Frankfurt: hr-Sinfonieorchester & Carlos Miguel Prieto

featuring Martin Fröst (Klarinette)

Dmitrij Schostakowitsch
Suite aus der Oper »Lady Macbeth von Mzensk«

Claude Debussy
Rhapsodie Nr. 1 für Klarinette und Orchester

Anders Hillborg
Klarinettenkonzert »Peacock Tales«

Piotr Iljitsch Tschaikowsky
Sinfonie Nr. 4 f-Moll op. 36

Kontraste!

Welch Fülle an Kontrasten! So mag es vielleicht dem ein oder anderen Konzertbesucher ergangen sein, als er beim jüngsten Konzert des HR-Sinfonieorchesters zu Gast war. In einem ungewöhnlichen Konzertabend begann der Abend mit einer Orchestersuite aus der Originalfassung der Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ von Dmitrij Schostakowitsch, die der Dirigent James Conlon 1989 zusammenstellte. Die 1934 uraufgeführte Oper war zunächst ein gewaltiger Erfolg. Bis zum dem Tage als Stalin 1936 einer Aufführung im Moskauer Bolschoi Theater beiwohnte. Wenige Tage nach dieser Aufführung verfasste er den in die Musikgeschichte eingegangen Verriss „Chaos statt Musik“. Beinahe hätte diese drastische Reaktion des Despoten das Schicksal des Komponisten besiegelt. Er musste Abbitte leisten und u.a. unter dem Titel „Katerina Ismailowa“ eine entschärfte Version komponieren. Die Ur-Fassung blieb für viele Jahrzehnte verboten. Es war das entschiedene Engagement von Mstislav Rostropovitsch, der sich in den 1970ziger Jahre für die Wiederaufführung der Ur-Fassung einsetzte. Seither zählt Schostakowitschs Oper zu den Meilensteinen der Opern des 20. Jahrhunderts.

Im Mittelpunkt der Handlung steht die sexuell frustrierte Kaufmannsgattin Katerina Ismailowa, die an der Seite ihres impotenten Gatten Sinowi und dessen brutalen Vaters Boris ein entbehrungsreiches Leben fristet. Ihr Leben ändert sich drastisch, als sie sich auf eine Liaison mit dem Arbeiter Sergej einlässt. Der verhasste Schwiegervater wird vergiftet, der Ehemann erschlagen und die Liebenden wandern in ein sibirisches Arbeitslager. Dort gibt sich Sergej einer Lagerhure hin. Katerina wird sie und sich selbst ermorden.

Viel Raum also für musikalische Drastik, die in der Musik Schostakowitschs zu umwerfender Wirkung kommt. Die dynamischen Extreme sind deutlichst ausgereizt: vom melodiösen Pianissimo bis zum ohrenbetäubenden Fortissimo! Dazu eine ungemein deskriptive Musik, die z.B. jede körperliche Aktivität des vollzogenen Ehebruchs en detail musikalisch beschreibt.

Gleich zu Anfang des Konzertes wurde das HR-Sinfonieorchester mit allen Kräften bis zum Anschlag gefordert. Unter Leitung des mexikanischen Gast-Dirigenten Carlos Miguel Prieto reizte das sehr gut einstudierte Orchester alle Farben dieser vielschichtigen Partitur überzeugend aus. Virtuose Blech- und Schlagzeugattacken auf der einen Seite und bewegende, sehrende Streicherklänge auf der anderen Seite. Dazu sarkastisch agierende Holzbläser. Prieto reizte die dynamische Palette niemals endlos aus, sondern war erkennbar um Struktur und Druchhörbarkeit bemüht. Das heftig geforderte HR-Sinfonieorchester zeigte eine große Leistung.

Vom musikalischen Expressionismus kann es kaum einen größeren Kontrast geben, als zum feingliedrigen Impressionismus von Claude Debussy zu wechseln! Dessen Rhapsodie Nr. 1 für Klarinette und Orchester brachte mit dem Solisten Martin Fröst einen versierten Interpreten, der sensibel die Klangwelt Debussys beschwor. Sanft und weich, wie aus dem Nichts kamen die Klangeinwürfe des Solisten. Überzeugend aber genauso die überragende Virtuosität, die Frösts Vortrag ebenso kennzeichnete. Das ursprünglich für Klavier und Klarinette komponierte Werk wurde von Debussy in einer Bearbeitung für Orchester 1911 veröffentlicht. Fröst und das HR-Sinfonieorchester agierten in einem sensiblen Dialog miteinander und sorgten so für einen sehr besonderen Farbwechsel in der ersten Konzerthälfte.

Danach erklang dann das Klarinettenkonzert „Peacock Tales“ des schwedischen Komponisten Anders Hillborg. Uraufgeführt 1998 widmete er dieses Konzert dem Solisten des Abends, der es sich nicht nehmen ließ, daraus eine besondere Performance zu machen. Fröst, der auch ausgebildeter Ballettänzer ist, stellte sich ganzheitlich, d.h. tanzend, pantomimisch, z.T. maskiert und musizierend in den Dienst des Konzertes, agierte die zwischen Diatonik und A-Tonalität umher tänzelnde Musik komplett aus. Unfassbar groß die dynamischen Effekte, die er mit seiner Klarinette erzielte. Das hellwache HR-Sinfonieorchester war sehr aufmerksam und überraschte am Ende als sauber intonierendes Gesangskollektiv! Dazu wurde das Orchesterpodium immer wieder in wechselnde Farbstimmungen beleuchtet. Ein ungewöhnliches Experiment im Rahmen eines klassischen Konzertes, das beim Publikum besonderen Anklang fand! Bejubelt dann die Zugabe, die Martin Fröst mit dem Orchester gemeinsam gab. Eine Improvisation mit vielen Klezmer-Musikanteilen. Große Begeisterung!

Ganz anders der finale Schlusspunkt mit einer der beliebtesten Sinfonien der russischen Konzertliteratur: Tschaikowsky‘s Sinfonie Nr. 4 in f-moll. Diese Sinfonie widmete er 1877 seiner amikalen Gönnerin Nadeshda von Meck. Sie gilt als eine seiner autobiographischsten Sinfonien und wurde 1878 in Moskau unter dem Dirigat von Nikolai Rubinstein uraufgeführt.

Gleich zu Beginn des ersten Satzes markierten die makellos intonierenden Hörner mit dem unbarmherzigen Schicksalsmotiv ein musikalisches Ausrufezeichen. Dirigent Prieto zielte in seiner Interpretation vor allem auf die musikalische Struktur, betonte den Gesamtklang immer zugunsten der Streicher. Markante Akzente oder starke dynamische Effekte blieben ausgespart. Es war eine zuweilen etwas nüchterne Lesart, die seine Interpretation kennzeichnete. Pathos und Bombast wurden vermieden, so dass es hier einen eher schlank musizierten Tschaikowsky zu erleben gab, der im Tempo immer im Vorwärtsdrang zu hören war.

Überzeugend das Zusammenspiel der gesamten Streichergruppe, ein Genuss. Sensibel empfunden die Dialoge der Holzbläser, vor allem Klarinette und Fagott. Ausgezeichnet und ungemein ausdauernd in der makellosen Intonation die viel geforderten Blechbläser. Im vierten Satz hatten dann auch die präzisen Schlagzeuger ihren besonderen Augenblick.

Prieto, völlig uneitel in seiner Körpersprache, oft auch, wie ein menschliches Metronom taktierend, überzeugte mit seiner auf Klarheit abzielenden Darbietung das groß aufspielende Orchester. Ein gediegene Interpretation, völlig unspektakulär, auf hohem spielerischem Niveau realisiert. Das Publikum in der gut besuchten Alten Oper reagierte freundlich angetan, wenn auch der große Enthusiasmus ausblieb.

Dirk Schauss 28.2.2019