Gut Immling: „Tosca“ & „Hoffmanns Erzählungen“

Auch bei fast tropischen Temperaturen ist Gut Immling ein einmaliges Erlebnis

Wie jedes Jahr Fahrt in den Chiemgau und wieder einmal die Erwartung, dass es ja einmal etwas schwächer mit den Aufführungen wird und der Rezensent auch endlich ein paar kräftige Kritikpunkte anbringen kann, warum heißt er denn sonst Kritiker? Das Ende vom Lied, wie jedes Jahr hochbefriedigt und der ganz feste Vorsatz zum 20jährigen Jubiläum im nächsten Jahr natürlich wiederzukommen. Gut Immling besitzt ein gewisses Rauschpotential, wer einmal davon befallen wird, kommt eigentlich nicht mehr davon los – oder nur sehr schwer.

Im Gespräch mit dem Opernfestival-Intendanten und Opernsänger Ludwig Baumann kann man auch in diesem Jahr wieder die Leidenschaft erkennen, mit der er sich mit seiner Frau, der musikalischen Leiterin Cornelia Gräfin von Kerssenbrock in das Wagnis Festspiel stürzt, wie er und seine Frau ihr ganzes Herzblut in diese Aufgabe stecken – und das merkt man in Gut Immling an allen Ecken und Kanten. Und nicht nur diese beiden Hauptakteure sind mit Leib und Seele dabei, auch alle anderen, so die Schwester der Dirigentin Verena von Kerssenbrock, die für „Hoffmanns Erzählungen“ ein hervorragendes Bühnenbild zaubert, einfach, aber extrem beeindruckend und auch ihre Inszenierung hat Hand und Fuß, der „Bühnenbildner“ Claus Hipp, der wieder alles in die „Tosca“ legte und ein beeindruckend einfaches aber äußerst vielseitig verwendbares Bühnenbild schuf und so könnte man weiter vorangehen. Das große Sternenzelt von Gut Immling, ein ehemaliges Zirkuszelt, welches weit über 500 Personen aufnimmt, kann vor und nach der Vorstellung besucht werden.

Hier kann man die Künstler – auch das sicher einmalig in der Szene – in Liedern und Arien noch lange nach Ende der Oper erleben, dabei ein exzellentes internationales Buffet oder auch ein Essen á la carte genießen, welches von der guten Seele des Siam Restaurants, der äußerst netten, aufmerksamen und kompetenten Chefin Hilde Chueprasert zusammen mit Son Chueprasert und vielen anderen verantwortet wird. Hilde Chueprasert springt von Tisch zu Tisch, gehen kann man dazu nicht sagen, denn sie ist immer in Bewegung, die mit jedem ein nettes Wort wechselt, dabei alles im Griff hat, das ist schon außergewöhnlich. Aber hier in Gut Immling ist halt alles ein bisschen außergewöhnlich. Hier spielt alles zusammen, auch der Zusammenhalt der Künstler ist einmalig, die hier bei den Proben auch menschlich zusammenwachsen, gemeinsam mit den vielen Tieren, die auf dem Gnadenhof von den Baumanns nach einem erfüllten Leben, ihre letzte Reise gut versorgt und liebevoll behütet, antreten können.

All das ist eine Komposition, die mich jedes Jahr aufs Neue schwärmen lässt, und die mich auch veranlasst, wo ich es kann, für diese einmaligen Festspiele zu werben. Immer wieder Höchstleistung zu bieten und oftmals an die finanziellen Grenzen zu stoßen und nicht immer zu wissen, ob es im nächsten Jahr genügend Sponsoren gibt, ist auch nicht unbedingt ein erstrebenswertes Lebensziel. Bei den Baumanns scheint es aber so zu sein, denn sie haben bisher alle noch so schwierigen Untiefen bravourös umschifft und ich wünsche Ihnen von Herzen, dass dies auch in Zukunft so bleibt. Wie habe ich im letzten Jahr geschrieben: „Jeder Opernliebhaber sollte mindestens einmal in seinem Leben nach Gut Immling gefahren sein (wobei, wenn er einmal dort war, er immer wieder kommen dürfte).“ In diesem Jahr hatten wir in der Pause zu „Tosca“ wieder einen wunderschönen Sonnenuntergang (auch das gehört zu Gut Immling), den ich Ihnen nicht vorenthalten will. So, jetzt wenden wir uns aber der ersten Oper in diesem Jahr, der „Tosca“ zu.

Am ersten Abend „Tosca“ von Giacomo Puccini. Der Regisseur Karsten Bohn verlegt das Stück vom Jahr 1800 in das Jahr 1940 und erzählt von einer Frau, die in die große Politik gerät und dort aufgerieben wird. Das Böse breitet sich überall aus und ist fast nicht aufzuhalten. Ledermantel, ein imaginärer Polizeistaat,

überall sitzt der Schrecken und der Tod, die Menschen können dem nicht entfliehen. Schlicht und einfach gehalten, ebenso wie die Bühne von Claus Hipp. Acht große verschiebbare Säulen, rechteckig und den jeweiligen Verhältnissen angepasst, bestimmen das Bühnengeschehen. Eine stimmige Lichtregie (verantwortlich Arndt Sellentin) , die alles in die entsprechenden Farben taucht, düster und hoffnungslos. Die Kostüme von Bettina Richter passen sich dem an. Florian Maier ist für die Dramaturgie zuständig. Man hat hier mit geringem Einsatz der entsprechenden Mittel den optimalen Effekt erzeugt. Man muss dabei ja auch immer die Gegebenheiten der Bühne von Gut Immling in Betracht ziehen. Ich bin ja ein Verfechter der „alten“ Inszenierungen, nicht desto trotz ist diese Tosca durchaus ansehenswert. Die Münchner Symphoniker haben einen guten Tag unter der energischen und zielstrebigen Leitung von Cornelia von Kerssenbrock. Ohne große Gestik kann sie das Orchester führen, die Schicksale der einzelnen Handelnden herausarbeiten und zum Höhepunkt hinarbeiten.

Sie ist auch eine gefühlvolle Begleiterin der Sänger, die nicht unter den Klangwogen zugedeckt werden, obgleich das Orchester in den rein orchestralen Passagen wohl zu zeigen weiß, was alles in ihm steckt. Eine beeindruckende Leistung von Dirigentin und Orchester. Ebenso beeindruckend wie in jedem Jahr der Festivalchor Gut Immling. Dieser Laienchor, in dem jeder Sänger sich in die Rolle wirft, als wenn er den Hauptpart der Oper singt, ist schon sehr beeindruckend, die Leidenschaft und die Gefühlsaufwallungen der Chormitglieder sind sicherlich beispielhaft. Für die Einstudierung des Chores zeichnet auch Cornelia von Kerssenbrock verantwortlich.

Als Tosca brilliert die junge russische Sopranistin Elena Stikhina. Sie tritt zum ersten Mal in Gut Immling auf und ich kann nur hoffen, dass es nicht zum letzten Mal sein wird. Ihr kräftiger wohltönender Sopran, der darüber hinaus mit beeindruckenden leuchtenden Höhen brillieren kann, reißt das Publikum zu Beifallstürmen hin. Ein sicheres Piano, welches in den Raum zu schweben scheint, kann ebenfalls äußerst beeindrucken. Auch darstellerisch kann sie einen überzeugenden Part bieten, obwohl sich hier sicher noch einiges feilen lässt. Der innige Zusammenhalt fehlt ein ganz klein bisschen, aber dies ist nur ein beckmesserischer Einwand, insgesamt eine überdurchschnittlich gute Tosca, die auch zu Recht den Beifall auf sich ziehen kann. Ebenso wie ihr Cavaradossi, der von Mario Zhang gegeben wird. Zu ihm ist nicht allzu viel zu sagen. Er hat in Gut Immling schon als Radames, Rodolfo und Don Carlos begeistert und auch diesmal kann er sein Publikum begeistern. Sein metallischer hoher Tenor ist in jeder Position steuerbar. Eine bombensichere gewaltige Höhe und ein entsprechendes Durchhaltevermögen zeichnen ihn auch diesmal wieder aus, eine exzellente Leistung.

Darstellerisch könnte er noch etwas intensiver werden, aber Mario Zhang ist in Gut Immling einfach eine Bank, welche auch vom Publikum mit begeistertem Applaus gefeiert wird. Der edle Bariton Vladimir Chmelo, der ebenfalls aus Russland stammt, gestaltet den finsteren durch und durch bösen Baron Scarpia. Und da bin ich jetzt etwas hin- und hergerissen. Er besitzt einen wohlklingenden vollmundigen und ausdrucksstarken schönen Bariton, aber das gefährliche und grausame an Baron Scarpia kann er nur in Ansätzen verkörpern. Der chinesische Bariton Yang Li weiß in seiner kleinen Rolle als Cesare Angelotti durchaus mit weichem wohlklingendem Bariton zu überzeugen. Überzeugend sind auch zwei der Urgesteine von Gut Immling, der mit profundem wohlklingendem und durchsetzungsfähigem Bass versehene Kirill Borchaninov als Mesner und der Tenor Alik Ibrahimov mit schönen kleinen und trotzdem durchschlagskräftigem Tenor (was er und Borchaninov später im Zelt bei den Arien eindrucksvoll unterstreichen) als Spoletta. Insgesamt unter den vielen „Tosca´s“, die ich schon erleben durfte eine, die im vordersten Bereich anzusiedeln ist.

Am nächsten Abend steht die phantastische Oper von Jaques Offenbach „Hoffmanns Erzählungen“ auf dem Programm. Die Geschichte des Dichter Hoffmanns, der Stella, eine berühmte Opernsängerin liebt und mit ihr zusammenkommen möchte, sich trotzdem mit Studenten und seiner Muse betrinkt und während des Theaterauftritts Stellas die drei Geschichten seiner drei geliebten Frauen, der Puppe Olympia, der Sängerin Antonia und der Kurtisane Giuletta erzählt, endet im Rausch und in der Abkehr von Stella von ihm. Der Stadtrat Lindorf, der auch in den drei Frauengeschichten als der Bösewicht auftritt, verlässt mit ihr den Weinkeller Luthers und lässt Hoffmann verzweifelt und gebrochen zurück. Dies die unvollkommene Kurzfassung der recht verworrenen Gesamthandlung. Die Inszenierung von Verena von Kerssenbrock besticht mit ihrer Einfachheit und der damit verbundenen Transparenz. Alles ist nachvollziehbar, mit wenigen Verschiebungen auf der Bühne wird hier ein optimales – für die entsprechenden Bühnenverhältnisse Gut Immlings – Bild hergestellt. Gerade die drei „Frauenak

te“ sind farblich aufgebrochen, die Einlagen erinnern an die alten Charlie Chaplin Filme, die Masken sind bunt, teilweise knallig bunt, die Kostüme vollkommend passend, wenn auch bisweilen bis an die Grenze der Übertreibung gehend. Hier ist ausgezeichnete Arbeit geleistet worden. Einmal von Verena von Kerssenbrock, die für die Inszenierung und das Bühnenbild verantwortlich zeichnet als auch von Judith Seifert, zuständig für die Choreographie, Wiebke Horn, die sich bei den Kostümen austoben kann, bei Arndt Sellentin für das Lichtdesign und für die Dramaturgie zeichnet wieder Florian Maier verantwortlich. Das Festivalorchester Gut Immling, welches aus jungen Musikern aus über 14 Nationen besteht, u.a. von Georgien über Holland, Mazedonien, Rumänien, Frankreich, Österreich bis Australien und Bayern wird, souverän wie immer, von Cornelia von Kerssenbrock geleitet. Und wie sie es leitet, traut man dieser zarten Hand gar nicht zu. Leidenschaftlich, straff, die Tempi forsch nehmend, in den reinen Orchesterpassagen lässt sie dieses auch einmal „aus sich herausgehen“ um es bei der Begleitung ihrer Sänger wieder entsprechend zurückzunehmen. Sie ist eine sensible und vollkommen sichere Begleiterin und Lenkerin des Orchesters und des Festivalchores Gut Immling, der auch im Hoffmann glänzen kann und dies zur Genüge tut. Ein Aktivposten wie in jedem Jahr – einstudiert natürlich auch von Verena von Kerssenbrock.

Hoffmann wird von Niclas Oettermann gegeben und obwohl ich anfangs etwas skeptisch war, hat er mich mit seiner Interpretation voll überzeugt. Sein nobler, weicher, aber auch zum metallischen Strahlen gelangender Tenor ist in jedem Moment präsent, ebenso wie sein differenziertes und überzeugendes Spiel. Er bringt den zerrissenen taumelnden und sich selbst zerfleischenden Dichter eindrucksvoll auf die Bretter. Eindrucksvoll ist auch sein weiblicher Gegenpart, die Sopranistin Tatiana Larina, die alle vier Frauenpartien, die sehr unterschiedlich angelegt sind, verkörpert. Und dies tut sie mit Bravour. Die junge Russin stellt sich stimmlich überzeugend auf die Puppe ohne Seele Olympia ein, ebenso wie auf die lenkbare und sensible Sängerin Antonia, auch die Kurtisane Giuletta, die kühl und männermordend bzw. seelenstehlend auftritt, kann sie glänzend verkörpern. Ihr schöner geschmeidiger und ausdrucksstarker Sopran passt sich den unterschiedlichen Rollen optimal an, insgesamt gesehen ein total gelungener Auftritt. In der Rolle der Bösewichte Lindorf, Coppelius, Dapertutto und Dr. Miracle weiß Rhys Jenkins zu überzeugen. Vor allem mit seiner Spiegelarie kann er beim Publikum punkten. Der Waliser bringt eine überzeugende Leistung in allen Rollen Sein durchschlagskräftiger vollmundiger Bariton weiß zu überzeugen und das Publikum zu begeistern. Als Muse/Niklausse ist Antonela Barnat eine überzeugende Besetzung. Die Mezzosopranistin, die den vergeblichen Kampf kämpft Hoffmann vor sich selbst zu schützen bietet eine gute Vorstellung, sowohl vom stimmlichen als auch vom darstellerischen her. Der junge Tenor Bonko Karadjov weiß das Publikum als Andrés, Spanlanzi und Frantz zu überzeugen und teilweise auch zu Lachstürmen hinzureißen. Seine kleinen Auftritte macht er zu kleinen Paradestückchen und kann auf der ganzen Linie punkten. In den weiteren Rollen überzeugen Yang Li als Hermann und Schlemihl, Kirill Borchaninov als Crespel und Luther und Petri Vesa als Pitichinaccio.

Auch in diesem Jahr war ich wieder beeindruckt von Gut Immling, dem Ambiente und den Aufführungen – und irgendwie hat man das Gefühl, dass sich die Leistungen von Jahr zu Jahr noch steigern, obwohl dies kaum möglich sein kann. Das Geheimnis des Jubiläumsjahres 2016 hat Ludwig Baumann nur ein kleines bisschen geöffnet. Zum 20jährigen Jubiläum wird auf jeden Fall „Die Zauberflöte“ auf dem Programm stehen, das Stück, mit dem der Erfolg von Gut Immling begonnen hatte. Ich kann wie jedes Jahr nur empfehlen sich einmal hier im Chiemgau umzusehen und einen Blick auf die Festspiele zu werfen – es wird dann mit Sicherheit nicht der letzte gewesen sein.

Manfred Drescher 02.08.15

Bild 1 Opernfestival, Bild 2 Eigenaufnahme, Bild 1-3,4 und 6 Nicole Richter; Bild 5 Verena von Kerssenbrock