Berlin: „Rette uns, Okichi!“

Spätromantischer Japaner

Selbst eines Opernlibrettos würdig ist das Leben des japanischen Komponisten Kosaku Yamada, der nicht nur nach westlicher Art seinen Vornamen vor den Familiennamen setzen ließ, sondern der für den Siegeszug der europäischen Musik in Japan mitverantwortlich ist, das erste Sinfonieorchester Japans gründete und in seinen eigenen Kompositionen Wagner, dem Verismo und der Spätromantik mehr Raum gab als japanischen Traditionen. Ein englischer Schwager ermöglichte ihm das Musikstudium, übrigens bei zwei deutschen Lehrern in Tokio, in Berlin studierte er bei Max Bruch, hatte hier auch eine deutsche Verlobte. 1913 weilte er zu Besuch in Japan und konnte dann nicht nach Deutschland zurückkehren, weil inzwischen der Erste Weltkrieg ausgebrochen war. 1918 schickte ihn der Mitsubishi-Konzern in die USA, in den Zwanzigern sollte in Chicago die Uraufführung von „Kurofune“, „Schwarze Schiffe“ (an der Neuköllner Oper „Rette uns, Okichi!“), stattfinden, doch die Aufführung kam nicht zustande. Ein Jahr vor dem Überfall auf die amerikanische Flotte in Pearl Harbor wurde die Oper in Tokio uraufgeführt, obwohl ihre Tendenz, die Lobpreisung der Freundschaft zwischen den beiden Staaten, nicht der allgemeinen Stimmung entsprach. Als der Komponist 1965 starb, hinterließ er 1600 Werke, darunter mehrere Opern.

Die Neuköllner Oper, immer auf der Suche nach in Berlin oder gar Deutschland noch nie gespielten Werken, wenn man nicht gerade zu Uraufführungen greift, hat die Zweieinhalbstundenoper auf 80 Minuten und damit auf die Dreiecksgeschichte zwischen der Geisha Okichi, dem Samurai Yoshida (Yamada selbst stammte aus einer Samurai-Familie, die wegen des Machtverlustes der Kaste ins Elend gestürzt wurde) und dem amerikanischen Konsul, der mit vier Schiffen angereist ist, um als erster Amerikaner japanischen Boden zu betreten und das Land für den Handel mit den USA zu gewinnen. beschränkt Okichi soll den Konsul becircen und töten, denn die Samurais sind gegen die Öffnung des Landes nach Westen. Sie verliebt sich natürlich in ihn und ist auch dem Auftraggeber des Mordes, Yoshida, zugetan. Nach langem Hin und Her beschließt der Shogun, das Regierungsoberhaupt, den Konsul und damit westliche Einflüsse ins Land zu lassen. Japan tut den ersten Schritt zu einer modernen Großmacht.

Rein musikalisch gesehen ist die Neuköllner Aufführung japanischer als die Musik der Oper an sich, denn durch den Einsatz eines urjapanischen Instruments, der Sho-Flöte, die nur von ganz wenigen Musikern noch beherrscht wird, bekommt die Aufführung im kleinen Studio des Hauses viel japanisches Flair. Naomi Sato, die auch das Schlagwerk bedient gehört zu den wenigen Musikern, von denen selbst das Orchester des Tenno nicht genug zur Verfügung hat.

Auf einem Laufsteg mit einigen Stufen und einem mastartigen Gestänge an einem Ende (Bühne und Kostüm Yassu Yabara) begrüßen die drei Mitwirkenden mit Puppen das hereinkommende Publikum, vielleicht eine japanische Tradition, wer weiß das schon. Die japanische und die amerikanische Fahne stehen einander gegenüber. Die Darsteller von Ochiki und dem Konsul tragen wie die anderen Musiker hellblonde Perücken, was, da die eine Japanerin und der andere Afroamerikaner, einen gewissen Verfremdungseffekt hat. Regisseur Tomo Sugao sorgt für einen zügigen, pausenlosen Ablauf des Geschehens, lässt den Zuschauer durch Textprojektionen auch den historischen Hintergrund verstehen. Die Lichtregie (Ben Artmann) zaubert interessante Effekte. Aki Schmitt, wie der Name verrät, deutsch-japanischer Abstammung, ist verantwortlich für das Arrangement (Die Partitur wurde von der Tochter des Komponisten zur Verfügung gestellt.) und hat sowohl die musikalische Leitung wie die Begleitung am Klavier zur Aufgabe.

Bereits in einer asiatischen Rolle an der Neuköllner Oper aufgetreten ist die Sängerin der Titelpartie, Yuri Mizobuchi mit Mascagnis „Iris“, deren Partie allerdings viel japanischer klang als die des japanischen Komponisten Yamada. Ihr recht metallischer Sopran ist in allen Lagen gleich ansprechbar, klingt aber mittlerweile in der Höhe im Forte leicht scharf. Darstellerisch ist sie einfach perfekt und verkörpert die zwischen zwei Männern und Kulturen hin- und hergerissene Geisha auf anrührende Weise. Eine Bombenhöhe hat Edwin Cotton für den Konsul, der Übergang in die Mittellage bereitet ihm Probleme, und das Singen im Duett lässt die Partnerin schnöde außer Acht. Mehr Erfahrung im Zusammenspiel merkt man Tobias Hagge an, der einen machtvollen Bariton auch zügeln und auf die Raumverhältnisse einstellen kann. Über beachtliches Material verfügen alle drei Sänger.

Bei der der Neuköllner Oper handelt es sich um die europäische Erstaufführung, über das Schicksal des Werks nach seiner Uraufführung in Japan ist leider nichts bekannt.

Fotos Matthias Heyde

21.2.2017 Ingrid Wanja