Essen: In Concert

Die Philharmonie Essen wurde zur Hall of Fame großer Filmmusikkunst

Frage vorweg an die geneigte Leserschaft und vor allem unsere jungen Freunde: Was haben Filmmusik und "seriöse" Klassik eigentlich gemein? Antwort: ALLES !!!

Viele große Filmkomponisten – pars pro toto: Nino Rota, Erich Korngold, Bernhard Herrman, Ron Goodwin, Krzysztof Penderecki, John Williams oder Howard Shore haben teilweise auch für den Konzertsaal komponiert bzw. fabelhafte Opern geschrieben.

Und wer aus der Klassik kommt, wird die Verbindungen vieler "Filmmusik-Hits" zu Giganten wie Wagner, Puccini oder Gustav Holst natürlich sofort hören. Schon 1956 z.B. brachte der große Elmer Bernstein für die Filmmusik zu "Die zehn Gebote" ein Mahlerensemble von bald 130 Musikern auf die Studiobühne und diese Musik wurde dann geradezu bahnbrechend nicht nur in Stereo, sondern in famosem 6-Kanal-Ton aufgenommen.

Dies bewies auch gestern Abend die schon geradezu begnadet aufspielende NEUE PHILHARMONIE WESTFALEN unter der fulminanten Leitung ihres Chefdirigenten Rasmus Baumann. Ich muss als alter Opernkritiker zugeben, dass ich dieses Hausorchester des "Musiktheaters im Revier", schon bald ein halbes Jahrhundert kenne und regelmäßig als Kritiker begleite, noch nie so brillant, so engagiert, so rhythmisch sauber und akzentuiert, so blechbläserisch golden und auch holzbläserisch warm und hinreißend habe aufspielen hören. Die Freude an dieser tollen Musik brach sich Bahn vom Musikerpodest in die Reihen der vielen jungen Zuhörer und riss auch die älteren Filmmusikfreunde förmlich von den Sitzen.

Um es bildlich mit der Titelmelodie der Zugabe "Mission Impossible" (Früher: "Kobra, übernehmen Sie") auszudrücken: Die altbekannte Zündschnur brannte und entzündete ein Feuerwerk so atemberaubend, wie schöner und stellenweise auch herrlich sentimentaler Ohrwürmer eines halben Jahrhunderts toller Filmmusik, ohne jemals auch nur eine Sekunde auszuglühen, bis zum fulminanten Ende nach 2,5 Stunden mit furiosen Zugaben. Was für ein Abend! Schöner kann man das Thema Filmmusik nicht repräsentieren. Das war oscar-reif. Bravi!

Toller Auftakt stilgerecht mit der 20. Century Fox Fanfare in nahtloser Überleitung zum "Star Wars" Marsch von John Williams. Schon hier erzitterte der edle Konzertsaal bis in die Fugen und riss die Filmfreunde jedweden Alters mit hochgepuschtem Adrenalinspiegel von den Sitzen.

Howard Shores Orchestersuite seiner "Herr der Ringe" oscargekrönten Musik ging eine Erläuterung des so fachkundigen, wie bestens vorbereiteten Moderators Klaus Kauker zum Thema "Leitmotivik" mit kurzen Orchestereinspielungen voran. Besser und bildhafter könnte man Wagners Ring auch nicht erklären – nur hat dieser halt über 200 Leitmotive ;-). Da schwelgten die jungen Zuhörer natürlich in ihrem Metier und jeder hatte das Auenland, die bösen Orks oder den Ring vor Augen – die traumhaften Kinobilder von Peter Jacksons Jahrhundertfilm erschlossen sich, wenn man die Augen schloss. Ach wie schöööön….

Kaum jemand kennt noch die hochanspruchsvolle Musik von Alan Silvestri zur Filmtrilogie des Robert Zemecki Klassikers "Zurück in die Zukunft" (1980-85). Eine klassische ausgefeilte Orchestersuite vom Feinsten; konzertwürdig für jedes Sinfoniekonzert und auch noch hoch im Anspruch für alle Gruppen eines großen Orchesters.

Gleiches könnte man sagen über John Williams einfühlsamer Musik zu Spielbergs "Jurassic Park" (1991), die nicht so lautstark, aber umso landschaftmalerisch breitwandiger daherkommt – – man hat halt nur noch mehr die Erinnerung an die riesigen Dinosaurier noch im Kopf, als diese herrliche Musik. Ein dickes Bravo für diese schon fast Ausgrabung.

Dass mit "Wallace and Gromit"(1989) auch der Humorfaktor des quasi Stummfilm in den Konzertsaal zieht, ist Julian Nott zu verdanken. Musik, die einfach Freude macht – auch ohne die drolligen Knetmasse-Figuren zu sehen.

Wie traumverloren sich die Töne eines Konzert-Akkordeon und ein E-Chembalos in den akustischen Himmelsdimensionen der Essener Philharmonie verlieren können, wurde aus dem Leitthema der "Miss Marple"-Filme (ab 1961) zum schwelgerischen Erlebnis. Vom wunderbaren Ron Goodwin war ein Ohrwurm komponiert worden, der die meisten auch in der verdienten Pause nicht mehr losließ. Was für ein schöner nostalgischer Abschluss des ersten Konzert-Teils.

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Mit der Konzertsuite von David Arnold aus "Independance Day" (Roland Emmerich, 1996) zeigte sich, daß auch ein ausgesprochen schwacher Film eine richtig gute Musik haben kann, die sich auf einem durchaus anderen Niveau bewegt, als das doch allzu simple Katastrophen-Spektakel – wirklich sehr gelungen ausgesucht!

Und jetzt wurde es mit Nino Rotas Weltmusik-Hit aus "Der Pate" (Francis Ford Coppola, 1973) walzerselig und herzergreifend. Grandios gespielt, schöner geht es einfach nicht. Da hat man auch als hartgesottener Kritiker noch feuchte Augen – ganz großes Jahrhundertkino verbunden mit einer Jahrhundertkomposition. Interessant in diesem Zusammenhang ist, daß dieses Orchester gerade in der letzten Saison (Megamegamega-Rarität!) die köstliche Oper von Rota "Der Florentinerhut" im heimischen Musiktheater im Revier einstudiert hatte. Mein großer Tipp für alle Rota-Fans! (Hier nachzulesen – bitte etwas runterscrollen)

Nur wenige Kino- und Tanzfreunde wissen, daß der Sirtaki kein jahrhunderte alter griechischer Volkstanz ist, sondern eigens für den Filmklassiker "Alexis Sorbas" (Michael Cacoyannis, 1964) erst vom großen Mikis Theodorakis komponiert wurde. Hier gesellten sich natürlich zwei fabelhaft Bouzuki-Spezialisten (im nicht vorhandenen Programmheft – warum eigentlich? – leider unbenannt) zu den Sinfonikern.

Grandios, und für mich eines der Highlights des Abends, war die Kombination der Suite aus "Das Boot" (Wolfgang Peterson, 1981) mit der "Unendlichen Geschichte" (ebenfalls Peterson, 1984) – Angefangen mit den Plings des Sonars erhebt sich die Melodie langsam, wie jenes U 96 aus den atlantischen Tiefen und geht dann fast nahtlos über in die himmlischen Gefilde in den Flug des Glücksdrachens Atréju; ein brillantes Arrangement.

Das große Finale – jenes mit irrsinnigem Temperament und Tempo gespielte Rocky-Thema (ohne Chor) von Bill Conti (John G. Avildsen, 1974) – wurde allerdings von einer noch fulminanteren "Mission Impossible"– Interpretation (Lalo Schiffrin, 1966-2016) als erste Zugabe noch übertrumpft. Jenes Leit-Motiv der brennenden Lunte – welches wahrscheinlich noch bekannter ist, als das legendäre James-Bond-Motiv – explodierte unter Rasmus Baumanns Dirigat geradezu. Die absolute Krönung des Abends, so befand auch das vollkommen enthusiamisierte Publikum, welches sogar noch eine zweite Zugabe erklatschte, nämlich "Forrest Gump"– auch von Alan Silvestri komponiert.

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Wir verleihen für so ein grandios perfekt nicht nur gestaltetes, sondern auch

gespieltes und pädagogisch sinnvoll begleitetes einmaliges Jugend-Konzert im allerbesten Sinne unseren heißbegehrten Opernfreund-Stern! Schade, daß der omnipräsente und unvermeidbare und mit Zwangs-Steuergeldern so reich beschenkte Regionalkranke WDR so etwas nicht für die Ewigkeit aufzeichnet, denn der Touch der legendären Leonard Bernsteins "Young Peoples Concerts" war hier wahrnehmbar. Dank an alle Beteiligten und auch an den vorzüglichen Moderator

Klaus Kauker, jemand dem man gerne zuhört und der so hochengagiert wie kenntnisreich, so witzig charmant wie jugendgerecht – sogar stimmlich auf der Höhe – durch dieses Konzert führte.

5 Sterne ***** für diesen unvergesslichen Abend! Der große Glanz und Glitter Hollywoods ergoss sich über die gut gelaunten und konzentriert lauschenden jungen Besucher in der Philharmonie Essen. Besser geht´s nicht.

Peter Bilsing 19.3.2017

Bilder (c) Neuer Phiharmonie / Klaus Kauker privat