Berlin: „Dinorah“, Giacomo Meyerbeer

Interessante Musik und unmögliches Libretto

Für alle, die das so interessante wie anstrengende Symposion durchgestanden hatten, und für alle anderen Interessierten, deren es viele gab, wurde am 1.10. Meyerbeers komische Oper "Dinorah" in der Philharmonie aufgeführt. Was man als Theorie vernommen hatte, so das "gestische" Komponieren Meyerbeers, konnte nun überprüft und als zutreffend erkannt werden, so im Herumtollen von Feen und Zwergen im zweiten Akt. Das vom Komponisten eigentlich als Einakter geplante Werk, das auf Wunsch des Intendanten der Opéra-Comique auf die Länge einer Grand Opéra erweitert wurde, geht auf zwei bretonische Legenden zurück, entpuppt sich als eine seltsame Mischung zwischen bukolischer Idylle des Rokoko und Zauberoper der Romantik und nennt als einen der Librettisten den Komponisten selbst. Obwohl Meyerbeer lange vergeblich um seine Idealbesetzung gekämpft hatte, hatte das Werk bei der Uraufführung, die der Komponist selbst dirigierte, einen großen Erfolg und wurde an vielen europäischen Bühnen, schließlich auch in den USA aufgeführt. Adelina Patti war die berühmteste Dinorah, aber auch nach dem Verschwinden des Werks von den Bühnen erfreute sich die sogenannte "Schattenarie" für den Sopran bei den Diven großer Beliebtheit, Sutherland und Callas gehörten zu ihren Interpretinnen. Die einzige CD stammt von Opera Rara aus dem Jahre 1996, die wohl letzte Aufführung auf deutschem Boden aus dem Jahre 2000, als John Dew in Dortmund inszenierte.

Das Werk beginnt mit einer Lobpreisung der Jungfrau Maria durch den Chor, die am Schluss wie aus der Ferne kommend wiederholt wird. Zwei Hirtinnen machen sich über die wahnsinnige Dinorah lustig, die verzweifelt nach ihrer Ziege Bellah sucht. Der Grund für den unglücklichen Zustand, in dem sie sich befindet, ist das Verschwinden ihres Bräutigams am Tag ihrer Hochzeit. Ein Unwetter zerstörte die Meierei von Dinorahs Vater. Ihr Verlobter Hoel will durch das Heben eines Schatzes den Verlust ausgleichen. In dem Sackpfeifer Corentin will er das naive Opfer finden, das als erster den Schatz berührt und deshalb sterben muss. Eine Ziege soll den beiden den Weg zum Schatz weisen. Dinorah weiß von alledem nichts, sondern wähnt sich schnöde verlassen. Mit ihrem Schatten führt sie einen Tanz auf und singt dazu die berühmte Arie. Wieder lenkt ein Unwetter die Geschicke, lässt die drei Protagonisten auf der Suche nach dem Schatz bzw. der Ziege in Gefahr geraten. Ein zum Glück nicht tödlicher Sturz in einen Abgrund lässt Dinorah das Bewusstsein und auch die Erinnerung an das Geschehene verlieren. Nach ihrem Erwachen aus der Ohnmacht glaubt sie sich an ihrem Hochzeitstag vor einem Jahr, und dem glücklichen Ende steht nichts mehr im Wege. Hoel hat erkannt, dass der Schatz, den er zu heben suchte, Dinorah ist. Und die durch die gesamte Oper geisternde Ziege? Von ihr hört man am Ende nichts mehr, so dass man befürchten muss, sie sei an dem von den Hirtinnen in einem Duett als Ziegen-Speise empfohlenen Goldregen elendiglich zugrunde gegangen. Eine szenische Aufführung sollte sie zur Beruhigung der Zuschauer friedlich grasend auf der Bühne zeigen. Dieses Werk zu inszenieren, wäre doch einmal eine dankbare Aufgabe für einen "modernen" Regisseur.

Selbstverständlich ist eine erstklassige Besetzung die Voraussetzung dafür, dass man das musikalisch ungeheuer reizvolle, mit aparter Orchestrierung aufwartende Werk goutieren kann. Mit Enrique Mazzola hatte man den richtigen Sachwalter dafür gefunden, der die reichen Effekte und das musikalische Pathos ernst nahm und zu eindrucksvollen, rubatireichen Klangbildern gestaltete. Aus dem Gewitter machte er eine ebenso so schreckliche wie schöne Naturkatastrophe, aus dem Erwachen der Natur zu Beginn des 3. Akts eine zauberhafte Morgenstimmung. Insbesondere die Blechbläser verblüfften durch bruchlos an- und abschwellenden, raffinierten Klang. Patrizia Ciofi, deren Virtuosität man in Berlin bereits bewundern konnte, der aber mancher das etwas Verhuschte ihres Singens und Darstellens übel genommen hatte, war hier genau richtig am Platz, stürzte wahnsinnsbefangen und ziegensuchend in den Saal und bezauberte mit leichtestem Stimmansatz, weicher Führung ihres Soprans und sicheren Höhen eines sich ein zarten Tönen ergehenden sanften Wahnsinns. Ein würdiger Partner war ihr Etienne Dupuis mit farbigem, geschmeidigem Bariton, der in seiner Kadenz einen bemerkenswerten Spitzenton hören ließ und sich auch als guter Schauspieler erwies. Einen hübschen lyrischen Tenor ließ Philippe Talbot als gar nicht so einfältiger Corentin hören und spielte den zunächst Tumben, dann Gewitzten mit komischem Charme. Aus dem Ensemble der DOB gefielen Seth Carico als stimmgewaltiger Jäger und Gideon Poppe als Mäher mit angenehmem Tenor. Zartstimmig äußerten sich Elbenita Kajtazi und Christina Sidak als Hirtinnen.

Das Publikum feierte Solisten, Dirigenten, Chor (William Spaulding) und Orchester gleichermaßen und hätte wohl auch den Komponisten hochleben lassen.

2.10.2014 Ingrid Wanja

Die konzertante Aufführung wurde im Anschluss an das Meyerbeer-Symposion der Deutschen Oper Berlin gegeben. Hier befindet sich der Bericht über das Symposion.