Frankfurt: Berliner Philharmoniker & Kirill Petrenko

Igor Strawinsky
Sinfonie in drei Sätzen

Bernd Alois Zimmermann
Alagoana, Caprichos Brasileiros, Ballettsuite

Sergej Rachmaninow
Sinfonische Tänze op. 45

DER ANTI-KARAJAN

Mit Spannung wurde das erste gemeinsame Konzert der Berliner Philharmoniker mit deren neuen Chefdirigenten Kirill Petrenko in Frankfurt erwartet. Bereits das Programm machte deutlich, eine neue Ära hat begonnen, die so ganz anders werden dürfte, als bei seinen Vorgängern.

Es passt zu dem sehr eigenen Charakter Petrenkos, eben kein konventionelles Programm vorzustellen. Kein Beethoven, Brahms oder Bruckner, noch nicht einmal Mahler.

Nein, Petrenko hatte sich für sein Gastspiel in Frankfurt drei Werke ausgesucht, die allesamt den Rhythmus in den Vordergrund stellten und nicht die Melodie. Sprödigkeit anstelle von symphonischem Hochglanz! Der Dirigent steht bei ihm grundsätzlich nicht im Vordergrund. Jedweder Personenkult, so wie es Herbert von Karajan auf die Spitze trieb, ist ihm zuwider. Petrenko ist, das wurde an diesem Abend überdeutlich, der Anti-Karajan!

Im Jahr 1946 wurde die Sinfonie in drei Sätzen von Igor Strawinsky in New York uraufgeführt. Der Komponist erhielt im Jahr zuvor die amerikanische Staatsbürgerschaft.

Bei seiner Sinfonie handelt es sich um Fragmente anderer kompositorischer Ideen, wie z.B. aus einer unvollendeten Filmmusik oder einem nicht fertig gestellten Klavierkonzert.

Mit einem deutlichen Signalthema wird das Werk eröffnet, dass im ersten Satz zuweilen an eine Toccata denken lässt. Auffallend exponiert tritt hier das Solo-Klavier in Erscheinung, so dass Gedanken an das geplante Klavierkonzert deutlich präsent sind.

Eine ganz andere Welt betritt der Zuhörer sodann im zweiten Satz. Nun wirken die Klänge beruhigt, die Orchesterbesetzung ist reduziert. Mit der Harfe kommt nun ein weiteres Instrument sehr solistisch in den Vordergrund.

Im dritten Satz führt Strawinsky Klavier, Harfe mit dem vollen Orchesterklang zusammen. Komplizierteste, ostinate Rhythmen, die fortwährend gesteigert werden, lassen an Strawinskys „Le sacre du printemps“ denken. Eine zugespitzte Stretta beendet die Komposition. Ein seltsames Werk, das unfertig wirkt und sicherlich nicht zu den stärksten Eingebungen Strawinskys gehört.

Selbst ein Spitzenorchester, wie die Berliner Philharmoniker, muss eine solche Sinfonie mit größter Konzentration realisieren. Da ist kein Platz für Routine. Dafür wäre Kirill Petrenko auch der falsche Mann. Mit unerschütterlicher Energie befeuerte er sein Orchester und führte es mit klarster Gestik durch die so fordernde Partitur. Kein Detail blieb ihm verborgen. Stets betont im Rhythmus achtete Petrenko auf maximale Durchsichtigkeit. Bereits hier setzten die fabelhaften Philharmoniker alle Energien frei und musizierten auf der Stuhlkante. Die Virtuosität und spielerische Klasse des Klangkörpers war an diesem Abend ein einzigartiges Erlebnis!

Knapp zehn Jahre nach der Uraufführung von Strawinskys Sinfonie, im Jahr 1955, veröffentlichte der Komponist Bernd Alois Zimmermann sein Ballett Alagoana

Zugrunde wurde ein Indianermythos gelegt, nach welchem der Mensch Unsterblichkeit zuerkannt bekommt. In der Begegnung von Mann und Frau tritt der Tod, woraus entsprechende Spannungsfelder resultieren.

Zimmermanns Musiksprache ist sehr expressiv und vielfarbig. Seine Klangsprache betont deutlich das rhythmische Element. Interessant sind auch hier seine Anklänge an Strawinskys „Sacre“. Wie so oft bei Zimmermann gibt es vielfältige Schlagzeugeffekte

Die Berliner Philharmoniker nutzten auch hier die Gelegenheit bestens, ihre spielerische Kompetenz staunenswert virtuos dem Zuhörer nahe zu bringen. Petrenko tanzte auf dem Pult fast seine ganze Energie aus. Daraus entstand eine Wechselwirkung, ein Spannungsfeld, welches mit Macht nach dem Publikum griff. Dieses reagierte mit anerkennender Begeisterung und war doch auch ob der komplexen Rhythmen, erkennbar erschlagen.

Die erste Konzerthälfte war anstrengend für Orchester und Publikum. Bei aller spielerischen Klasse wirkte dieser Programmteil eher unzugänglich und wenig einladend.

Nach der Pause erklangen dann die Symphonischen Tänze von Sergej Rachmaninov, entstanden im Jahr 1940. Das finale Werk des russischen Komponisten. Rachmaninov hielt es für seine beste Komposition. Ursprünglich war dieses Werk als Programmmusik unter dem Titel „Fantastische Tänze“ angedacht. Und die drei Sätze waren betitelt mit „Mittag, Sonnenuntergang und Mitternacht“.

Kirill Petrenko spürte auch hier mit größter Akribie den Strukturen nach und betonte vor allem die Nebenstimmen.

Und doch ertönte das berühmte Hauptthema des einleitenden c-moll Allegros markant und beeindruckend wuchtig. Sehr gut gestaltete Petrenko mit leiser Ironie den Walzer des Andante con moto im zweiten Satz. Hier gab er der melodischen Linie einen breiten Verlauf.

Explosiv und furios zugleich die vielen Steigerungen im beschließenden Allegro vivace. Nach einer furiosen Steigerung am Ende ein lang gezogener Ton, gleich einer Klanginsel, auf dem Tam-Tam!

Mit größter Perfektion überzeugten die Berliner Philharmoniker. So wurden die vielen Soli, z.B. Violine und Klarinette hinreißend dargeboten. Einfühlsam mit sicherer Intonation auch die Verwendung des Saxophons. Ein besonderes Klangerlebnis bot die Streichergruppe mit ihrem so satten, homogenen Klang, der dynamisch gesteigert wurder. Dazu kamen die grandiosen Blechbläser und die ebenso hier stark geforderten, superben Schlagzeuger.

Und doch, die Berliner Philharmoniker, diese große Gruppe an Individualisten, strahlten in ihren Gesichtern keine Spielfreude aus. Von den immer wieder zitierten Glücksgefühlen der Musiker für ihren neuen Chefdirigenten war visuell nichts zu bemerken. Kaum ein Musiker schaute nach Petrenko. Eine wirkliche Interaktion zwischen Dirigent und Orchester war nicht festzustellen.

Was bleibt, ist ein sehr ambivalenter Konzerteindruck mit einem Weltklasse Orchester, das an diesem Abend spielerisch überwältigte. Dazu ein Dirigent, der sich noch den Erwartungen des Konzertbetriebes verweigert. Mit Programmen dieser Art, wird sich ein breites Publikum nicht begnügen, da es nicht zur Identifikation mit den Ausführenden taugt. Ob das auf Dauer gut gehen wird, ist eine der zentralen Fragen für dieses herrliche Orchester und dessen Zukunft.

Das Publikum feierte mit Erleichterung vor allem diesen Konzertbeitrag mit größter Begeisterung. Aber auch hier: Petrenko verweigert eine Dankesgeste in Form einer Zugabe. Spätestens hier wäre eine Steilvorlage gewesen, die Philharmoniker ein Stück ihres Kernrepertoires spielen zu lassen.

Dirk Schauß 21. Februar 2020

Bilder (c) Alte Oper