Wien: „Antilope“, Johannes Maria Staud

Es beginnt mit Gläsergeklirr, zuerst sitzt die Partygesellschaft steif da, Tiermasken auf dem Kopf: Nach und nach lockert sich die Atmosphäre, die Musik wird fülliger und schriller, das Geschehen ekstatischer – von der Inszenierung her ist dieses erste Bild mit seinen schönen Schattenspielen sicher der Höhepunkt des Abends.

„Die Antilope“ des Tirolers Johannes Maria Staud (schlicht: „Oper in sechs Bildern“ genannt) wurde – es ist tatsächlich schon einige Zeit her – 2014 beim Luzern-Festival uraufgeführt. Der Direktor des Luzerner Theaters, Dominique Mentha (an dessen Jahre als Volksopern-Chef wir keine übertrieben guten Erinnerungen haben), hat inszeniert. Es ist eine mit 80 Minuten Spieldauer knappe heitere Kammeroper mit kritischen Einsprengseln. Der Abend interessiert, macht auch Spaß.

Librettist Durs Grünbein erzählt eine klassische Außenseiter-Story. So, wie er die Firmenparty ausreizt (natürlich mit Hilfe von Stauds einfallsreicher Musik), versteht man, dass ein sensibler Mensch sich hier nur verabschieden möchte. Dieser Mensch ist Victor, der sich von den anderen so entschieden unterscheidet und der nicht nur – im Kino würde man es ein „Road Movie“ nennen, der Held unterwegs – körperlich (er springt aus dem Fenster), sondern auch geistig davonläuft. Er spricht plötzlich eine andere, nicht existente Sprache (man versteht mal diese, mal jene Silbe, da heißt es etwa „Impala“): Es ist „antilopisch“, und der hohe Bariton Victors verkündet damit seinen Ausstieg aus der normalen Welt.

Seine Begegnungen – ein streitendes Paar, eine einsame Frau, Mutter und Kind – sind zuerst nicht wirklich spannend, werden grotesk, wenn er drei als Clowns verkleideten Ärzten begegnet, die ähnlich ausflippen wie die Partygesellschaft (ein zertrampeltes Kätzchen gibt es als tragikomischen Akzent auch) – und schließlich landet er bei einer abstrakten Skulptur im Park. Wenn eine Frau versichert, „Ich mag die Moderne“, findet Victor seine menschliche Sprache wieder und flippt aus: Er mag sie nämlich nicht. Aber dann streckt sich ein Frauenkopf aus der Skulptur… und siehe da, sie singt antilopisch, so wie er.

Über den Zoo, in dem sich Victor plötzlich ganz glücklich fühlt, kommt er (der dramaturgische Rahmen schließt sich) schließlich zur Firmenparty zurück. Und sitzt am Ende einsam da. Er hat eine sympathische Kammeroper lang an den Gefängnisstäben der Gesellschaft gerüttelt…

Wo er auf den Chor zurückgreifen kann, schafft Regisseur Mentha in der Ausstattung von Ingrid Erb & Werner Hutterli wirkungsvolle Groteskbilder, sonst hält er die Geschichte einfach. Wenngleich sie – Walter Kobéra führt amadeus ensemble-wien und den Wiener Kammerchor, Christina Bauer steuert Live-Elektronik bei – üppiger klingt als „nur“ eine Kammeroper. Die Musik malt mit den verschiedensten Mitteln, ohne Scheu vor Effekten, die mannigfaltigen Stimmungen und bleibt ohne Durchhänger immer am Ball.

Der Tiroler Bariton Wolfgang Resch als Victor, der blonde Einsame unter den Marionetten, führt sehr überzeugend eine Besetzung an, die sich vielfach verwandelt, aber keine echten Gegenspieler ergibt. Da geht es (außer vielleicht bei Mutter und Kind) nicht um Individualitäten, sondern um einen Komplex von „Außenwelt“, gekennzeichnet als Tiermassen, gegen den sich der einsame (und nur einmal, angesichts der Skulptur aggressive) Held (eine Antilope ist doch etwas Schönes, Zartes, Alternatives) stellt – als einziges Zentrum des Abends.

Der Beifall des Publikums klang freundlich, aber nicht so richtig überzeugt. Dabei kann man die Geschichte bei all ihren absurden Elementen doch mühelos nachvollziehen?

Renate Wagner 13.11.2017

Bilder (c) Neuer Oper Wien