Neustrelitz: „Wie einst im Mai“

Operettenglück unter Sommerhimmel

Was vor etwa fünfzehn Jahren mit einem Operettenpasticcio über Königin Luise begonnen hatte, hat sich in Neustrelitz als "Festspiele im Schlossgarten" zu Deutschlands einzigem Freiluft-Operettenfestival ausgewachsen, da gäbe es lediglich den kleindimensionierteren Lübecker Operettensommer an die Seite zu stellen, der jedoch in einem Zelt stattfindet. Durchaus zur Belebung des Tourismus in der Mecklenburgischen Seenplatte und der kleinen Stadt Neustrelitz geplant, hat es sich schnell zu einem ernstzunehmenden Festival etabliert und zieht nicht nur die Touristen der Gegend, sondern auch Operettenfreunde aus dem Raum Berlin (circa 100 km. entfernt) an. Vielleicht liegt es auch an letzterer Bezugsgruppe, daß man sich nach den üblichen bekannten Werken für die Operette "Wie einst im Mai" von Walter Kollo in der von Sohn Willi Kollo überarbeiteten Fassung entschieden hatte, durchaus eine Rarität auf den Spielplänen. Wie fast alle Berliner Operetten seit Paul Lincke handelt es sich um eine revueartige Schlageroperette. Die Handlung um ein Liebespaar durch mehrere Generationen zieht sich durch etwa vier Jahrzehnte und erst die Enkelgeneration findet zueinander, nachdem Standesdünkel stets zwischen den jungen Menschen stand. Das Libretto kommt immer noch frisch daher und die Ohrwürmer der Kollos zünden, von den bekannten "Untern Linden, untern Linden" und "Es war in Schöneberg", bis zu den nicht mehr so geläufigen, eben richtige Schlager.

Wie Puppenhäuschen (Ausstattung Annette Mahlendorf) stehen die Gebäude auf der Bühne, werden nach Innen-und Aussenszene je gedreht und wie eine Schachtel aufgeklappt, das ist probat, abwechslungsreich und trotzdem sparsam, eine schöne Idee! Die vielen liebevoll gearbeiteten Kostüme führen den Zeitenparcour von üppigen Krinolinen über Gründerzeit bis in die Zwanziger Jahre, echtes Augenfutter. Darin nimmt Regisseur Reinhardt Friese die Operette bei dem, was sie ist, das heißt, die Hauptfiguren werden in ihren Gefühlen ernst behandelt, die Buffonisten dürfen auch mal nur Typen sein und mit Chargieren "dem Affen Zucker geben", unterstrichen von vielen Choreographien Barbara Busers für Solisten , Chor und der Deutschen Tanzkompanie Neustrelitz, dabei gelingt es immer wieder den grossen Bühnenraum mit viel Aktion bei gar nicht mal so vielen Darstellern zu füllen. Die Szene erfüllt also alle Erwartungen für ein Operettenpublikum. Was aber nur gelingt, das die Spieler sehr punktgenau besetzt sind und die Zuschauer auf diese bunte Reise mitnehmen, durch Jahrzehnte hindurch als alte und junge Menschen.

Besonders ansprechend das große Liebespaar Fritz Jüterbog und Ottilie von Henkeshofen: Lena Kutzner gefällt durch ihre direkte und natürliche Darstellung und wirklich charmantes Soprantimbre bei leichter Neigung zum "Schleppen", Bernd Könnes spielt den bodenständigen Ingenieur mit viel Berliner Witz und einem Operettentenor alten Stiles mit rollendem "R" und bombiger Höhe. Für das Herz ist also gesorgt. Publikumsliebling ist jedoch Andres Felipe Orozco als Stanislaus von Methusalem, einem adeligen Schwerenöter, der noch als Neunzigjähriger seine dritte Gattin aufbraucht, klasse Tenor, super "Spielastik". Viola Zimmermann spielt erst seine erste ältliche Gattin, Mechthilde von Kiefernspeck, bis sie als pseudospanische Revuetänzerin Angostura herrlich radebrecht und bei einem mitreißenden Can-Can singt "…wir tanzen bis das Strumpfband reißt…", herrlich komödiantisch. Laura Scherwitzl als Juliette/Mitzi/Kitty hat leider nur Nebenpartien, aber hakt sich stimmungsmäßig ein. Robert Merwald als Cicero von Henkeshofen, Sebastian Naglatzki als Justizrat Pergamenter und Ryszard Kalus als Vater Henkeshofen, alle drei auch in anderen Rollen, geben die historische Folie mit den recht preußischen Mannsbildern. Dazu kommen noch viele Einzeldarstellern in größeren wie kleineren Partien und der Chor und das Ballett alle sind damit beschäftigt auch beim Umbau mit anzupacken. Nirgendwo gibt es Abstriche zu machen.

Panagiotis Papadopoulos sorgt mit der Neubrandenburger Philharmonie für die schwungvolle Umsetzung der Kolloschen "Evergreens", manchmal könnte, an diesem Abend, der musikalische Anschluß an den Dialog schneller erfolgen. Die Tonanlage für die Freiluftaufführung klingt recht gut, so daß die hervorragend gesprochenen Dialoge und auch die Texte der Gesangsnummern sehr gut verständlich waren, keine Unwichtigkeit einer Operettenaufführung. Nächstes Jahr werden die Organisatoren sogar sehr mutig bei der Programmgestaltung und haben Emmerich Kalmans wundervolle , aber sehr unbekannte und selten gespielte Operette "Die Bajadere" auf das Programm gesetzt.

Noch eine kleine Anmerkung, immerhin haben die Festspiele etwa eintausend Sitzplätze, so sollte man sich rechtzeitig um eine Übernachtung kümmern, wenn man möchte. Es gibt allerdings, selbst unter der Woche, auch einige Nachmittagsvorstellungen, so daß man bequem mit der Bahn an- und abreisen kann.

Martin Freitag 29.7.2018

Produktionsbilder liegen uns leider keine vor.