Zürich: „Schwanensee“

Première, 6. Februar 2016

Genuß für Aug und Ohr

Mit der Rekonstruktion der Petipa/Iwanow-Urfassung hat Alexei Ratmansky eine sehenswerte „Schwanensee“-Produktion nach Zürich gebracht. Sehr stilvoll dazu passen Bühnenbild und Kostüme (Jerôme Kaplan), sowie die Lichtgestaltung (Martin Gebhardt). Dass die Neuproduktion nicht nur ein Genuss fürs Auge, sondern auch fürs Ohr ist, erfährt der Zuschauer bereits zu Beginn mit dem Oboensolo. Etwas gewöhnungsbedürftig für den „Schwanensee-Kenner“ mag zwar sein, dass viele Drehungen „nur“ auf Halbspitze geschehen, aber schliesslich ist die Choreographie über 120 Jahre alt und hat in dieser Zeit einige Veränderungen erfahren. So auch die Musik, wie z.B. im 3. Akt bei der Variation des Prinzen. Das Zürcher Publikum feiert Choreographen, Ausstatter, Tänzer und Orchester mit langanhaltendem Applaus.

Das 1. Bild handelt im Schlosspark des Prinzen Siegfried, dessen 18. Geburtstag gefeiert wird. Sowohl die Gefährten des Prinzen, als auch einige Bauern tanzen fröhlich (und synchron, ein Genuss!!) in der ländlichen Idylle, die aber nie überladen wirkt. Auch um einen Maibaum wird getanzt – „Giselle“ oder „La fille mal gardée“ lassen grüssen. Als bester Freund des Prinzen überzeugt Andrei Cozlac, welcher auch im Pas de Trois mit der lieblichen Yen Han und der technisch sauberen, aber etwas starren Giulia Tonelli souveräne Sprünge präsentiert. Alexander Jones als Prinz Siegfried trägt ein silber-weisses Kostüm, um sich von den farbenfrohen Bauern abzuheben, und verleiht, wenn auch im 1. Bild nicht viel tanzend, der Hauptrolle eine jugendlich-symathische Frische. Als Charakterpartie Wolfgang gibt Filipe Portugal einen schrulligen Erzieher des Prinzen, der optisch an einen leicht verwirrten Gandalf erinnert, und dem Alkohol und jungen Bauernmädchen nicht abgeneigt ist. Mit Nora Dürig wird die sonst sehr statische Rolle der Königinmutter enorm aufgewertet, sie hat stets eine elegante, warmherzige Ausstrahlung, vertritt aber ihren Standpunkt, dass ihr Sohn endlich heiraten solle, dennoch sehr energisch. Prinz Siegfried geht gemeinsam mit Benno und den Jägern zum See, wo ihm die verzauberte (und bezaubernde) Odette erstmals begegnet. Mit Vollmond und schwimmenden Schwänen im Hintergrund beginnt das 2. Bild, auch dies ist sehr stilvoll gestaltet, man fühlt sich direkt in eine andere Zeit versetzt. Interessanterweise sind Benno und die Jäger während des 2. Bildes immer wieder präsent, auch wird der Pas de deux von Prinz und Odette zum Pas de trois mit Benno, während die Jäger sich friedlich zwischen die Schwäne stellen. Diese tanzen übrigens alle mit längeren Tutus und offenen Haaren.

Und nun zur Titelheldin: In den letzten Jahren haben in Zürich Starballerinen, wie Polina Semionova und Alina Cojocaru für „Schwanensee-Sternstunden“ garantiert – besonders erfreulich ist es nun, dass das Ballett Zürich mit Viktorina Kapitonova eine brillante, hauseigene Solistin für die Première stellt, nachdem sie in der Spoerli-Inszenierung einige Repertoirevorstellungen hervorragend bestritten hat. Meistens erlebt man Ballerinen, welche entweder den weissen oder den schwarzen Schwan besonders gut tanzen, Kapitonova ist eine der wenigen, die beide Rollen darstellerisch gleichwertig setzen kann, und dies auf sehr hohem Niveau. Ihre Armhaltung ist schlichtweg wunderschön, genauso stellt man sich den weissen Schwan vor, elegant, aber auch melancholisch und ängstlich, bis sie dem Prinzen vertraut. Besonders gut gelingt ihr dann der Kontrast zur selbstbewussten, koketten Odile, die auch gerne ein paar mal dem Prinzen während dem Pas de deux die Augen zuhält, damit er Odette im Hintergrund nicht sehen kann. Technisch ist sie nunmal sehr souverän, genau wie Alexander Jones, welcher im 3. Bild nun endlich tänzerisch mehr zeigen kann.

Dass das Ballett Zürich auch in Charaktertänzen eine Augenweide (besonders in den schönen Kostümen) ist, beweist es im 3. Bild, wie etwa im spanischen Tanz (Francesca Dell’Aria, Tars Vandebeek, Juliette Brunner und Jesse Fraser), im ungarischen Tanz (einmal mehr hervorragend: Yen Han mit Cristian Alex Assis), sowie das Corps de Ballet im neapolitanischen Tanz und der Mazurka.

Und dass man sich um den Nachwuchs auch keine Sorgen machen muss, sieht man vor allem im 4. Bild bei den zwei jungen Solo-Schwänen Lou Spichtig und Michelle Willems, die noch im Junior Ballett tanzen. Beide tanzen übrigens gemeinsam mit Meiri Maeda und Giulia Tonelli die vier kleinen Schwäne, in einem sehr flotten Tempo und äusserst präzise. Dass insgesamt doch 32 Schwäne auf der Bühne stehen, verdankt man den Eleven der TAZ und der Ballettschule für das Opernhaus Zürich, wenn auch grösstenteils 20-24 Schwäne tanzen, wirkt es fürs Gesamtbild nunmal besser.

Als Rotbart (tatsächlich mit einem langen roten Bart) agiert Manuel Renard, welcher durch die Liebe Odettes und Siegfrieds schliesslich besiegt wird, die Liebenden stürzen sich in den See, er stirbt, und zum Schluss sieht man die beiden Protagonisten auf einem grossen Schwan gen Himmel fahren.

Unter der Leitung von Rossen Milanov spielt die Philharmonia Zürich die wunderschöne Musik von Pjotr I. Tschaikowsky facettenreich, besonders hervorragend die Konzertmeisterin Hanna Weinmeister, sowie Philipp Mahrenholz (Oboe) und Una Prelle (Harfe).

Kurz: sehens- und hörenswert, wunderschöne Kostüme und Bühnenbild und eine hochkarätige Primaballerina!

Folgevorstellungen: 21., 26., 28. Februar, 2., 28. März, 30. April, 1., 4., 5., 6., 16., 22. Mai 2016

Katharina Gebauer 8.2.15

Bilder: Ballett Zürich