Wien: „Angels in America“, Peter Eötvös

Einiges hat sich getan seit Pedro Calderón De La Barcas (1600-81) Mysterienspiel „El gran teatro del mundo“ (Das Große Welttheater), denn Gott ist offenbar unauffindbar, sodass Engel den hilfeflehenden Menschen erklären, dass die Logik der Schöpfung kollabiert sei. Dem an Aids erkrankten Prior Walter erscheint einer dieser Engel. Die Oper „Angels in America“ beruht auf dem gleichnamigen Theaterstück von Tony Kushner (1956*), welches ungestrichen etwa sieben Stunden dauert. Peter Eötvös destillierte gemeinsam mit seiner Frau Mari Mezei aus Kushners Doppeldrama, unter Verzicht auf alle politischen Aspekte, eine Oper von zweieinhalb Stunden Dauer, in der aber zwei historische Personen auftreten. Zunächst Roy Marcus Cohn (1927-1986), ein einflussreicher US-amerikanischer Anwalt in der McCarthy Ära.

Seine homosexuelle Neigung verleugnete er auch dann noch, als bei ihm Aids diagnostiziert wurde. Gegenüber dem ihn in seiner Todesverzweiflung erscheinenden Geist von Ethel Rosenberg, die auf sein Betreiben hin gemeinsam mit ihrem Gatten Julius wegen sowjetischer Spionage am 19.6.1953 im US-amerikanischen Staatsgefängnis Sing-Sing in New York auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet wurde, behauptete er an Leberkrebs erkrankt zu sein. 2004 wurde die Oper am Pariser Théâtre du Chatelet uraufgeführt. Seitdem ist die Oper ein „work in progress“, an dem Eötvös ständig Änderungen vornimmt. In nunmehr 17 lose verknüpften Szenen werden in Eötvös Oper in zwei Teilen die Ängste und Hoffnungen vor dem Hintergrund von Aids und den Integrationsschwierigkeiten ethnischer, religiöser und sexueller Minderheiten zusammengetragen, und die Überlebensversuche des Individuums in Beziehung zum großen Ganzen eines labilen Weltgefüges gesetzt. Die Oper spielt in den achtziger Jahre in New York, zu jener Zeit ein Ort tödlicher Bedrohungen und ein Jahrmarkt der Eitelkeiten, wie eben die als eine poetische wie tödliche Klammer fungierende Erkrankung an Aids.

Eötvös lieferte mit seiner Partitur ein Abbild dieser Welt und verband Telefontöne und Großstadtgeräusche mit freiem Sprechen, setzte eine klassische und eine E-Gitarre als Doppelkonzert ein und unterlegte das Ganze noch mit Anlehnung an Broadway-Musicals. Regisseur Matthias Oldag verband in seiner klugen Inszenierung besonders geschickt die verschwimmenden Grenzen zwischen Halluzination und Realität. Die zentrale Frage kreist um die Frage, ob der Prior nun tatsächlich der Prophet ist, der die völlig aus den Angeln geratene Welt noch retten, respektive erlösen kann? Im Hintergrund erscheinen einige Originalschauplätze projiziert. Nikolaus Webern taucht die Bühne in eine Schneelandschaft, die wohl als Symbol „seelischer“ Kälte dient. Die Musik lag bei dem Eötvös erfahrenen musikalischen Leiters des amadeus ensemble-wiens, Walter Kobéra, in den besten Händen. Die Orchesterbesetzung legt den Schwerpunkt auf Holz- und Blechbläser (ohne Fagott, Horn und Oboe), Hammondorgel und Celesta, klassische Gitarre und E-Gitarre sowie einer riesigen Batterie an Schlagwerk samt Schellenbaum. Drei Damen und fünf Herren mussten auf Grund der raschen Szenenwechsel gleich in mehrere Rollen schlüpfen.

Am stärksten wurde Caroline Melzer gesanglich herausgefordert, die als weißer und schwarzer Engel vom Schnürboden herabschweben durfte. Sophie Rennert muss als Mormonin Harper Pitt und Gattin des aufstrebenden Anwalts Joseph Pitt diesem aus Utah nach New York City nachziehen und wird dort damit konfrontiert, dass sich ihr Mann als homosexuell outet. Ihre seelische wie körperliche Frustration versucht sie mit Tabletten zu ertränken. In weiteren Rollen ist sie noch als Ethel Rosenberg und Angel Antartica zu sehen. Inna Savchenko leitet zu Beginn als Rabbi Chemelwitz ein jüdisches Begräbnis, auf welchem Prior Walter seinem Partner Louis die ersten Anzeichen seiner Aidserkrankung, ein Kaposi-Syndrom, auf dem Unterarm zeigt. Später tritt sie als Hannah Pitt, der Mutter von Joseph Pitt, und als Angel Asiatica auf. Wolfgang Resch gestaltete den mit seiner aufkeimenden Homosexualität ringenden Joseph Pitt besonders eindrucksvoll und war noch als Ghost 2 und Angel Europe zu sehen. Berührend ist auch das schwule Paar David Adam Moore als Prior Walter, dessen Aidserkrankung Franz Gürtelschmied, sein jüdischer Freund Louis Ironson, nicht gewachsen ist und ihn verlässt.

Letzterer übernahm noch die Rolle des Angel Oceania. Den mächtigen Anwalt Roy Cohn, Exempel des Neoliberalismus und Intimus von Donald Trump, und der seine Aids-Diagnose vehement bestreitet, gestaltete Karl Huml äußerst menschenverachtend. In weiteren Rollen trat er noch als Ghost 1 und Angel Australia auf. Countertenor Tim Severloh gefiel als resoluter Krankenpfleger Belize, Mr. Lies, Woman und Angel Africanii. Die gesanglichen Leistungen der mit Mikroports ausgestatteten Sängerdarsteller, sowie des Orchesters, des Dirigenten und aller sonstigen Beteiligten waren hervorragend, was vom Publikum auch mit großzügigem Applaus gewürdigt wurde. Bravi!

Harald Lacina 30.9.2019

Bilder (c) Neue Oper Wien