Frankfurt: London Symphony Orchestra feat. Truls Mork

London Symphony Orchestra

John Eliot Gardiner (Leitung), Truls Mork (Cello)

Antonin Dvorak
Cellokonzert h-moll op. 104

Josef Suk
Asrael-Symphonie c-moll op. 27

Gleich mehrere Male ist in dieser Saison das traditionsreiche London Symphony Orchestra (LSO) zu Gast in der Alten Oper Frankfurt. Am Pult zeigte sich mit Sir John Eliot Gardiner ein Pionier der sog. „Alten Musik“ – Bewegung, diesmal im Repertoire der Spätromantik.

Zu Beginn erlebten die Zuhörer eines der bekanntesten und beliebtesten Cellokonzerte der gesamten Konzertliteratur. Antonin Dvorak schrieb dieses Meisterwerk in den Jahren 1894/1895. Erst im folgenden Jahr 1896 fand die Uraufführung in London statt. Das Genie Dvoraks fasziniert immer wieder in seiner unendlichen Fülle melodischer Einfälle. Dies erstaunt umso mehr, weil der große tschechische Meisterkomponist viele familiäre Schicksalsschläge hinzunehmen hatte.

Der einleitende Allegro-Teil gab dem LSO Gelegenheit, seine herausragende Klangqualität, vor allem in den Streichen zu demonstrieren. Aber auch die zahlreichen Soli-Beiträge gerieten bestechend, etwa der warme Tonfall des Solo-Horns oder der strahlende Klang der Solo-Trompete. Und ein derart substanzreiches und doch ungemein leise dargebotenes Pianissimo der Tuba, wie z.B. im zweiten Satz, dürfte äußerst selten vorkommen.

Unter Leitung von Sir John Eliot Gardiner wurde der besondere Reiz der Komposition bewegend ausgebreitet. Gardiner übernahm dabei jedoch zu sehr die Rolle des reinen Begleiters. Er achtete auf eine vorzügliche dynamische Balance und vermied dabei zu sehr Gelegenheiten, besondere interpretatorische Akzente zu setzen. An einem aktiven Dialog mit seinem herausragenden Solisten zeigte er wenig Interesse. Ein großes, schmerzliches Versäumnis.

Denn Solist Truls Mols verschmolz mit jeder Note, in jedem Akkord zeigte er sein spielerisches Können. Sensibel intonierte Phrasierungen in klarer dynamischer Abwägung gaben seinem Spiel allergrößte Eindringlichkeit. Mit lebhaftem Vibrato agierte er mit seinem Cello in unendlichen Farben.

Wunderbar ertönte dann das mit weit gefasster Ruhe vorgetragene Adagio. Mols spielte hier auf seinem Cello in den wärmsten Klangfarben, im Wechselspiel mit herrlichen Schattierungen der Solo-Klarinette! Tönender Gesang in großer Innigkeit war hier zu erleben. Großartig auch sein Dialog mit dem fabelhaften Konzertmeister, der an diesem Abend immer wieder mit seinen Soli für sich einnahm.

In dem abschließenden Allegro moderato dominierte dann die große Virtuosität. In mitreißender Spiellaune zeigte Solist Truls Mols auch als Virtuose seine herausragende solistische Kompetenz. Das gewaltiges Schluss-Crescendo verfehlt selten seine Wirkung. Leider verschenkte Gardiner diesen besonderen Moment durch ein zu braves, dem Understatement verhaftestes Orchesterspiel. Sehr bedauerlich, weil das London Symphony Orchestra eine Spitzenleistung bot. Das Publikum reagierte berechtigt begeistert für den außergewöhnlichen Solisten!

Mork bedankte sich mit einer poetisch anmutenden Zugabe.

Nach der Pause gab es eine Rarität zu erleben. Die selten gespielte „Asrael-Symphonie“ von Josef Suk. Suk war der Schwiegersohn von Antonin Dvorak und verarbeitete in diesem gewaltigen Werk den Tod seines Schwiegervaters als auch den seiner Frau Ottilie.

Eine Symphonie, die den Tod, in Gestalt des Todesengels Asrael in den Mittelpunkt stellt. Suk begann im Jahr 1905 mit der Komposition, nachdem Dvorak wenige Monate zuvor gestorben war. Ursprünglich war Suks Werk als Rückblende auf Dvoraks Leben geplant. Als dann während des Komponierens Suks Frau Ottilie starb, verbannte er nahezu alles Optimistische aus dieser Komposition. So erlebt der Zuhörer ein Psychogram, ja fast schon eine musikalische Selbst-Therapierung. Denn Suk erwähnte, dass ihn seine Musik, jener Schaffensprozess gerettet habe.

Am 04. Oktober 1906 wurde das Werk uraufgeführt. Dem Andenken an Antonin Dvorak und Ottilie gewidmet. Vor allem die beiden letzten Sätze stehen im engen Kontext zu Ottilie.

Die groß angelegte Symphonie besteht aus fünf Sätzen und bedient sich einer ganz eigenen Tonsprache, die so gar nicht mit jener von Dvorak zu vergleichen ist. Schroff, düster und sehr unzugänglich wirken vor allem die ersten beiden Sätze. Selten ist eine spätromantische Musik derart zergrübelt und unentschieden. Viele harmonische Reibungen sind in polyphoner Ausgestaltung zu erleben. Und dann ereignet sich in dieser gut einstündigen Symphonie etwas, was ungewöhnlich und besonders anmutet. Bereits im „Vivace“ des dritten Satzes, aber vor allem in den beiden beschließenden Adagio-Sätzen gelangt etwas Licht in die unendliche Düsternis dieser Symphonie. Choralartige Färbungen ergeben ein Bild des Trostes und ertönen im besonderen Reiz. Und doch: dieser Musik fehlt eine melodische Linie, eine erinnerungswürdige Phrase. Permanent mäandert diese schwerfällige Musik umher, ohne einen melodischen Zielpunkt zu finden. Hierzu wird ein riesiges Orchester aufgeboten, was dann vielerlei dynamisches Spektakel veranstalten darf. Für das Orchester und die Zuhörer war dies Schwerstarbeit. Zunehmende Unruhe im Publikum und auch einige Abgänge während der Aufführung zeigten, dass diese Musik es schwer hat, ein Publikum zu erorbern.

Es war deutlich, wie sehr es Sir John Eliot Gardiner eine Herzensangelegenheit war, diese Musik zu würdigen. Das London Symphony Orchestra war dabei immens gefordert. Die Streichergruppe leistete unermüdliche Schwerstarbeit und gefiel durch ihren kultivierten warmen Ton. Außergewöhnlich komplexe Abschnitte für Holz- und Blechbläser wurden großartig realisiert. Und in den verschiedenen Soli-Beiträgen zeigte das LSO die hohe Qualität seiner Orchester-Mitglieder.

Kein einfaches Werk, weder für Orchester, noch für das Publikum. Dieses benötigte einige Zeit der Besinnung, um das Erlebte zu verarbeiten.

Danach kurze, anerkennende Begeisterung.

Dirk Schauß, 29.10.2019

© Alte Oper Frankfurt, Wonge Bergmann

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