwas Makabres an sich. Zur stummen Zeugin dieser grausamen Szene samt anschließendem Fluch Alberichs wird die seitlich in einem Rollstuhl sitzende, aufgrund ihres hohen Alters schwache Erda. Auch nach ihrer Warnung an Wotan bleibt sie noch eine Weile auf der Bühne. Hier zeigt Münstermann, dass er sich auf Tschechow’sche Elemente versteht. Am Ende hebt sich der hintere Teil des Zirkus-Rings zu Walhall und die Götter betreten über eine sich quer über die Bühne ziehenden Leuchtspur ihre Burg, gefolgt von Loge. Das war alles recht überzeugend und prägnant umgesetzt. Bravo!

Fazit: Eine insgesamt starke Aufführung, die jedem Opernfreund dringend empfohlen wird! Die Fahrt nach Pforzheim lohnt sich! Es bleibt zu hoffen, dass das Theater Pforzheim in den nächsten Spielzeiten auch die folgenden „Ring“-Teile herausbringt. Das Zeug dazu hat es. Daran besteht kein Zweifel.

Ludwig Steinbach, 20.9.2018

Die Bilder stammen von Sabine Haymann