Düsseldorf: Die Kunst der Schöpfung

Joseph Haydn
Die Schöpfung / Oratorium für Soli, Chor und Orchester Hob. XXI/2

DÜSSELDORFER SYMPHONIKER

FATMA SAID
Sopran

UWE STICKERT
Tenor

MIKLÓS SEBESTYÉN
Bass-Bariton

CHOR DES STÄDTISCHEN MUSIKVEREINS ZU DÜSSELDORF

MARIEDDY ROSSETTO
Einstudierung

ADAM FISCHER
Dirigent

Joseph Haydn gilt vielen als der Erfinder der Sinfonie. Vielleicht etwas vollmundig formuliert, überschreitet er mit seinen Kompositionen visionär bis dahin tradierte Stilgrenzen. Das gilt ganz besonders für sein Oratorium Die Schöpfung, sein drittes von vier Oratorien, entstanden am Ausgang des 18. Jahrhundert. Er setzt mit ihm eine deutliche, sinfonisch inspirierte Zäsur. Es sollte maßstabgebend für alle folgenden Generationen von Komponisten werden.

Eine Spielzeit mit Die Schöpfung, wie jetzt in der Tonhalle Düsseldorf zu eröffnen, appelliert mit einem Hauptwerk der Wiener Klassik allein schon damit vehement an das kulturelle Gedächtnis. Selbst, wenn man das Oratorium vorher noch nie bewusst gehört hat, weckt es so etwas wie musikalisches Ur-Vertrauen. Mit dem Principal Conductor Adam Fischer, einem der mit dem Oratorium am besten vertrauten Dirigenten am Pult der Düsseldorfer Symphoniker, ist eine opulent schillernde Aufführung per se garantiert.

Dass Fischer mit dem flexibel intonierenden Chor des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf (Einstudierung: Marieddy Rossetto) und mit intensiv lebendig atmenden Solisten – in sympathischer Selbstverständlichkeit singend, gleichzeitig mit gestisch körperlicher Überzeugung spielend – außergewöhnlich engagierte Sänger zur Seite stehen, macht diese Aufführung zu einem beglückenden Erlebnis. Fischer dirigiert mit doppelter Aufmerksamkeit. Wechselnd zwischen orchestraler Konzentration zwischen Tutta la forza und feinem Pianissimo, wendet er sich halbseitig bei den Rezitativen und Arien den Solisten zu. Die linke Hand schlägt den Orchestertakt, während die rechte die Tempi der Soli betont.

Fischers Dirigierkunst, leicht wie selbstverständlich schwebend in der Diktion, leichtfüßig in den Wechseln von Tempi und Lautstärke, entwickelt einen ungemein schöpferischen Hör-Rausch. Ihm als Zuhörer nicht zu folgen, ist fast unmöglich. Fischer hat Die Schöpfung vollkommen verinnerlicht. Er dirigiert nicht nur ohne Partitur, er singt ebenso auswendig fast immer mit.

Haydn hat in Fischer einen kongenialen Die-Schöpfung-Interpreten. Wenn häufig gesagt wird, jede Aufführung sei durch die Interpretation selbst immer auch eine Schöpfung, ist es oft nicht mehr als leere Rhetorik. Mit dieser Aufführung schöpft Fischer in einer unglaublich leicht anmutenden Art und Weise Haydns Klangbrunnen umfassend aus. Er findet, verpackt im filigran lyrischen Text von Gottfried van Swieten, tonmalerisch funkelnde Haydn-Preziosen, öffnet sie mit sicherem Gespür für den einen Ton jetzt und lässt sie funkeln. Kräuter duften, die Flur beut das frische Grün, der Hain wölbt sich, leise rauschend gleitet fort im stillen Tal der helle Bach: Fischer öffnet einen Klangfarbkasten, lässt es tönen und alle folgen – Stimmt an die Saiten, ergreift die Leier.

Das Instrument der menschlichen Stimme, die sich aus dem Chaos, als es noch keine Menschen gab, durch göttliche Schöpfung entwickelt, spannt mit den Instrumenten des Orchesters eine Klangraum, der die Unendlichkeit des Universums zivilisiert. Die Schöpfung wird in diesem Konzert mit Fischer zu einem Freudenschrei aller lebendigen Kreatur.

Dass sich das nicht unbedingt mit ebenso heftiger Anteilnahme auf jedem Gesicht widerspiegeln muss, sondern sich wohlig zufrieden auch nach Innen verlagern kann, offenbart sich wie eine assoziative Randnotiz durch eine Beobachtung. Während der Chor allegro con brio signalisiert Und es ward Licht!, schläft ein etwa 8jähriges Mädchen friedlich an der Seiter ihrer Mutter. Als wäre sie eine stille Mitspielerin, wacht sie bei Uriels Erzählung Und Gott schuf den Menschen auf. Haydns nicht komponierten, siebten Schöpfungstag, den Tag der Ruhe, ersetzt durch einen romantisch kapriziösen Blick ins Paradies, erlebt das Kind – schlaftrunken – nicht mehr.

An diesem dritten Tag lässt Fischer keinen Raum, schläfrig dem Ende entgegen zu dämmern. Mit den Düsseldorfer Symphonikern reiht er Höhepunkte mit musikantischem Furor und poetischer Eindringlichkeit aneinander. Sie setzen den Solisten nach dem bis dahin ohnehin schon formidabel begeisternden Zusammenspiel eine glanzvolle Krone auf. Das Solistentrio kann man wie eine Chiffre für Haydns Oratorium lesen.

Mit dem Engel Uriel – hebräisch mein Licht ist Gott – leuchtet Uwe Stickert den Menschen als Ebenbild Gottes mit silbrig feinem Tenor aus. Über diesen, als höchste Schöpfung prototypisch für die geschaffene Welt, singt er mit der Souveränität, die von dem Schöpfungssonderfall Mensch zu wissen scheint.

Uriels Mittelpunktstellung flankieren der Verkündigungsengel Gabriel und der Erzengel Raphael – der, den Gott geheilt hat. Von der Sopranistin Fatma Said und dem Bassbariton Miklós Sebestyén mit seltener Bühnenpräsenz überzeugend dargestellt, wirken ausgewählte, von ihnen gesungene Texte wie Selbstbeschreibungen. Gabriel/Said: Ihr reizender Gesang; Raphael/Sebestyén: Vor Freude brüllend steht der Löwe da.

Ihr Eva-Adam-Paradies-Duett im dritten Teil steigert sich mit erotisierendem Charme – Doch ohne Dich, was wäre mir – zu einem sinnlich überquellenden Gesang. Die Schönheit der Musik korrespondiert mit ihrem wunderbar anzusehenden und anzuhörenden Zusammenspiel von Singen und Spielen. In jedem Wort, jedem Fragment, jedem Satz schwingt Anmut und Leichtigkeit mit. Von Fischer mit verschränkten Armen wohlwollend goutiert, mutet es an, als hätte er seine Kinder glücklich verheiratet.

Fatma Said als Eva – eine orientalische Schönheit, raunt ein Besucher begeistert in der Pause – und Miklós Sebestyén als Adam – mit glühenden Augen lässt er mit genussvoller Betonung das Gewürm am Boden kriechen – sind eine Ohr- und Augenweide. Ihr Gesang von der Seligkeit des Lebens angefüllt, lässt ihn den Morgen tauen, die Kühle des Abends zu einem Strauß der Blumen süßen Duft binden, wo jeder Augenblick Wonne ist.

Im enthusiastisch aufbrausenden Jubel bittet Adam Fischer Fatma Said, Miklós Sebestyén und Uwe Stickert einzeln auf sein Dirigentenpodium. Einer Siegerehrung gleich, wie man sie aus Sportwettkämpfen kennt. Hier allerdings nicht als Ergebnis eines Wettkampfs gegeneinander, sondern als Würdigung eines gemeinsamen Ringens um die Die Schöpfung. Sieger sind sie am Ende gemeinsam mit den Zuhörern dieses denkwürdigen Sternzeichenkonzerts zum Auftakt der Saison 2018/19.

Foto (c) Tonhalle

Peter E. Rytz 12.9.2018