Gut Immling: „Carmen“ und „Die Zauberflöte“

Zwanzig Jahre und kein bisschen leise – Jubiläum in Gut Immling

Aufführungen und Atmosphäre in Gut Immling sind nach wie vor Ausnahmeerscheinungen in der Opernwelt und ein Erlebnis für die Besucher. Ich merkte beim letztjährigen Gut Immling Besuch an, dass es hier ein gewisses Rauschpotential gibt, und wer einmal davon befallen wird, kaum mehr davon los kommt. Dies hat sich in diesem Jubiläumsjahr mehr als bewahrheitet.

Kaum konnte ich mit dem umtriebigen Intendanten Ludwig Baumann ein paar Worte wechseln, zu sehr lebt er mit „seinem“ Festival und seine Frau, die großartige Dirigentin Cornelia von Kerssenbrock steht ihm hier in keinster Weise nach. Es ist bewundernswert, mit welchem immensen Einsatz die beiden immer wieder ein Programm auf die Bretter stellen, welches die Besucher schlicht begeistert. Es ist bewundernswert, mit welcher Hartnäckigkeit sie versuchen, immer wieder finanzielle Quellen aufzumachen, zu behalten, zu erneuern. Und trotz aller Arbeit sprühen die Augen, wenn man mit Ihnen spricht, merkt man die bedingungslose Hingabe zu dieser Aufgabe, zu dem für mich in Deutschland einmaligem Opernfestival und zu dem Gnadenhof, dem sie neben dem Festival all ihre Arbeit und Zeit opfern, neben den vielen Konzerten, Gastspielen, Gesprächen, Vorbereitungen usw. Ich bewundere diese beiden seit nunmehr acht Jahren eigentlich immer mehr, dies ist die Zeit, die ich bisher in Gut Immling dabei sein darf. Und in diesem Jahr gibt es ein Jubiläum. Vor genau zwanzig Jahren wollte Ludwig Baumann am Halfinger Baggersee die Oper „Die Zauberflöte“ aufführen, es sollte damals mit einer Lasershow einhergehen und dann kam der große Regen und dieser hörte einfach nicht mehr auf. Also zog man kurzerhand in die neue Reithalle oben „auf dem Berg“, baute dort einfach eine provisorische Bühne auf, die Zuschauer saßen im Sand, der Geruch wurde eindeutig von den Ausdünstungen der Pferde bestimmt und dennoch war es ein so großer Erfolg, dass man spontan beschloss, dies im darauffolgenden Jahr mit zwei Inszenierungen zu wiederholen. Vor zwanzig Jahren konnten ca. 5000 Zuhörer der Oper lauschen, heute ist die Zahl auf knapp 20.000 angewachsen. Die eine Inszenierung wird heutzutage von vier Inszenierungen getragen, dazu kommen viele Konzerte und mehr. Auch die Chance, die Ludwig Baumann jungen Sängern geben wollte, hat inzwischen dazu geführt, dass eine ganze Reihe von Ihnen Ihren Weltruhm hier in Gut Immling beginnen konnten. Künstler aus 30 Nationen arbeiten und leben in den Sommermonaten hier zusammen und dieses Zusammengehörigkeitsgefühl wirkt sich erfrischend, begeisternd und umfassend auf die Festspiele aus. Musik überwindet Grenzen und verbindet Herzen, hier in Gut Immling kann man diesen Zauber ganz besonders fühlen und erleben. Am Anfang spielte man drei Wochen, inzwischen hat sich dies auf eine zweimonatige Aufführungsserie hin erweitert. Ludwig Baumann hat Immling – natürlich neben seiner charmanten Frau Cornelia von Kerssenbrock – einmal als seine „große Liebe“ bezeichnet, und die ist sie bis heute geblieben, eine Liebe, die mit den Jahren immer stärker wird, und das Publikum wird davon erfasst, ist begeistert, beeindruckt und pilgert jedes Jahr aufs Neue über schmale Pfade hoch hinauf zum Gnadenhof, mit gnadenreicher Musik. Mögen diese Festspiele noch lange andauern und weiterhin die Menschen begeistern. So, jetzt wenden wir uns aber der ersten Oper in diesem Jahr, der „Carmen“ zu.

Nun gut, ich habe die „Carmen“ schon sehr oft gesehen, in eindrucksvollen Inszenierungen und in solchen, in denen es dem Regisseur nur um seine eigene Selbstverwirklichung geht. Nun ja, diese „Carmen“ hat von allem ein bisschen.

Alin Stoica als Don José und Iryna Zhythynska als Carmen

Der Regisseur Wolfgang Tilch hat auf Zigeuner, Zigarettenmädchen, Toreros usw. verzichtet (wobei in der Übersetzung oben auf der Leinwand immer noch davon gesprochen wird – kein Wunder, die Musik ist ja Gott sei Dank dieselbe geblieben) und einen großen Konzern, der eine erfolgreiche Show veranstaltet, in den Mittelpunkt gestellt. In Ordnung, so etwas kann man machen, sollte man aber nicht unbedingt. Die Angestellten laufen mit ihren Aktentaschen auf und ab, Don José wird von seinem Handy zum Dienstbeginn gerufen, man greift zu Drogen, entflieht der realen Welt um in einer imaginären zu landen. Mich reißt das nicht mit und überzeugt es auch nicht. Ebenso wie das Bühnenbild und die recht farblosen Kostüme von Michael D. Zimmermann. Das Bühnenbild besteht praktisch aus einer feuerroten, leicht verstellbaren Wand, der gesamte Hintergrund ist feuerrot und das durch alle vier Akte hindurch. Der Platz vor der Fabrik, das Schmugglerlager, die Stierkampfarena, halt das heißt ja jetzt „The Biiiiig Fight“ Showbühne, alles in Rot. Das ermüdet doch sehr, mir persönlich – und jetzt habe ich auch einmal eine Kritik an Gut Immling anzubringen – gefällt es gar nicht. Das ganze läuft für mich etwas lustlos ab, die Spannung fehlt, das mitreißende, was ja normalerweise eine „Carmen“ auszeichnet. Gott sei Dank gibt es aber noch die Musik – und die entschädigt doch für einiges.

Deniz Yetim als Micaela und Alin Stoica als Don José

Im Orchestergraben sind die Münchner Symphoniker und sie werden geführt von Cornelia von Kerssenbrock. Und jetzt ist auch die Behäbigkeit der Szenerie vorbei. Leidenschaftlich, voller Feuer agieren die Münchner und Cornelie von Kerssenbrock feuert sie immer weiter an, sie lässt sie voller Inbrunst spielen, nimmt sie aber auch ganz sängerdienlich dort zurück, wo die Stimme der Solisten überdeckt zu werden drohen. Das was der Inszenierung fehlt, das Feuer, der mitreißende Klang, wird hier auf vortrefflichste vorgelebt. Man merkt auch richtig die Freude der Dirigentin am leidenschaftlichen Musizieren, sie lebt mit ihren exzellent auftrumpfenden Musikern mit. Und dann tritt der ganz große Star dieser „Carmen“ auf und eigentlich müsste die Oper am heutigen Abend „Micaela“ heißen, so feurig, hinreißend, großartig auftrumpfend und die Reithalle bis in die letzte Ecke ausfüllend setzt sich die junge türkische Sopranistin Deniz Yetim durch. Ihr leuchtender klangvoller, warmer und vollmundiger Sopran berührt nicht nur Don José, sondern auch das Publikum. So anrührend hat man die Arie der Micaela „Je dis que rien ne m’épouvante – Ich tat, als ob mich nichts berühre“ und das große Duett mit Don José „Parle-moi de ma mère – Ma mère, je la vois – Du kommst von meiner Mutter“ noch nicht allzu oft gehört. Für mich die mit Abstand beste Leistung des heutigen Abends und das heißt etwas, denn es gibt keinerlei Ausfälle im Ensemble. Das Publikum hat ein Gespür für das außergewöhnliche der Interpretation und applaudiert ohne Ende. Ihr Don José ist der junge rumänische Alin Stoica, von dem man mir erzählte, dass er in der Premiere etwas zurückhaltend agiert hätte. Davon ist heute auch nicht das Geringste zu spüren. Leidenschaftlich auftrumpfend, seinen hohen kräftigen Tenor strahlend und feurig einsetzend, ist er ein außergewöhnlicher Don José, der nicht nur durch die Kraft seiner Stimme sondern auch durch die zarten lyrischen Passagen überzeugen kann. Als Carmen tritt die ukrainische Mezzosopranistin Iryna Zhythynska auf und auch sie macht ihre Sache recht gut.

Alin Stoica als Don José und Vadim Kravets als Escamillo

Ihre Stimme ist mir zuweilen etwas zu wenig durchschlagskräftig, auch geht mir ein kleines bisschen die starke erotische Ausstrahlung ab, die Don José von Micaela zu ihr treibt. Eine solide Leistung, der aber ein paar kleine Zusatzpunkte – jedenfalls am heutigen Abend – gefehlt haben. Als Escamillo, nein nicht der Torero, sondern der Star der Showbühne, tritt der junge russische Bassbariton Vadim Kravets auf und er macht seine Sache recht gut. Sieht man einmal von seinem Rockerautfit ab, kann er kraftvoll seine Auftritte gestalten, ein bisschen mehr Basstiefe wäre schön gewesen und auch ein kleines bisschen mehr auftrumpfendes Feuer. Insgesamt gesehen kann er jedoch überzeugen. Als Frasquita und Mercédés geben Leonor Amaral und Reinhild Buchmayer eine rollendeckende Gestaltung und können überzeugen. Ebenso wie Jeffrey Tarr als Zuniga, Symon Komasa als Moralés, Sheldon Baxter als Dancairo und Thomas Stückemann als Remendado. Besonders zu erwähnen auch heute wieder der Festivalchor Immling und der Kinder-Festivalchor Immling, die sich ja bekanntermaßen überwiegend aus Laiensängern der Gegend zusammensetzen. Beeindruckend, mit welchem Feuer und welcher Leidenschaft sich hier jeder einzelne mit seiner Rolle identifiziert und ganz in ihr aufgeht. Ein großer Pluspunkt von Gut Immling. Für die Einstudierung des Chores zeichnet auch Cornelia von Kerssenbrock verantwortlich. Und dann ist die Oper zu Ende, der langanhaltende Applaus verebbt und man geht zu einem ausgiebigen Imbiss ins Gastronomiezelt und versucht die hervorragenden Weine der Umgebung um den Abend ausklingen zu lassen. Und dann kommt etwas, was es nur auf Immling gibt. Begleitet am Klavier geben die Künstler des Festivals ein weiteres Konzert. Einmalig und ausgiebig. Und wenn die Stimmung im Zelt steigt, steigt auch die Laune der Künstler. Nach unserer „Carmen-Aufführung“, die exzellent war, erlebten wir noch über 80 Minuten Lieder und Arien der versammelten Künstler. Das ist mehr als bei einem normalen Konzert. Und es treten alle Künstler auf, die mit der „Carmen“ schon eine kräftezehrende Partie hinter sich haben. Aber hier auf Gut Immling ist eben nichts normal – und dies ist einfach herrlich.

Der zweite Abend bringt die Oper, mit welcher vor zwanzig Jahren alles begann „Die Zauberflöte“. Und heute habe ich an der Regie nicht das Geringste auszusetzen. Die Inszenierung stammt von Verena von Kerssenbrock und es ist eine ausgenommen erheiternde, bunte, farbenfrohe und stimmige Inszenierung.

Chuanliang Wang als Tamino

Die Geschichte vom jungen Prinzen Tamino, der seine Pamina aus den vermeintlich bösen Fängen des Sarastro retten soll, der in Wahrheit ein weiser und gerechter Herrscher ist. Die Geschichte um die böse Mutter der Pamina, der Königin der Nacht, mit welcher sich der Mohr Monostatos verbündet um seinen Herrn zu stürzen und die reizvolle Geschichte des vogelbunten Papageno, der alles kann, nur nicht schweigen und am Ende doch auch seine Papagena findet, ist stimmig und völlig nachvollziehbar auf die Bühne gebracht. Weiß geschminkte Gesichter, clownähnliche Masken böse Schlangen, die gerade mal zwei Hände lang sind, Wundertüten die verteilt werden, das alles bringt ein Schaustück zum Genießen auf die Bühne. Was mir bei der „Carmen“ am Vortag nicht so gefallen hat, wird mit der „Zauberflöte“ wieder richtig gestellt. Am heutigen Abend spielt das Festivalorchester Immlin g auf und Cornelia von Kerssenbrock macht heute dort weiter, wo sie bei der „Carmen“ aufgehört hat. Das exakt spielende Orchester wird von ihr mit leichter Hand, die aber auch wenn es erforderlich ist, die entsprechende Strenge verbreiten kann, geleitet. Auch heute gehen Orchester und Dirigentin auf die Sänger ein, so dass diese sich voll entfalten können, ohne über irgendwelche Orchesterwogen hinwegbrüllen zu müssen, wie es leider bei manchen Dirigenten immer häufiger üblich ist. Nein, hier in Gut Immling nimmt man Rücksicht aufeinander, das Publikum merkt dies und honoriert dies mit teilweise großem Applaus.

Maximilian Krummen als Papageno und Tijana Grujic als Pamina

Das Bühnenbild und die Kostüme von Corinna Gassauer sind ansprechend, sehr farbenfroh und passen in die Inszenierung. Der junge chinesische Tenor Chuanliang Wang verkörpert Tamino. Er, der aus Peking anreiste und beim Gesangswettbewerb in Immling den ersten Preis einheimste, bekam von Ludwig Baumann gleich die Rolle des Tamino angeboten und er füllt diese überraschend professionell aus. Sein warmer, leichter, strahlender lyrischer Tenor wird von ihm rollendeckend eingesetzt und er bringt für seine Jugend und Ausbildung eine völlig überzeugende Rollenverkörperung auf die Bühne. Fein differenziert, mit weichem, viele Feinheiten auskostenden Tenor bekommt er viel Applaus, für dieses beeindruckende Debüt. Auch darstellerisch ist er vollkommen „im Bild“ und macht seine Sache mehr als ausgezeichnet. Als Pamina steht ihm Tijana Grujic gegenüber. Die junge serbische Mezzo-Sopranistin wechselte erst vor drei Jahren in das Fach des lyrischen Soprans und hat damit stimmlich von beiden Stimmlagen einiges zu bieten, was der Rolle sehr zu Gute kommt. Mit weichem vollem und sicher geführtem Material gibt sie eine überzeugende Rollengestaltung und kann auch vom darstellerischen punkten. Maria Kublashvili kommt aus Georgien und singt eine blitzsaubere koloratursichere Königin der Nacht, die ihre Koloraturen wie gestochen in die Luft wirft. Mit dramatischem Ausdruck setzt sie präzise und blitzsauber Ton für Ton.

Maximilian Krummen als Papageno und Siglind Buchmayer als Papagena

Es macht Spaß diesen Tönen zu lauschen. Maximilian Krummen ist Papageno. Der junge Bariton, der in Fürth in Franken geboren wurde, kann stimmlich voll überzeugen. Mit kräftiger Stimmgewalt, die auch ein breites Spektrum umfasst, weiß er zu überzeugen. Vom darstellerischen ist er sehr bemüht und kann den bunten Vogel Papageno überzeugend am Publikum vorbeiziehen lassen. Seine Papagena ist in ihrer recht kurzen Rolle eine reizende Siglind Buchmayer, die mit klarem frischen Sopran genau in die Rolle passt. Der Bassist Giorgi Kirof gibt mit mächtiger Röhre Sarastro und beeindruckt sowohl von der Stimme als auch von der Ausstrahlung und Statur. Thomas Stückemann gibt den Monostatos, er fügt sich gut in die Rolle ein, stimmlich ist er mir etwas zu zurückhaltend. Alle weiteren Rollen, vor allem auch die drei Knaben sind sehr gut besetzt, es gibt im gesamten Ensemble keinen Ausfall. Lobend sei wieder der Festivalchor Immling erwähnt, der – wie immer – vor allem durch seinen bedingungslosen Einsatz punktet. Ich gehe beschwingter aus dieser Aufführung heraus als am Vortag. Insgesamt gesehen ist es ein festivalwürdiges Programm, ich bin gespannt, was sich Ludwig Baumann, seine Frau Cornelia und deren Schwester Verena von Kerssenbrock fürs nächste Jahr einfallen lassen wird. Eines ist jetzt schon sicher, dem Zauber von Gut Immling kann man sich einfach nicht entziehen.

Manfred Drescher 25.07.16

Bild 2 bis 4 Nicole Richter, Bild 1, 5 bis 7 Opernfestival Immling