Wolfsburg: „Choré“

Deutschlandpremiere am 06. Mai 2015

Eleganter Tanz

Serge Diaghilew siedelte sich 1911 mit seinen Ballets Russes in Monaco an und leitete sie bis zu seinem Tod 1929. Im Laufe der folgenden Jahrzehnte gab es vereinzelte Versuche einer Wiederbelebung eines solchen Ensembles, die aber fehlschlugen. Erst 1985 wurde eine neue Ballett-Gruppe gegründet, die seit 1993 von Jean-Christophe Maillot geleitet und zu internationalen Erfolgen geführt wird. Mit der 2013 in Monaco uraufgeführten Szenenfolge „Choré“ versucht der Choreograph, auf die sich gegenseitig bedingenden Kontraste zwischen glitzernder Scheinwelt und Realität in dunklen politischen Zeiten in der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts aufmerksam zu machen. Dabei setzt er Elemente aller Tanzstile dieser Zeit vom Gesellschaftstanz über Spitzen- und Ausdruckstanz bis hin zum Stepp ein.

Der Abend begann mit elegantem Tanz der 20er-Jahre à la Fred Astaire, wobei die federleichten, fließenden Bewegungen neben Elementen des normalen Gesellschaftstanzes besonders begeisterten. Dazu waren Bühne (Dominique Drillot) und Kostüme (Philippe Guillotel) in warme Brauntöne getaucht. Das hellte sich mit Eintritt von Gene Kelly imitierenden, weiß gekleideten Tänzern auf, die sich deutlich geerdeter bewegten und auch eine Steppeinlage boten. Es folgte in großzügiger Ausstattung eine Bühnenshow mit matrosenhaften Revuegirls und dem Auftritt einer Blondine à la Marilyn Monroe. Hier wurde eine raffinierte Technik angewendet: Auf dem Boden wurde unauffällig eine große Plane ausgerollt mit unregelmäßigem Streifenmuster; gleichzeitig senkte sich ein Riesenspiegel von oben etwa im 45°-Winkel darüber. Darin sah es nun so aus, als ob die Akteure Treppen hinauf und hinunter tanzten. Faszinierend waren immer wieder die fließend aus dem Tanz hervorgehenden Hebungen und gleitenden Bewegungen.

Auf diesen Höhepunkt folgte die Ernüchterung: Eine Tänzerin mit angstvoll weit geöffnetem Mund à la Munch beobachtete entsetzt die Zweikämpfe der sie umgebenden Tänzer in gestreiften, gesichtslosen Ganzkörper-Trikots. Der Tanz entwickelte sich mit Feder-Fächern optisch bis zum Atompilz – ästhetisch sehr schön anzusehen. Mit drei Paaren gab es einen Neuanfang:Zwei der Paare bewegten sich auf einem Podest, wobei die Frau (am Seil gesichert) in relativ starrer Pose schwebte. Langsam wurden die Figuren nun in Schwung gebracht, bis sie die Männer ganz umkreisten und schließlich in deren Armen landeten. Das dritte Paar versuchte sich nahe zu kommen, stieß sich aber auch immer wieder ab – ein Neuanfang bleibt eben schwierig. Der Schluss war ein rasantes, buntes Abtanzen der 48 Tänzerinnen und Tänzer zum Applaus in hellem Scheinwerferlicht, bei dem jeder noch einmal zeigen konnte, wo seine besonderen Fähigkeiten liegen.

Der Abend wurde musikalisch passend vom Band untermalt mit Kompositionen von u.a. Bertrand Maillot, Danny Elfman und John Cage. Das Publikum bedankte sich mit Ovationen für diesen interessanten Ballett-Abend.

Marion Eckels, 07.05.2015

Fotos: Matthias Leitzke