Berlin: „Elektra“

Leider nur ein kleiner Strauss-Zyklus

„Das Wesentliche ist die Musik“, gilt natürlich ebenso für Strauss‘ „Elektra“, doch hätte man gern auch etwas von Hofmannsthals Text verstanden, der im Unterschied zu dem von „Daphne“ seinen eigenen hohen künstlerischen Wert hat. Dass Strauss-Soprane einfach nicht textverständlich singen können, ist ihnen sicherlich nicht anzulasten, die Extrem-Tessitura und Textverständlichkeit lassen sich kaum miteinander vereinbaren. So hätten in diesem Fall in der Philharmonie Übertitel in alle vier Richtungen oder der Abdruck des Textes im Programmheft ( ein Mitlesen war wegen des nicht dunklen Saals möglich ) bestimmt verhindert, dass immer wieder einzelne Zuhörer den Saal verließen.

Von dieser Einschränkung abgesehen konnte man einen ganz großen Abend erleben, und hatte man in der „Daphne“ bisher in Berlin unbekannte Sänger freudig entdecken können, waren nun selbst kleine und kleinste Partien hoch mit bekannten Solisten besetzt. Das trifft einmal auf Daniel Behle als Junger Diener mit kurzem, aber prägnantem Auftritt zu, dann auf Abbie Furmansky als Vierte Magd und aus der Deutschen Oper Berlin noch in bester Erinnerung, aber auch auf Carola Höhn, einst Agathe und Eva in der Staatsoper und nun als Aufseherin zu erleben, alle gut bei Stimme und keine typischen „Wurzen“-Sänger. Einen ausgezeichneten Eindruck hinterließ auch Judith Simonis als Erste Magd, mit dunkel-weichem Alt sicherlich bald zu Bedeutenderem berufen. Eine frische, anmutig klingende Stimme konnte Anja Fidelia Ulrich für die Fünfte Magd einsetzen. Auch Sascha Glintenkamp als Pfleger des Orest ließ aufhorchen.

Eine Riesenüberraschung war der Name Stephen Gould auf dem Besetzungszettel, vor gar nicht langer Zeit noch gefeierter Tristan an der DOB und nun als Ägisth zu erleben mit vollkommen intaktem, strahlendem Tenor und sich noch gar nicht nach Karriereausklang anhörend. Einen besonders jungen, besonders tiefstimmingen Orest erlebte man mit Günther Groissböck in der Partie, die durch die dunkle, ebenmäßig timbrierte schöne Stimme ein ganz besonderes Gewicht verliehen bekam. In viel besserer Form als bei ihrer jüngsten Ortrud in der DOB präsentierte sich Waltraud Meier als Klytämnestra, auch frischer klingend als vor einiger Zeit am gleichen Ort mit der Dresdner Staatskapelle. Sie steht nicht in der Tradition der abgewrackten Hysterikerinnen, sondern ist ganz die verstört Hilfesuchende, hatte allerdings dem Orchester ab „Ich habe keine guten Nächte“ nicht das notwendige vokale Gewicht entgegen zu setzen. In ihrer leuchtend gelben Robe war sie optisch ohne jeden Zweifel der Star des Abends. In ihrer lyrischen Sanftheit stach Camilla Nylund reizvoll von der fulminanten Schwester Elektra ab, der Sopran strömte in schönem Ebenmaß und hatte eine berührende schmerzliche Intensität für die Verkündigung des angeblichen Todes des Bruders, so wie der Jubel am Schluss trotz gewisser Probleme mit dem groß auftrumpfenden Orchester gefallen konnte.

Als bewundernswertes Phänomen erwies sich Catherine Foster in der Titelpartie mit schönem lyrischem Beginn, eingebettet in das Orchester, mit eher elegischen als hysterischen „Agamemnon“-Rufen, mit einem kraftvoll strömenden Singen, strahlender Höhe und einer Gestik und Mimik, die bewies, dass sie trotz der „nur“ konzertanten Aufführung die Rolle lebte. Erstaunlich und bewundernswert war, dass sie nach Forteausbrüchen noch zu einer leuchtenden mezza voce fähig war und zu wunderbaren Schwelltönen auf dem sich wiederholenden „Orest“. Das Publikum feierte ihre Darbietung in gebührender Weise.

Der zweite Star des Abends war Marek Janowski mit seinem RSB, der es verstand, eine Monumentalität gleich der Architektur von Mykene mit der Transparenz einer modernen psychologischen Studie zu vereinen, wobei der Gesamtklang ein deutlich dunklerer war als bei der klassizistisch klaren „Daphne“ zwei Tage zuvor. Schade, dass es in der nächsten Saison keine konzertante Oper mit Janowski und dem RSB geben wird- aber immerhin das Verdi-Requiem.

8.5.2015 Ingrid Wanja

Foto Sarah Chloé Mikus