Wolfsburg: Ballet BC (Vancouver)

Besuchte Vorstellung am 06. April 2018, Premiere am 05. April 2018

Bewegliche Präsenz

Zum letzten Mal finden die diesjährigen Tanzabende der Movimentos der Autostadt im VW-Kraftwerk Wolfsburg statt, denn das zur Zeit nur teilweise als Energieerzeuger genutzte Werk soll wieder voll in Betrieb genommen werden. So ist man auf der Suche nach einem neuen originellen Raum für diese ganz besonderen Aufführungen des Tanztheaters, die das gesamte Programm der Festwochen in den vergangenen 16 Jahren entscheidend geprägt haben. Als Sparten übergreifendes Motto hat man nach „Liebe“ (2016) und „Freiheit“ (2017) diesmal „Würde“ gewählt. Nach der Eröffnung des Festivals mit der Movimentos Akademie stand mit dem Ballet BC aus Vancouver gleich eine ganz besondere Company im Mittelpunkt, die 1986 gegründet wurde und zunächst noch vorwiegend im neoklassischen Stil tanzte. 2009 übernahm Emily Molnar die Leitung des Ensembles und formte die Tänzerinnen und Tänzer zu einer höchst inspirierten Gruppe für progressiven Modern Dance mit klassischen Elementen, übrigens die Einzige in ganz British Columbia. Molnars Ziel war es, die Tänzer und Tänzerinnen mit unterschiedlichen Stilen und Arbeitsweisen bekannter Choreographen vertraut zu machen. So hatte das Ballet BC zum ersten Deutschland-Auftritt ein dreiteiliges Programm unterschiedlicher Choreographen im Gepäck.

Eröffnet wurde der Abend mit „16+ a Room“ (Deutschlandpremiere), einer Choreographie, die Emily Molnar gemeinsam mit den Tänzerinnen und Tänzern 2013 erarbeitet hat. Für 16 Tänzer konzipiert, traten hier nur 13 auf (obwohl im letzten Stück sogar 18 Tänzer aktiv dabei waren). Zu elektronischer, fast durchgehend pulsierender „Musik“ des deutschen Komponisten Dirk P.Haubrich leisteten die Tänzer Erstaunliches an Beweglichkeit und Präsenz. Wie Gummipuppen konnten sie sich nahezu übergangslos verrenken, blitzartig fallen lassen, zu Gruppen ordnen oder wieder vereinzeln. Besonders im etwas ruhigeren Mittelteil entstanden immer wieder verflochtene Menschengebilde, die – durch gute Lichtregie unterstützt – starke Bilder hinterließen, die sicher noch länger in den Zuschauerköpfen abrufbar sind. Dennoch vermochten die im Vordergrund stehenden ästhetischen Elemente nicht so recht unter die Haut zu gehen. Vielleicht lag es auch an der zu häufigen Wiederholung einzelner oder auch mehrerer, im Fallen weit über die Bühne Schlitternder, was sich zu sehr abnutzte. So blieb es hier bei freundlichem Beifall.

Es folgte „Solo Echo“, eine kürzere Choreographie (20 Min.) für 3 Tänzerinnen und 4 Tänzer von der Kanadierin Crystal Pite, das 2012 in den Niederlanden uraufgeführt wurde. Zu romantischen Teilen aus zwei Cello-Sonaten von Johannes Brahms tanzten die Protagonisten mit starkem Ausdruck vor kühler Kulisse, bei durchgehend leichtem Schneefall. Der Konflikt zwischen rauer, rücksichtloser Jugend und späterer Nachdenklichkeit entwickelte sich durch Kämpfe und abrupt ausbrechende Soli allmählich zu einer gewissen Übereinstimmung. Der Bewegungskanon passte ausgezeichnet zur Musik und überzeugte das Publikum vollauf.

Den Abschluss des Abends bildete „Bill“, d.h. eine auf 30 Min. gekürzte Fassung der 2010 in Tel Aviv uraufgeführten einstündigen Choreographie von Sharon Eyal & Gai Behar nach dem Soundtrack von Ori Lichtik. Hier wurde die gefühlsarme Vereinzelung der Menschen trotz äußerlicher Angleichung (hautfarbige Ganzkörperanzüge) aufs Korn genommen; Berührungen fanden nicht statt. Große ausdrucksstarke Soli von vier Tänzern und einer Tänzerin mit vielen klassischen Anteilen wurden der roboterhaft agierenden Menge gegenübergestellt. Erst ganz zum Schluss besann man sich auf „Würde“. Wie bei den anderen Werken passte auch hier jede Bewegung, jeder Stillstand oder Veränderung optimal zur Musik.

Begeisterter Applaus dankte nun allen Beteiligten für einen gelungenen Abend mit herausragenden Momenten.

Marion Eckels, 07. April 2018

Fotos: © Michael Slobodian (16+ a Room); Wendy D. (Solo Echo); Chris Randle (Bill)

Weitere “Movimentos”-Ballettabende:

10./11. April: Company Wayne McGregor (London)

14./15. April: Compagnie DCA/Philippe Decouflé (Paris)

19. – 22. April: Sydney Dance Company

26. – 29. April: Cloud Gate Dance Theatre of Taiwan

1./2. Mai: Zero Visibility Corp (Oslo)

5./6. Mai: Grupo Corpo (Brasilien)