Innsbruck: „Il ritorno D’Ulisse in patria“

12.8.2017 (Premiere 10.8.2017)

INNSBRUCK 2017

Der Kontrabass setzt zu einem basso ostinato an. Wie bei einer Gruppenimprovisation setzen nach und nach Instrumente für Monteverdis Madrigal Lamento della Ninfa ein. Mit dem Klagegesang der Nymphe kommt die Verzweiflung Penelopes beredt zum Ausdruck. Dirigent Alessandro De Marchi – seit 2016 auch Intendant des Festivals- spricht sogar von barocken Blue Notes, weil es bei Claudio Monteverdi 1640 oft ganz ähnlich klingt wie im Jahrhunderte später aufgekommenen Jazz … Die Musikwelt feiert 2017 Monteverdis 450. Geburtstag. Und doch scheint uns die Musik dieses „Opernvisionärs“ durch sein System der Affekte gar nicht weit entfernt, im Gegenteil: Sie erscheint uns neu, frisch, heutig. Und sie geht sehr nahe.

Homers Geschichte von den Irrfahrten des Odysseus ist Grundlage für Monteverdis zweiter von drei Opern, Il ritorno d‘ Ulisse in Patria. Eine Geschichte der großen Gefühle. Und ein Hohelied auf unerschütterliche Treue. 20 Jahre wartet Penelope, immer noch im Hochzeitskleid, auf Ulisse. Etliche Freier bleiben chancenlos…

Der norwegische Regisseur Ole Anders Tandberg nimmt für eine originelle Bühnenbild-Lösung (Erlend Birkeland) ein Altstadtlokal in Oslo her: Das Grønland ist das Etablissement für die Hochzeitsgesellschaft. Altväterlich holzgetäfelt, mit einer Bühne (auf der Bühne) ausgestattet, die in quicker Bilderfolge Wolkenstimmungen und Gebirgslandschaften suggeriert. Gekonnt das Lichtdesign von Ellen Ruge. Eindringliche Bilder zeigen Ulisse bei seinen Irrfahren und Penelope in allen Schattierungen einer zwanzigjährigen psychischen Ausnahmesituation.

Tragisches und burlesk Komödiantisches wechselt in bunter Folge. Ulisse wird von Minerva in einen Bettler und Greis verwandelt. Bei aller Verzweiflung während seiner Odyssee findet Ulisse aber auch Gefallen an den Verkleidungen. Und er war wohl auch kein Kind von Traurigkeit.

Klar und geradlinig ist Tandbergs Personenführung. Die Götter haben Flügel, sind also immer sofort identifizierbar, das Shakespeare-Theater ist spürbare Inspirationsquelle. Wild und blutrünstig (Intensiver Ketchupverbrauch!) Dann wieder deftige Situationskomik (Die drei Freier unterhalten die depressive Penelope mit der Slapstickeinlage der drei dreibeinigen Matrosen). Die Zwerchfelle hatten zu tun! Oder der Stummfilm-Ringkampf des Ulisse mit dem Herausforderer, dem Vielfraß Iro. Das hatte Chaplinformat…

Auch die musikalische Charakterisierung erfolgt dank De Marchis wissendem Umgang mit Monteverdis musikalischem Grundmaterial präzise und für den Hörer nachvollziehbar. Genial De Marchis Klangfarbendramaturgie: Was die Götter singen, ist immer archaischer in der Vertonung,…,das Meeresorchester mit Posaunen, Regal und einem Perkussioninstrument, welches das Rauschen imitieren kann. Das Himmelsorchester mit höheren Streichern. Das Erdenorchester mit Flöten, Streichern, Cembalo und Zupfinstrumenten. In den Passagen, in denen Monteverdis Komposition folkloristischen Spuren folgt, habe ich bevorzugt Gitarren und Perkussioninstrumente eingesetzt…, schildert De Marchi im Programmheft.

In der Tat: die Hauptfiguren werden individuell durch fast leitmotivische Instrumentenklänge charakterisiert. In die Essenz der vorhandenen Vorlagen Monteverdis wird allerdings nicht eingegriffen. Allerdings werden in die Innsbrucker Aufführungsfassung – eine Kooperation mit der Norske Opera Oslo – stilistisch sehr plausibel zwei Monteverdi-Madrigale sowie die Sinfonia a 12 von Francesco Cavalli eingebunden.

Die Academia Montis Regalis entwickelte nebst ihrem Gründer De Marchi in der Zusammenarbeit mit Jordi Savall und Christopher Hogwood ihr Klangbild im historisch informierten Musizieren. Diese reichen Erfahrungen wurden auch in der besprochenen Aufführung aufs Beste eingebracht. Farben- und finessenreich das Klangbild. All die Zinken, Flöten, Posaunen, Gamben, Violinen,Theorben, Barockgitarren,… boten eine selten zu hörende Bandbreite von majestätisch, apart, massiv, feinziseliert bis hin zu sinnlich-folkloristisch und locker swingend – befeuert von Alessandro De Marchi.

Das durchwegs hervorragende Ensemble wurde angeführt durch den „Ulisse“ des ausdrucksintensiven, baritonal grundierten Tenor Kresimir Spicer. In diesem Fach hat der aus dem kroatischen Slavonski Brod stammende Sänger kaum Konkurrenz. Ihm ebenbürtig mit schön timbriertem Mezzosopran und zu Herzen gehendem Ausdruck die „Penelope“ von Christine Rice.

Durchwegs exemplarische Leistungen auch von allen anderen! In der Reihenfolge des Programmzettels:David Hansen als Ulisses‘ Sohn „Telemaco“, figürlich glaubhaft und stimmlich gut. Ingebjørg Kosmo, die stimmhafte, profunde Amme, Vigidis Unsgård, die quecksilbrige Dienerin Penelopes, der berührende „echte“ Hirte des Jeffrey Francis. Der mit (schwarzer) Komik aufwartende Buffotenor Carlo Allemano als Vielfraß, Ringer und Selbstmörder „Iro“. Marcel Bakonyi, Hagen Matzeit, Francesco Castoro als Lachmuskel strapazierende Freier sowie Halvor F. Medien, Nina Bernsteiner, Andrew Harris, Ann-Beth Solvang als die Götter im Stück und Musen im Prolog.

Lieto Fine nach Jahrzehnten. Erst als Ulisse das Betttuchmuster des Ehebetts nennt (das kann nur er wissen!), glaubt Penelope, dass der „Greis und Bettler“ der Rückkehrer ist… Ein Triumph! Ausdauernde Ovationen eines euphorischen Publikums. Das Orchester spielte im Applaus in Musicalmanier weiter, rhythmisches Klatschen, Bombenstimmung. Evviva Monteverdi!

Copyright: Rupert Larl

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