Essen: Yannick Nézet-Séguin / Khatia Buniatishvili

Der 42-jährige Kanadier Yannick Nézet-Séguin gilt als ein absoluter Shooting Star am Dirigentenhimmel, und wer ihn einmal erlebt hat in seiner sympathischen und kenntnisreichen Art, wird ihn lieben; so wie die hoch begeisterten Zuhörer des Essener Konzerts und auch die hoch-attraktive Tastenzauberin Khatia Buniatishvili, die sich sogar mit einem "Küsschen" auf die Lippen vom Maestro verabschiedete ;-). Ein begnadetes Dream-Paar.

Und es war auch wirklich ein Erlebnis, Buniatishvilis fast "explosive Körperlichkeit" bei Gershwin zu erleben – nicht zur zu hören! Der mit Preisen überhäufte einstige Kinder-Superstar (zuletzt erhielt sie 2016 den Echo-Klassik) ist ein Phänomen. Wenn sie spielt, verschmilzt sie oft förmlich mit ihrem Instrument; wenn sie die Haare nach hinten wirft, ist das keine Show, sondern Ausdruck expressiver Emotion. Sie spielt nicht nur Gershwin – sie lebt Gershwin. Dabei baut sich zwischen dem Dirigenten, den grandiosen Rotterdamer Philharmonikern sowie der Fabel-Pianistin eine fast erotisch zu nennende Hochspannung auf. Explosiver, furioser und mit mehr Feuer und Temperament hat man dieses Stück selten gehört. Vermutlich jubelte George Gershwin im Komponisten-Himmel mit den Worten "Yeah Baby! Genauso hab ich mir vorgestellt – so hab ich es komponiert. Das Mädel hat mich verstanden!! Das ist es ! Das ist meine Musik!!"

Der Fil Rouge des Abends – quasi die Klammer dieses tollen Konzerts war ein Kaleidoskop an exemplarischer amerikanischer Musik. Musik voller Romantik, Leidenschaft und Rhythmik, wie sie nur die Stücke des 20. Jahrhunderts bieten.

Dabei ist die Startnummer, Bernsteins "On the Waterfront" eigentlich pure Filmmusik aus dem Elia Kazan Meisterwerk Die Faust im Nacken (1954 mit Brando, Malden , Lee. J. Cobb…). Lenny machte daraus ein Jahr später eine Konzertsuite; gängige Praxis übrigens bis heute bei vielen großen Filmen/Filmmusiken. Musik und Film portraitieren das harte Hafenarbeiter-Milieu in einem starken beklemmenden Sozialdrama. Die Musik präsentiert vielfältige Klangfarben, mit ruhigen Stimmungen, diversen exotischen Rhythmen und flotten Tempi gipfelt sie in einer stakkatohaft explodierenden Dynamik. Die Schlagwerker sind bis an ihre Grenzen gefordert. Da bebt es in der Philharmonie Essen.

Die Rhapsody in Blue ist nicht nur ein ungewöhnlich kurzes Klavierkonzert mit jazzigen Orchesterfarben im Jazz-Instrumentarium und eingebettet in ein großes Sinfonie-Orchester, sondern auch mit seinem zu Beginn aufsteigenden Klarinettenmotiv eines der berühmtesten und bekanntesten Oeuvres – fast ein Stück Pop-Klassik. In ihm spiegelt sich das Leben im großen Melting Pot New York. Amerikanischere Musik gibt es nicht.

Der große Pianist Denis Matsuev sagt über das Stück "… assoziiere ich mit Amerika. Ich sehe gleich New York, die Freiheitsstatue, Manhattan, Jazzclubs, Birdland, Bluenotes, Jazz. Das ist ein Symbol von New York, von Amerika. Und alle anderen Themen, die es da gibt, sind mit fröhlichen Motiven verbunden. Es ist die Rhapsodie der Freude, die Rhapsodie des Glücks. Sie ist so optimistisch, so lebensbejahend."

Besser kann man es nicht ausdrücken. Daraus wird verständlich, daß Gershwin das Stück ursprünglich auch "American Rhapsody" nennen wollte. Ich denke, gerade heute sollte man Herrn Trump möglichst viele Aufnahmen dieses wunderbaren exemplarischen Stücks amerikanischer Tradition, Toleranz und Geschichte schenken!

Nach der Pause dann: Sergej Rachmaninofs 1940 im amerikanischen Exil komponierte "Sinfonische Tänze". Seguin und die Rotterdamer stürzten sich mit einer Begeisterung auf das Werk, wie man sie selten hört und noch seltener auch körperlich wahrnimmt. Der Spannungsbogen riss bei diesem ja nicht gerade leicht zu rezipierendem Werk – wenn es mittelmäßig gespielt wird – niemals ab.

Besser geht es nicht! Orchester und Dirigent sind seit 2008 ein Herz und eine Seele; das hört man. das reißt den Konzertbesucher am Ende auch förmlich aus den Sitzen. Wenn dann noch als Optimum einer perfekt gewählten Zugabe Bernsteins fantastische Ouvertüre zur Oper Candide in so grandioser Furiosität zelebriert wird, als stände der junge Lenny persönlich vor dem Orchester, dann beendet das Ganze einen Konzertabend von erlesener Qualität, Perfektion und unter die Haut gehender Expressivität. Ein ganz außergewöhnlicher Abend. Eine mehr als tolle Programm- Zusammenstellung. Der Jubel und die Begeisterung eines enthusiasmisierten Publikums kannten keine Grenzen.

Peter Bilsing 24.3.2017

Bilder (c) Der Opernfreund / Phiharmonie Essen