Innsbruck: „Almira, Königin von Castilien“

Festwochen Alter Musik Innsbruck 2014

Landestheater Innsbruck; zweite Vorstellung am 14.08.2014 (Premiere in Innsbruck am 12.08.14; Premiere an der Hamburgischen Staatsoper: 25.05.2014

Von vielen der Krone wegen begehrt und dann doch allein geblieben: die Königin Almira

Almira ist Händels erste Oper. Er schrieb sie 1704 als 19-Jähriger für die Gänsemarktoper in Hamburg und sprang dabei für den plötzlich verhinderten Reinhard Keiser, den Direktor des Hauses ein. Der konnte zufrieden sein: die Oper wurde ein Renner, das Haus war über 20 mal voll. Obwohl Almira als einzige Oper Händels auch im 19. Jhdt. gespielt worden ist, gehört sie heute zu seinen seltener gespielten Werken. Die Hamburgische Staatsoper und die Innsbrucker Festwochen der Alten Musik haben sich des Werks jetzt in Koproduktion angenommen. Der Opernfreund berichtete bereits über die Premiere in Hamburg; nun kam diese gelungene Produktion auch in Innsbruck heraus. – Der unerfahrene Händel ließ sich in Sachen deutsche Oper von Keiser und Matheson leiten, ehe er später in Italien seinen eigenen Stil entwickelte. Oper hatte in Hamburg der Unterhaltung und der Aufklärung sowie der moralischen Erbauung des Volks zu dienen. Wegen der totalen Abhängigkeit des Theaters vom Kartenverkauf musste es möglichst immer voll sein. Dazu waren einerseits prachtvolle Inszenierungen vonnöten, und andrerseits durften die die Stoffe in Grenzen auch frivol sein: Sex verkaufte sich schon damals! Die Handlung und vor allem die Unterweisungen in Sitte, Anstand und Moral mussten für die bürgerlichen Besucher verständlich sein. Da diese anders als bei höfischen Opernhäusern das Bruttosozialprodukt mehren mussten und keine Zeit zum Lesen italienischer Zeit hatten, wurden die relevanten Teile auf Deutsch vorgetragen. Aber da Oper aus Italien kam, wollte das Publikum auch italienische Arien hören. So war es am Gänsemarkttheater üblich: alle Rezitative und der Großteil der Arien wurden auf Deutsch gebracht; einige besonders affektvolle auf Italienisch.

Der Almira-Stoff beruht ursprünglich auf einer französischen Vorlage, und war schon früher veropert worden, als Friedrich Christian Feuchtking ein neues Libretto für Keiser verfasste. Es geht um zeitlose Themen: das Streben nach Macht, nach einer attraktiven Frau, um die Selbstbestimmung der Frau (und des Mannes?) und auch um arrangierte Hochzeit vs. Liebesheirat, ein Hauptanliegen späterer romantischer Werke. Finte, Verstellung und Missverständnis regieren das unübersichtliche Geschehen. Die Handlung spielt in Valladolid um 1100. Der König ist gestorben und vererbt seiner Tochter Almira die Krone Kastiliens mit dem Vermächtnis, dass sie einen Nachkommen des obersten Staatsrats Consalvo heiraten soll. Almira liebt aber heimlich ihren Untergebenen Fernando, der ihr ebenso heimlich in Liebe verfallen ist. Consalvos Sohn Osman indes liebt Edilia, wendet sich aber sofort Almira zu, als bei der nach Macht und Krone zu holen sind. Edilia wendet sich verbittert von ihm ab und tröstet sich schließlich mit dem reichen Raymondo, den Prinzen von Mauretanien, der auch nur wegen Almira an den Hof geeilt war. Osman bekommt die Prinzessin Bellante. Der „würdige“ Consalvo steigt gleich mehreren Frauen nach. Nach Auflösung aller Intrigen und Missverständnisse kommt es schließlich zu einer Dreifachheirat. Der Unterling Fernando stellt sich als verloren geglaubter Sohn Consalvos heraus und entspricht somit dem Vermächtnis des toten Königs und den Standesvorstellungen des Umfelds: eine dramaturgische effiziente Knotenlösung, leider aber wenig glaubwürdig.

vorne: Rebecca Jo Loeb (Bellante), Mélissa Petit (Edilia); hinten: Florian Spiess (Raymondo), Wolf Matthias Friedrich (Consalvo), Klara Ek (Almira), Manuel Günther (Osman), Viktor Rud (Fernando) and

Die Regiearbeit von Jetske Mijnssen bleibt über weite Strecken nahe am Libretto; aber in einigen wichtigen Aspekten wird das Stück durch Änderungen aufgeladen. Aus der Prinzessin Bellante wird eine Bedienstete, für welche die Verbindung mit Osman wegen des damit verbundenen sozialen Aufstiegs einen zusätzlichen Reiz bedeutet. Die Nebenrolle des Dieners Tabarco wird in eine Frauenrolle umgewandelt; eine Figur, die in mehrerlei Gestalt in die Handlung eingreift, sie vorantreibt, szenisch erläutert, verstärkt und kommentiert und dabei von zwei kleinen „Tabarchi“ unterstützt wird, die als weißgekleidete Unschuldskinder, Amoretten oder auch als kindliche Todesengel im Geschehen herumspuken. Dramaturgisch und szenisch ist damit die Rolle des Tabarco wesentlich aufgewertet und wirkt einer gewissen Monotonie der Szenenfolge entgegen. Das der Oper inhärente Pendeln zwischen Komik und ernsthaften Konflikten ist eine Herausforderung für jeden Regisseur. Frau Mijnssen weicht dem aus, indem sie völlig auf Barock-Klamauk verzichtet, viel Buffoneskes ausblendet und mit einer psychologischen Vertiefung die ernste Seite des Stoffs stärkt, was in einem lieto fine gipfelt, das gar keines ist, sondern alles offen lässt. Obwohl rein äußerlich alles „in Butter“ ist, gehen zum Schluss die Figuren unfroh und nachdenklich auseinander; jeder ist beschädigt. Die Erkennungsszene, die auch im Text nur ganz lapidar und hastig abgearbeitet ist, wird aus guten Gründen als banale Stereotype aus dem zeitgenössischen Schauspiel überhaupt nicht betont.

Klara Ek (Almira) and Sara-Maria Saalmann (Tabarco); von hinten: "Tabarchi"

Der Ausstatter Ben Baur verleiht sowohl im Bühnenbild als auch in seinen Kostümen der Regie-Absichten weitere passende Aspekte. Auf der Drehbühne steht eine große kubische Struktur, nobel aus Fichtenbrettern gebaut, die nach allen vier Seiten offen ist, aber vorne und hinten durch einen Vorhang verschlossen werden kann; das ist der abstrakte Einheitsrahmen für die gesamte Opernhandlung. In der Mitte werden je nach Spielort geeignete Möbel als Requisiten aufgebaut. Der Lichtkunst von Mark van Denesse gelingt es zudem, an den Außenseiten der Holzkonstruktion mit ihren Bauelementen weitere spannende Räume zu schaffen. Mit den Kostümen veranstaltet das Regieteam ein Zeitreise, die in der Gegenwart endet. Zunächst ist die ganze Gesellschaft in prächtiges Barock gewandet, außer Almira, die zerbrechlich im weißen Unterkleidchen auftritt. Aber dann muss sie die breiteste Krinoline von allen anziehen. Persönliche Charaktere treten hinter der höfischen Kleidungsvorschrift zurück. Das ist auch in der nächsten Kleiderrunde der Fall: steif und formell in Stresemann mit Schärpe, Frack oder Smoking. Auch Almira entkommt dem nicht und wird in schwarzen Glitter umgezogen. Einen gewaltigen Schritt zurück vollzieht die Gesellschaft, als sie dann in Renaissance-Kostümen auftritt und Almira einen großen güldenen Reifrock aufzwingt. Ganz locker und ohne Garderobenetikette endet die Oper mit bequemen modernen Kostümen; allein Almira wird auch hier mit einem langen engen Kleid nicht aus der Etikette entlassen, in welche nun auch Fernando mit Uniformrock und Schärpe gezwungen wird. Schließlich geht sie aber wieder in ihrem Unterkleid ab und bleibt außen vor. Dass sie als einzige der Protagonisten entsprechend ihren Neigungen geheiratet hat und glücklich sein müsste, will die Regie nicht wahrhaben: offenes Ende.

hinten: Florian Spiess (Raymondo), Wolf Matthias Friedrich (Consalvo), Klara Ek (Almira), Manuel Günther (Osman), Viktor Rud (Fernando); vorne von hinten: Mélissa Petit (Edilia),Rebecca Jo Bloeb (Bellante)

Die einzelnen Mitspieler sind stets durch Missverständnisse auf falsche Fährten gelockt, stehen häufig neben sich selbst oder zwischen zwei andern Personen oder befinden sich gar zwischen allen Stühlen. Schließlich soll der Poker um Macht und Frau gar von den vermeintlichen Machtpersonen in einer Szene kalt am Verhandlungstisch ausgekungelt werden, wozu ganze Riegen von einheitlich grau gekleideten Statisten als die dazugehörigen Delegationen auftreten. Diesem an sich guten szenischen Einfall folgt eine ebenso skurrile wie unverständliche Szene, als Tabarco und die Tabarchi durch Berührung diese Menschen einen nach dem anderen töten. Ansonsten fügen sich Regieeinfälle und Personenführung zu einem stringent wirkenden Ganzen. Dazu wird auch die musikalisch (heute) nicht unproblematische Form des Werks gut in das Bühnengeschehen einbezogen. Denn zur Musik gehören bei Almira auch französische Tanzmusik-Suiten. Hier bekamen die Tabarchi ihre zweite Chance: entweder sie tollten zu Courante, Menuet und Rigaudon über die Bühne oder sie taten das Gegenteil: sie erstarrten zu Ölgötzen, während die Musik „lief“. Auch die zum Umziehen erforderliche Zeit zwischen den Kostümhistorien wurde für Ballettmusik genutzt oder umgekehrt.

Klara Ek (Almira)

Die Gänsemarktoper verfügte über ein großes Orchester mit den Möglichkeiten vielfältiger Instrumentation. Ein solches etwa 35-köpfiges Orchester hatte auch der künstlerische Leiter der Festwochen Alessandro De Marchi im hochgefahrenen Graben versammelt: die Acadamia Montis Regalis. Dazu kamen noch Pauken, Trommeln und Fanfaren in den Proszeniumslogen, mit denen Pracht und Macht musikalisch demonstriert werden konnten. Präzision und Wandlungsfähigkeit des Orchesterklangs machten das Ensemble zu einem der Glanzpunkte des Abends. Ein riesiges historisches Kontrafagott doppelte tief die Töne und trug zum sonoren Klangfundament bei. Die üblichen solistischen Begleitungen durch Flöte und Oboe waren sauber musiziert. Im Ganzen bei aller Farbennuancierung aber ein eher analytisches Dirigat von De Marchi mit federnden Rhythmen und großer Filigranität. Händel lässt im Orchestersatz einer Sarabande in Almira schon Rhythmik, Harmonik und Melodie seines „Lascia la spina“ aus „Il trionfo del tempo“ (bzw. „Lascia ch’io pianga“ aus „Rinaldo“) anklingen, eine seiner bekanntesten Melodien überhaupt. De Marchi hat das nicht nur rein orchestral wie ein Wasserzeichen mehrfach wieder aufgenommen, sondern setzt im zweiten Akt gar die gesamte Arie aus Rinaldo ein. Mit dieser Musik endet auch die Oper. Dirigent und Regie waren sich einig: Ein glückliches Ende geht anders.

Florian Spiess (Raymondo), Manuel Günther (Osman), Sara-Maria Saalmann (Tabarco), Wolf Matthias Friedrich (Consalvo), Klara Ek (Almira), Mélissa Petit (Edilia) and Rebecca Jo Loeb (Bellante)

Die männliche Hauptrolle in Almira ist für einen Tenor geschrieben. (Nach der Händel-Renaissance wurde das auch in anderen Werken so gehandhabt, ist aber heute verpönt.) Typisch für die Hamburger Barockopern der Zeit sind auch einige sehr schöne Duette. Händel hatte als ganz junger Mann ohne Erfahrung die Oper komponiert. So kommen einem auch die Protagonisten auf der Bühne vor: unreif und unausgegoren wie Backfische und Halbwüchsige. Da war das ausgezeichnete, aber ebenfalls überwiegend ganz junge achtköpfige Solistenensemble an diesem Abend schon wesentlich reifer. Die samtig ansprechende Stimme der Sopranistin Klara Ek als Almira wurde im Verlauf aber immer besser fokussiert, entwickelte kräftig leuchtende dramatische Höhen und überzeugte auch im innigen Lamento. Mélissa Petit gab die zweite Sopranrolle der Edilia mit hellem, silbrigem und schlankem Material bei überzeugender Beweglichkeit in den glitzernden Koloraturen, allerdings nicht immer ganz frei schwingend in den hohen Tönen. Einen richtigen Bösewicht gibt es in der Oper nicht; eher mit Consalvo einen Buffo, der sich neben seinem Macht- auch im Liebesspiel versuchen will. Ob seiner weißen Haare von Bellante zurückgewiesen, antwortet er in einem Gleichnis: „ist Ätna gleich mit weißem Schnee bedeckt, so brennt er doch noch stets von innerlichen Flammen“. Wolf Matthias Friedrich gab die Rolle mit schöner persönlicher Ausstrahlung und mit mächtigem Bass und konnte sein kraftvolles Volumen mit Leichtigkeit in den Koloraturen verbinden. Die Bellante gab klangschön Rebecca Jo Loeb mit samtigem Mezzo. Mit Manuel Günther stand als windiger Osman ein sauber geführter, recht heller Barocktenor mit bronzener Mittellage und guter Strahlkraft zur Verfügung, der die Rolle kräftig und mit guter Textverständlichkeit aussang. Die Partie des Fernando ist deutlich tiefer gesetzt (Baritenor). Viktor Rud brachte hierfür markantes Stimmmaterial mit, das zu einer kultivierten hohen Baritonlage auch ausdrucksstarke tenoral wirkende Höhen entwickelte. Florian Spiess zeigte als Raymondo sonor strömende Bass-Tiefen und sanft-weiche Koloraturen, wirkte aber in seinen hohen Lagen nicht wirklich fest. Mit Sara-Maria Sallmann als Tabarco war ein fast noch kindlich wirkender sehr heller Sopran besetzt.

De Marchi (mit dem Hamburger Orchester) und die meisten Solisten hatten schon in Hamburg mitgewirkt. – Am Ende der um über eine halbe Stunde auf ca. drei Stunden Spielzeit gekürzten Oper erhielten alle Beteiligten den verdienten riesigen Applaus.

Manfred Langer, 17.08.2014

Fotos: Rupert Lari