Frankfurt: Rhythmisches Feuerwerk

Orchestre de Paris

Manfred Honeck (Leitung), Igor Levit (Klavier)

Maurice Ravel
La Valse. Poème chorégraphique

George Gershwin
Concerto in F für Klavier und Orchester

Béla Bartók
Konzert für Orchester Sz 116

Ein packendes Konzert mit mancher Überraschung konnten die zahlreichen Zuhörer beim jüngsten Orchesterkonzert erleben, dass die ProArte Konzertdirektion in der Alten Oper veranstaltete.

Im Zeichen des Rhythmus stand das diesjährige Gastspiel des Orchestre de Paris unter der Leitung von Gast-Dirigent Manfred Honeck.

Im Jahr 1920 verwirklichte Maurice Ravel seine Apotheose auf den Wiener Walzer in seiner Komposition „La valse“. Ursprünglich lautete der Titel für sein Werk „Wien“.

Zudem hat Ravel dafür ein Programm vorgesehen:

„Flüchtig lassen sich durch schwebende Nebelschleier hindurch walzertanzende Paare erkennen. Nach und nach lösen sich die Schleier auf: man erblickt einen riesigen Saal mit zahllosen im Kreise wirbelnden Menschen. Die Szene erhellt sich zunehmend; plötzlich erstrahlen die Kronleuchter in hellem Glanz. Eine kaiserliche Residenz um 1855. Nach und nach treten an die Stelle der Walzerseligkeit verzerrte Rhythmen und dissonante Harmonien. Das Stück endet in einem Ausbruch von Gewalt und Chaos.“

Ein spannender Beginn also für das Orchestre de Paris, seine besondere Kompetenz, gerade in der französischen Orchestermusik, beeindruckend zu demonstrieren. Doch was war das? Dieser düstere, grummelnde Beginn! Diese Sache geht nicht gut aus! Selten ist das Apokalyptische derart greifbar zu erleben.

Manfred Honeck achtete in seiner Interpretation daher vor allem auf die finstere Doppelbödigkeit, so dass das im Chaos endende Finale als Bedrohung jederzeit gegenwärtig war. Wie aus dem Nichts ließ er die Streicher in sanften Wellenbewegungen phrasieren, um dann in z.T. harten, schroffen Sforzati-Einwürfen die Schönheit aufzubrechen. Süffig und doch sämig wickelten die Streicher die Zuhörer um den Finger. Offensiv und zupackend agierten die Schlagzeuger punktgenau. Herrlich, wie im vollen Walzertaumel die Tuba knarzte. Nein, das war bewusst kein Schönklang, sondern tönender Subtext, ein Tanz auf dem Vulkan. Die orgiastische Steigerung am Schluss mit den wilden Schlagzeugern geriet diabolisch umwerfend. Ein begeisternder Aufschrei des Publikums war die Antwort auf diese sehr surreal anmutende Musik, die so packend interpretiert wurde. Es war schon verblüffend, die gestalterische Kreativität und mitreißende Spielfreude des Elite Klangkörpers aus Paris zu erleben. Immer auf Risiko zielend und fortwährend eine spannende Geschichte erzählen, das ist eine der Kernkompetenzen des meisterlichen Dirigenten Manfred Honeck.

Viel zu selten steht das großartige Klavierkonzert von George Gershwin auf dem Programm der Konzerthäuser. Es gehört mit Abstand zu seinen besten Werken, welches er zudem selbst orchestrierte. Dies ist umso bemerkenswerter, da Gershwin auf diesem Gebiet Autodidakt war. Das 1925 uraufgeführte Werk vereint die klassische dreisätzige Form mit vielerlei Jazzelementen. Eine perfekte Synthese also aus Klassik und Jazz.

Das Werk beginnt mit einem Paukensolo, sekundiert von großer und kleiner Trommel sowie Becken. Reizvolle Jazzmelodien bestimmen diesen ersten Satz, der aber auch von großen Kantilenen getragen wird. Dabei werden Reminiszenzen an Sergej Rachmaninows Klavierschaffen wach.

Das herrliche Adagio gibt nach kurzem unentschlossenem Beginn der Solotrompete reichlich Gelegenheit für ein intensives traumverhangenes Solo, bluesig umrahmt vom Orchester. Dem Klavierpart kommen als Kontrast wieder die Jazzfärbungen zu.

Furios stürmt das beschließende Allegro Agitato in den dritten Satz. Anklänge an den Ragtime sind deutlich zu vernehmen. Orchester und Klavier übertreffen sich immer wieder mit neuen spannenden Einfällen. Jubelnd endet dieses Konzert mit einem hinreißenden F-Dur-Sextakkord.

Solist des Abends war der viel beschäftigte Pianist Igor Levit. Und hier falle ich mit der Tür ins Haus: eine große Enttäuschung!

Auf der Habenseite stand seine technische Souveränität und dynamische Sensibilität, die in der Kadenz zu manch schönem Ruhemoment führte. Gestalterisch wusste Levit hingegen so gar nichts zu erzählen. Akademisch, brav absolvierte er zurückhaltend seinen Solopart, ohne auch nur einen Augenblick der endlosen Gestaltungsmöglichkeiten aufzugreifen. Dies war umso bedauerlicher, da das Orchestre de Paris schmerzhaft aufzeigte, wie es geht und was beim Solisten fehlte.

Selten tritt der Orchesterpart dieses Konzertes derart prominent in den Vordergrund, wie an diesem Abend. Mit großer symphonischer Geste entfesselte Manfred Honeck eine hinreißende Bandbreite an Farben und rhythmischen Akzenten. Jazzige Elemente und Groove gaben der Musik alles, was ihr gebührte. Schon die sehr offensiv eingesetzte Pauke am Beginn gab den Rahmen vor: Spannung pur!

Und das Orchester warf sich mit vielen witzigen Ideen die kreativen Impulse zu. Levit vermochte diese nicht erkennbar aufzunehmen, wirkte vereinzelt in seinem Spiel, nicht wirklich eingebunden. Dann wieder agierte er derart zurückhaltend, dass man sich an manchen Big Band Sound mit obligatem Klavier erinnert fühlte. Schade.

Höhepunkt dieser Darbietung war der zweite Satz mit superben Soli bei den Bläsern. Mit leicht angedeutetem Vibrato zelebrierte der Solotrompeter seine sehnsuchtsvolle Weise. Zuvor ertönte aus dem Nichts in lupenreiner Intonation ein magisches Crescendo im Solo-Horn, welches hinreißend an der Grenze der Spielbarkeit perfekt wiedergegeben wurde.

Furios trieb Honeck dann sein Orchester in das beschließende Rondo und entfesselte hier noch einmal alle Energien. Igor Levit absolvierte hier seinen fordernden Part mit lockerer Hand, kam aber auch hier über gediegene technische Routine nicht hinaus. Dieser Eindruck verfestigte sich dann auch in seiner Zugabe, Gershwins Welthit „The man I love“, welche von Levit überraschend charmebefreit gespielt wurde.

Im Jahr 1943 schrieb Bela Bartók mit dem „Konzert für Orchester“ eines seiner beliebtesten Orchesterwerke. Die letztmalig aufkeimende Schaffenskraft des seinerzeit schwerkranken Meisters bündelt noch einmal alle kreativen Potentiale zu seinem orchestralen Schwanengesang.

Das Werk ist in fünf Sätze unterteilt und bewusst keine Sinfonie. Bartók sah in seiner Komposition den Rahmen gesetzt, verschiedenen Soloinstrumenten Gelegenheit für virtuose Ausgestaltung zu gewähren.

Sein Werk feiert den Rhythmus in verschiedenen Formgebungen. Dabei treten zuhauf vielerlei grelle Klangeffekte in den Vordergrund. Ruhepunkte, die zuweilen an den Beginn seiner einzigen Oper „Herzog Blaubarts Burg“ denken lassen, sind dabei eher selten.

Erst im Intermezzo treten Kantilene in den Holzbläsern und Streichern in den Vordergrund. Dann ein harter Kontrast, denn nun lärmen schrille Zitate, wie z.B. aus Schostakowitschs 7. Sinfonie, in das Intermezzo hinein. Das berühmte Léhar Motiv „Da geh ich zu Maxim“ aus dessen „Lustiger Witwe“ wird heftigst karikiert, um dann wieder mit feinsten Gesängen der Flöte und Oboe konterkariert zu werden. Mit einem furiosen Presto Feuerwerk und Folkloreelementen endet das Werk unaufhaltsam brausend und stürmisch.

Manfred Honeck und das Orchestre de Paris bündelten für das schwere und komplexe Werk alle verfügbaren Kräfte. Vom kaum hörbaren Pianissimo bis zum lärmenden Fortissimo wurde die gesamte Dynamik perfekt ausgereizt. In teilweise rasant zugespitzten Tempi konnten sich die Zuhörer abermals über die fantastische Klangqualität des Orchesters freuen. Diese basiert auf der außerordentlich hohen Virtuosität der Musiker. Mit großer Spielfreude und auch hier wieder dem so wichtigen Mut zum Risiko, begab sich das Orchester mit größter Hingabe in den instrumentalen Wettbewerb. Ein akustischer Superlativ jagte den nächsten: höher, schneller, lauter, leiser. Orchestrale Atemlosigkeit in spielerischer Vollendung, hier war sie zu erleben! Wunderbar und unwiderstehlich in seiner Wirkung!

Berechtigte große Begeisterung im Auditorium. Und Manfred Honeck hatte noch ein weiteres musikalisches Ass parat! Mit prächtigem Schmäh präsentierte er als Zugabe noch eine gekürzte Walzerfolge aus dem „Rosenkavalier“ von Richard Strauss.

Nun kochte die Begeisterung in intensiven Huldigungen über. MERCI!

Dirk Schauß

25. Mai 2022