Pforzheim: „Frau Luna“ revuemäßig

Premiere: 23. 5. 2014

Aufeinanderprallen zweier Welten

Zu einem vollen Erfolg geriet am Theater Pforzheim die Premiere von Paul Linckes „Frau Luna“. Am 2. 5. 1899 im Apollo-Theater Berlin aus der Taufe gehoben, leitete dieses überaus gelungene, heitere Werk den Siegeszug der Berliner Operette ein. Wer kennt die Glanznummern des Stücks nicht? „Das ist die Berliner Luft“ hat sich gleichsam zu einem echten Kultschlager entwickelt und Maries Lied „Schlösser, die im Monde liegen“, erfreut sich ebenfalls so großer Beliebtheit, dass es auch von Tenören oft im Konzertsaal gesungen und sogar auf Tonträger gebannt wurde. Als Beispiele dafür seien Richard Tauber und Alfons Fügel genannt. Zur Aufführung kam in Pforzheim die letzte von Lincke selbst erstellte Fassung aus dem Jahre 1922. Aus umbautechnischen Gründen wurde dabei das Vorspiel an den Beginn des zweiten Aktes gelegt. Die Pause lag mitten im zweiten Akt, noch bevor Frau Luna das erste Mal aufgetreten war.

Tonje Haugland (Frau Luna), Klaus Geber (Theophil), Maria Perit (Stella), Chor

In der Tat handelt es sich um eine sehr amüsante Angelegenheit. Man kann schon nachvollziehen, dass das Stück allmählich wieder die Aufmerksamkeit der Theaterleiter erringt. Jahrelang war es kaum mal auf den Bühnen zu sehen. Und jetzt kommt es kurz hintereinander an gleich zwei Opernhäusern zur Aufführung: Neben Pforzheim kann man es derzeit noch in Regensburg sehen. Die dortige Inszenierung von Thomas Enzinger dürfte Regisseurin Bettina Lell kennen. Zwischen ihrer Pforzheimer Regiearbeit und der Regensburger Produktion gibt es jedenfalls einige Ähnlichkeiten. Wie Thomas Enzinger stellt auch sie den revuehaften Charakter des Treibens auf dem Mond stark heraus. Das von Sibylle Schmalbrock – von ihr stammen auch die prächtigen Kostüme – entworfene Mondbild mit seinen üppigen, von zahlreichen Lichtern bedeckten Revuebögen ist ein ausgemachter Augenschmaus. Nun ist das ein Aspekt, auf den ein Regisseur sicher von sich aus kommen mag, so dass die Parallele durchaus purer Zufall sein kann. Indes erscheint Prinz Sternschnuppe in Frau Lells Interpretation als ausgemachter Elvis-Verschnitt. Dasselbe hat Enzinger in Regensburg gemacht. Das ist sicher kein Zufall mehr. Und die überzeugende Grundidee des Ganzen, dass es auf dem Mond eigentlich genauso zugeht wie auf der Erde, ist sowohl ein Grundpfeiler der Pforzheimer wie auch der Regensburger Inszenierung.

Reto Rosin (Prinz Sternschnuppe), Tonje Haugland (Frau Luna), Chor

In der konkreten Umsetzung war Frau Lells Arbeit selbstredend ganz anders als die von Thomas Enzinger. Bei ihr steht der Zusammenprall zweier Welten im Vordergrund. Die Rahmenhandlung siedelt sie in der Entstehungszeit der Operette an. Dementsprechend erscheinen die Handlungsträger im ersten Akt in Kostümen der Kaiserzeit. Der Schneider Lämmermeier hat die Uniform Kaisers Wilhelm II eindrucksvoll nachgeschneidert. Das Dach des Pusebach’schen Hauses ist für Fritz Steppke, der bei Bettina Lell englische Wurzeln hat und den Dirigenten zu Beginn ständig daran hindert, mit der Musik anzufangen – dieser Verfremdungseffekt könnte von Konwitschny sein -, ein geeigneter Ort zum Träumen. Inhalt seiner Wunschvorstellungen ist eine Reise zum Mond in seinem Stratosphären-Rückstoß-Ballon-Kreuzer, zu der ihn im Traum einige der später auf dem Erdtrabanten auftretenden Personen nachhaltig ermutigen. Auslöser für die Fahrt in den Weltraum ist indes nicht eine irgendwie geartete romantische Sehnsucht nach anderen Planeten. Vielmehr geht es darum, der in Berlin schon damals grassierenden Wohnungsnot zu entfliehen und in der Milchstrasse neue Wohngebiete zu erschließen – mithin ein ausgesprochen nüchtern anmutender Grund. Hier bringt die Regisseurin augenzwinkernd einen Schuss vorweggenommene soziale Marktwirtschaft mit ins Spiel, was durchaus vertretbar ist. Für eine solche Maßnahme bestand in der Wilhelminischen Ära durchaus Bedarf.

Tonje Haugland (Frau Luna), Edward Lee (Fritz Steppke). Chor

In dieses Fahrwasser treten auch Steppke, Lämmermeier und Pannecke – nicht so sehr die unfreiwillig mitreisende Frau Pusebach -, wenn sie ihre Reise antreten. Der Mond erscheint für sie als Ort der Zukunft. Mit Blick auf die Tatsache, dass 1969 die erste Mondlandung erfolgte, siedelt das Regieteam das Mondbild in den 1960er Jahren an. Die Rahmenhandlung weicht ausgelassenem Unerhaltungstheater mit mannigfaltigen, von Janne Geest kreierten choreographischen Einlagen, die viel zum Erfolg des Abends beitrugen. Gesang und Tanz standen hier gleichberechtigt nebeneinander und ergänzten sich aufs Hervorragendste. Trotz der optischen Dominanz der Zukunft hält man aber auf dem Mond auch die alten Zeiten in Ehren – zumindest die 1930er und -40er Jahre, aus denen der aus der Donald-Duck-Ära entliehene Wagen von Prinz Sternschnuppe stammt, der einige Schwierigkeiten hat, bei der sehr selbstbewussten und resoluten Frau Luna zu landen, die ihren ersten Auftritt im Zuschauerraum hat – Brecht lässt grüßen. Erst nach ihrem ersten Lied betritt sie über eine Brücke über den Orchestergraben die Bühne. Das ist schon ein ausgemachtes Rasseweib, das weiß, was es will und alles daransetzt, den unbeholfenen Steppke ins Bett zu kriegen. Auf dem Mond geht es wirklich nicht viel anders zu als auf der Erde. Und es verwundert nicht, dass durch die frisch eingetroffene Erdlinge der Wunsch von so manchem Untertanen Frau Lunas, einmal Berlin kennenzulernen, nur noch gesteigert wird. Das gilt insbesondere für den köstlich gezeichneten Mondgroom, der offensichtlich dem Piccolo aus dem „Weißen Rössl“ nachempfunden ist. Am Ende steht die Erkenntnis, dass es daheim doch am schönsten ist. Die Berliner verlassen den Vergnügungspark auf dem Mond und kehren zur Erde zurück. Nur Lämmermeier, der endlich seine große Liebe gefunden hat, bleibt da.

Reto Rosin (Prinz Sternschnuppe), Franziska Tiedtke ( Marie)

Gesanglich hielten sich Positiva und Negativa die Waage. Angeführt wurde das homogene Ensemble von Tonje Haugland, die wie geschaffen war für die Frau Luna. Hier haben wir es mit einer erstklassigen Operettendiva zu tun, die jede Facette ihrer dankbaren Rolle mit großer Ausgelassenheit zog. Sie sieht nicht nur blendend aus und kann gut tanzen, sondern verfügt zudem über eine treffliche schauspielerische Ader, die sie voll auszuspielen verstand. Auch gesanglich vermochte sie mit gut im Körper sitzendem, wenn auch leider nicht italienisch geführtem, ausdrucksstarkem Sopran mit schöner sinnlicher Mezzofärbung für sich einzunehmen. Ihr hohes Niveau vermochte der Fritz Steppke von Edward Lee nicht zu erreichen. Darstellerisch war er mit seinem sympathischen Auftreten und wendigen, ausgelassenen Spiel durchaus gefällig. Indes ist sein sehr dünner, kopfig und nicht gerade tiefgründig klingender Tenor noch stark entwicklungsfähig. Da vermochten Albrecht von Stackelberg und Cornelius Burger in den Rollen von Lämmermeier und Pannecke mit solideren Stimmen schon besser zu gefallen. Mädchenhafte Anmut verströmte Franziska Tiedtke als Marie, die sie mit gut fokussiertem, zur Höhe hin aufblühendem Sopran auch trefflich sang. Einfach köstlich war der Theophil von Klaus Geber. Dieser Sänger nennt eine ungemein ausgeprägte komödiantische Ader sein Eigen und wartete darüber hinaus mit immenser Spiellust auf. Und stimmlich verfügt er immer noch über beträchtliche, bestens gestützte Bariton-Reserven. Die Höhe steht ihm indes nicht mehr in gleichem Maße zur Verfügung wie früher. So ließ er beispielsweise bei „Feierabend“ das hohe fis aus. Sehr vergnüglich waren seine Szenen mit Stella, die von Maria Perit fetzig gespielt und mit solide sitzendem Sopran auch angenehm gesungen wurde. Reto Rosin gab den Prinzen Sternschnuppe in der Mittellage mit guter Stütze, kräftig und markant. Indes hätte er beim Lied „Lose muntrer Lieder“ die vom Komponisten nicht verlangten Spitzentöne der Partie lieber lassen sollen. Die waren reichlich flach und saßen überhaupt nicht im Körper. Einen maskigen Sopran brachte Cleo Schröer für die Venus mit. Übertroffen wurde sie von der mit markantem Mezzomaterial singenden Wilja Ernst-Mosouraitis in der Hosenrolle des Mars. Als Mondgroom hatte Tim Grundner die Sympathien des Publikums zurecht auf seiner Seite. Und Lilian Huynens schauspielerisch akzeptable, gesanglich aber absolut ungenügende Frau Pusebach gehört auf die Chanson-, nicht aber auf die Musiktheaterbühne. Auf der Habenseite standen weiter der von Salome Tendies gewissenhaft einstudierte Chor- und Kinderchor sowie die Schülerinnen des Ballettzentrums am Theater Pforzheim.

Maria Perit (Stella), Klaus Geber (Theophil)

Eine gute Leistung erbrachte Tobias Leppert am Pult. Er verstand es ausgezeichnet, der gut gelaunt und mit großer Verve aufspielende Badische Philharmonie Pforzheim genau die richtige Mischung aus einerseits spritzig- ausgelassener Tongebung mit leicht ironischen Untertönen und andererseits von emotional-sentimentalen Klängen zu entlocken.

Ludwig Steinbach, 26. 5. 2014
Die Bilder stammen von Sabine Haymann