Köln: Kosmisches Roadmovie

Gürzenich-Orchester: Francois-Xavier Roth

In den Programmheften des Gürzenich-Orchesters gibt es auf der ersten Seiten stets ein Essay „Das Konzert auf einen Blick“. Dort werden die zur Aufführung anstehenden Werke in Beziehung zueinander gesetzt. Ein musikalisches Programm sollte Kompositionen ja generell dramaturgisch sinnvoll verknüpfen. Dieses Mal gewann man den Eindruck, daß die Verbindungslinien etwas mühsam herbeigeredet wurden, was die zugegeben klugen Formulierungen freilich zu kaschieren versuchten.

Die unter Francois-Xavier Roth diesmal aufgeführten Werke waren von Robert Schumann das Cellokonzert und die vierte Sinfonie sowie „Inscape“ von Hèctor Parra als Deutsche Erstaufführung (Premiere war am 19.5. in Barcelona). Das Stück wurde u.a. vom Gürzenich-Orchester in Auftrag gegeben, wobei allerdings Roth die treibende Kraft gewesen sein dürfte. Bei ihm stehen ja häufiger Novitäten an, mitunter im Rahmen einer besonderen Kontaktpflege wie die zum Komponisten Philippe Manoury. Parra, von dem das jetzt zu hörende „kosmische Roadmovie“ stammt, arbeitet am musikalischen Forschungszentrum IRCAM in Paris, welches 1978, zwei Jahre nach seiner Geburt, von Pierre Boulez gegründet wurde. Wenn in der Partitur Formulierungen wie „Aussendung von Gravitationswellen“ oder „Ballett der zwei Schwarzen Löcher“ auftauchen, dürfte klar sein, daß es sich bei dem halbstündigen galaktischen Werk nicht etwa um eine Variante von Gustav Holsts tonmalerischen „Planeten“ handelt, sondern um eine „Reise ins Innere“, um den englischen Titel „Inscape“ zu übersetzen.

Um seine Klangvorstellungen zu verwirklichen, verlangt Parra ein großes Orchester, vor dem noch ein kleines Instrumentalensemble (drei Holzbläser, fünf Streicher) plaziert ist. Weiterhin sind im Saal noch zwei Duo-Formationen und viele Lautsprecher verteilt, aus welchen elektronische Geräusche schallen, die im IRCAM vorproduziert wurden. Das führt immer wieder zu eindrucksvollen akustischen Wirkungen, wobei die Vorstellung des grenzenlosen Universums die Fantasie des Hörers zusätzlich beflügeln dürfte. Über die musikalische Substanz von „Inscape“ wird man aber wohl unterschiedlich befinden.

Das Publikum des mittleren der drei Abo-Konzerte reagierte begeistert, wobei die Gründe für solchen Enthusiasmus freilich kritisch zu hinterfragen wären. Vieles in der oft sehr lärmigen Musik wirkt etwas selbstzweckhaft. Und wenn von der Harfe und dem mit einem Violinbogen gestrichenen hängenden Becken so gar nichts zu hören ist, bekommt auch die Instrumentationsmasse etwas Fragwürdiges. Die Gürzenich-Musiker engagierten sich mächtig, vehement angetrieben von Francois-Xavier Roth, welcher die Klangstrukturen von „Inscape“ klar vermittelte und für optimalen rhythmischen Zusammenhalt sorgte. Die Repertoirefähigkeit des Werkes bleibt abzuwarten.

Doch zugegeben: dies war einst auch die Frage bei den Schumann-Kompositionen. Beide setzten sich nicht auf Anhieb durch, die Premiere des Cellokonzertes fand sogar erst posthum in der Provinz (Oldenburg) statt. Die Sinfonie wiederum faßte erst nach einer Revision Fuß im Konzertsaal. Roth wählte die Erstfassung von 1841, für die sich auch ein Kurt Masur oder Nikolaus Harnoncourt stark gemacht haben. Die Änderungen sind teilweise auf Anhieb erkennbar. Daß sie wirklich einen „spontaneren, ungeglätteten“ Ausdruck bewirken, möchte man beim ersten Hören nicht unbedingt bestätigen. Immerhin regt Roths Wahl zur Auseinandersetzung an.

An seiner stringenten, pulsierenden Interpretation gab es jedoch keinen Zweifel. Die drängenden Tempi verwischten aber nicht die artikulatorische Klarheit. Interessant und wirkungsvoll die überraschenden Ritardandi im Scherzo. Zu Beginn des Introduktionssatzes gingen kurz die Fagotte in melodische Führung. So wurde man noch einmal auf Klaus Lohrer aufmerksam, der nach 42 Jahren im Gürzenich-Orchester in Pension geht. Aber die Musik wird weiterhin sein Leben bestimmen.

Die Begleitung des Cellokonzertes wirkte nicht immer ganz ausgewogen. Teilweise mochte das damit zusammenhängen, daß der Norweger Truls Mork generell nicht so phonstark agiert wie früher ein Mstislaw Rostropowitsch, auch wenn es ihm an Tonkraft und Elan nicht fehlt. Sein eher verinnerlichtes Spiel wirkte im langsamen Mittelsatz somit besonders überzeugend, und Roth ging mit dem Orchester über weiteste Strecken auf Morks Sensibilität rücksichtsvoll ein.

Foto (c) Philharmonie Köln

Christoph Zimmermann 18.12.2018