Heilbronn: „Dialogues des Carmélites“

Besuchte Aufführung: 10.11.2013

Im Museum der Katholikenverfolgung

Auf ein historisches Ereignis geht Francis Poulencs Oper „Dialogues des Carmélites“ zurück: Am 17. 7. 1794, also gerade mal zehn Tage vor dem Sturz Robespierres, erlitten sechzehn vom Pariser Revolutionstribunal wegen konterrevolutionärer Umtriebe zum Tode verurteilte Kameliterinnen aus Compiègne auf dem Place de la Révolution in Paris einen gewaltsamen Tod durch die Guillotine. Poulenc knüpft mit seiner zweiten Oper, die am 26.1.1957 an der Mailänder Scala aus der Taufe gehoben wurde, an Gertrud von Le Forts bereits 1931 veröffentlichte berühmte Novelle „Die Letzte am Schafott“ an. Darin wird die Geschichte der fiktiven Blanche de la Force vor dem Hintergrund der geschichtlich überlieferten Ereignisse um die Hinrichtung der Karmeliterinnen von Compiègne geschildert. Das im Jahre 1949 herausgekommene Schauspiel „Dialoge der Karmeliterinnen“ von Georges Bernanos diente Poulenc als Grundlage für das von ihm selbst verfasste Libretto seiner Oper, die im vergangenen Februar in Ulm eine hochinteressante Neuinszenierung erfuhr. Diese wurde nun vom Theater Heilbronn übernommen, wo sie ebenfalls auf großen Zuspruch des begeisterten, in großer Zahl erschienenen Publikums stieß. Und das zurecht.

Rita-Lucia Schneider (Mutter Marie); Ensemble; Foto: Jochen Klenk

Es ist bemerkenswert, dass ein Opernhaus von lediglich mittlerer Größe es schafft, dieses gewaltige Werk mit immerhin sechzehn Partien und einem stark besetzten Orchester auf die Bühne zu bringen. Nun, dem Theater Ulm ist es gelungen, und zwar auf brillante Weise. Szene, Musik und Gesang fügten sich nachhaltig zu einem sehr stimmigen Ganzen zusammen, das an Eindringlichkeit und packender Intensität kaum zu überbieten sein dürfte. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass die Inszenierung von Operndirektor Matthias Kaiser eine echte Sternstunde in Sachen hochkarätigen Musiktheaters darstellt. Er verstand es ausgezeichnet, seine Sänger logisch und stringent zu führen und wartete zudem mit einer fulminanten Bildersprache auf, die sowohl realistische als auch symbolische Elemente beinhaltete.

Maria Rosendorfsky (Blanche), Edith Lorans (Schw. Constance), Chiao Shih (Schw. Mathilde), Rita-Lucia Schneider (Mutter Marie); Chor; Foto Jochen Klenk

Marianne Hollenstein hat ihm einen gänzlich weißen Raum auf die Bühne gestellt, der im Lauf des Abends immer wieder Veränderungen erfuhr. So stellte er das Domizil der adligen Familie de la Force, das Kloster der Karmeliterinnen und das Gefängnis dar. Die Farbe Weiß war trefflich gewählt, bedeutet das im Französischen doch blanc, und Blanche ist der das Prinzip Reinheit ausdrückende Name der Hauptfigur. Weiß sind auch die von Angela C. Schuett stammenden Kostüme der Kameliterinnen, die indes mit den historischen Ordensgewändern nichts gemein haben. Der Richtplatz schließlich war im Off anzunehmen, zu dem eine durch eine Öffnung in der Rückwand führende Treppe hinaufführt. Es gehört zu den stärksten Momente der Produktion, wenn am Ende das Blut der hingerichteten Karmeliterinnen die Stufen herab und der sich freiwillig unter das Schafott begebenden Blanche entgegenströmt – ein Bild von hoher Symbolkraft. Andere visuelle Impressionen sind eher nüchterner Natur, so beispielsweise die Badewanne, in der die alte, am Ende ihres Lebens an Gott zweifelnde Priorin Madame de Croissy ihr Leben aushaucht.

Susanne Schimmack (Madame de Croissy); Foto Hermann Posch

Die optische Brücke zu Kaisers geistigem Grundkonzept schlagen die zahlreichen Bilder, die bereits zu Beginn überall im Raum an der Wand hängen und die im Lauf des Stückes mehrere Variationen erfahren, so z. B. von den Karmeliterinnen mit weißer Farbe übertüncht werden. Im Gefängnisbild sind sie dann ganz abgehängt. Die Reichhaltigkeit der Gemälde erweckt Assoziationen an ein in der Gegenwart angesiedeltes, mit Neonröhren beleuchtetes Museum. Dieses ist indes mehr geistiger Natur und als symbolische Reise der Beteiligten von der Gegenwart in die Zeit zu begreifen, in der der Katholizismus stärksten Anfeindungen ausgesetzt war wie gerade in Frankreich unter der Schreckensherrschaft der Jakobiner. Die Folge war die große Säkularisation, die hier die Karmeliterinnen zu spüren bekommen. Sie müssen ihre Nonnentracht mit bürgerlichen Gewändern vertauschen. Waren sie vorher eher eine ziemlich anonyme Gruppe, deren Mitglieder nur schwer voneinander abzugrenzen waren, sind sie jetzt viel besser unterscheidbar. Es geht in der Oper um die Fragen nach bestimmten Lebensmaximen, um die Angst und letztlich um die Gültigkeit des katholischen Glaubens. Mit Blick auf die Tatsache, dass letzterer Aspekt im Leben Poulencs eine zentrale Rolle gespielt hat, legt auch Kaiser den Focus seiner Betrachtungen auf die Jahrhunderte überdauernden Probleme des Katholizismus im Widerstreit zum Atheismus. Die vom Regisseur aufgeworfenen Fragen sind zeitloser Natur und stets aktuell, was den Museumscharakter des Bühnenbildes rechtfertigt. Dies ist die durchaus nachvollziehbare innovative Essenz des Ganzen, die von Kaiser in überzeugender Art und Weise mit Hilfe einer logischen, ausgefeilten Personenregie auf die Bühne gebracht wurde.

Edith Lorans (Constance) , Oxana Arkaeva (Madame Lidoine); Foto: Jochen Klenk

Sehr ansprechend war die musikalische Seite der Aufführung. Michael Weiger gab dem Werk eine sehr expressive, spannungsgeladene Ausdeutung, die durch wuchtige Opulenz und fulminante Dramatik gekennzeichnet war, aber auch herrliche Lyrismen und bedächtige Piani nicht vermissen ließ. Das Philharmonische Orchester des Theaters Ulm, dessen beachtliche Fortschritte wieder einmal nicht zu überhören waren, setzte die Intentionen des Dirigenten mit sehrender Intensität und klangschön um.

Maria Rosendorfsky (Blanche); Foto: Jochen Klenk

Auch die sängerischen Leistungen bewegten sich insgesamt auf hohem Niveau. Maria Rosendorfsky gab mit aufwühlendem, recht expressivem Spiel der von Angst besessenen Blanche schon darstellerisch ein hervorragendes Profil. Mit ihrem bestens focussierten, in jeder Lage gleichermaßen gut ansprechenden lyrischen Sopran vermochte sie auch gesanglich voll zu überzeugen. Eine gleichermaßen würdevolle wie auch autoritäre Madame de Croissy war Susanne Schimmack, die einen ebenfalls in allen Stimmbereichen ausgeglichenen, ausdrucksstarken Mezzosopran mitbrachte. Einer sehr emotional eingefärbten, weichen Tiefe korrespondierten perfekt angesetzte dramatische Ausbrüche, was ihre Leistung vielschichtig und interessant erscheinen ließ. Nur auf den ersten Blick etwas kühler Natur präsentierte sich Oxana Arkaeva in der Partie ihrer Nachfolgerin im Amt der Priorin Madame Lidoine. Das war eine wahrlich starke Frau, eine Kämpferin für die Sache, die immer sympathischer wurde und mit ihrem alles in allem vorbildlich sitzenden, wenn auch etwas herben Sopran bis auf wenige leicht scharf geratene Spitzentöne auch gesanglich einen nachhaltigen Eindruck hinterließ. Leichte Tongebung bei solidem Stimmsitz sowie lyrische Ausgewogenheit zeichneten die Schwester Constance von Edith Lorans aus. Eine beherzt, warm und gefühlvoll singende Mutter Marie war Rita-Lucia Schneider. Gleichermaßen vokal tadellos und intensiv präsentierten sich Eleonora Halbert und I Chiao Shih in den Rollen von Mutter Jeanne und Schwester Mathilde. Ein kräftig und markant intonierender Marquis de la Force war Tomasz Kaluzny. Wunderbares sonores Bassmaterial brachte Don Lee für den 2. Kommissar, den Kerkermeister und den 1. Offizier mit. Solide Michael Burow-Geiers Monsieur Javelinot. Nur über dünnes Stimmmaterial verfügte der Chevalier von Alexander Schröder. Eine tiefer angesetzte Stütze hätte man sich auch von den flachstimmigen Tenören Hans-Günther Dotzauer (Beichtvater) und Girard Rhoden (1. Kommissar) gewünscht. In der kleinen Partie des Dieners rundete J. Emanuel Pichler das homogene Ensemble ab. Eine gefällige Leistung erbrachte der von Hendrik Haas vorzüglich einstudierte Chor.

Fazit: Ein in jeder Beziehung rundum gelungener, spannender Opernabend, der den Theatern in Ulm und Heilbronn große Ehre macht und dessen Besuch sehr zu empfehlen ist. Vielleicht denken die Theaterleitungen ja mal über eine Wiederaufnahme nach. Ein volles Haus wäre ihnen sicher.

Ludwig Steinbach, 14. 11. 2013

Weitere Fotos bei der Erstbesprechung unten.