Köln: Bezwingende Programmwahl

Solisten, KölnChor, Rheinischer Kammerchor: Wolfgang Siegenbrink

Für das jüngste Kölner Chorkonzert hatten sich KölnChor, Rheinischer Kammerchor und ihr beider Dirigent Wolfgang Siegenbrink ein ungewöhnliches, attraktives Programm ausgedacht. Das Hauptwerk des Abends, Carl Orffs „Carmina Burana“, reflektiert das Glücksrad des Lebens, wie es auf Illustrationen im Kloster Benediktbeuren dargestellt ist. Für den Vorpausenteil wählte man als Leitmotiv das oberste Segment dieses Rades: „Regno“ – „Ich herrsche“. Diese Worte sind – heute zumal – weltweit unterschiedlich deutbar. Im British Empire mit der dienstältesten Königin aller Zeiten eignet ihnen eine besonders patriotische Note. Das spiegelte die Werkwahl: Hubert Parrys „I was glad“, Thomas Arnes „Rule Britannia“ sowie Edward Elgars „Coronation Ode“.

Eine Zeit lang galt die Behauptung, der Mangel an bedeutenden englischen Komponisten seit Henry Purcell sei erst durch Benjamin Britten aufgehoben worden. Doch auch Arne und Parry sind als eindrucksvolle Namensstationen anzusehen, und über die immense Bedeutung von Elgar herrscht heute längst kein Zweifel mehr. Das Cellokonzert, die Enigma-Variationen oder auch das Oratorium „Der Traum des Gerontius“ sind zu Stützpfeilern des internationalen Repertoires geworden. In die Herzen seiner Landsleute hat er sich aber vor allem (und wohl auch etwas einseitig) mit „Land of hope and glory“ eingeschrieben.

Die Melodie mit ihren Sekundschritten ist nicht eigentlich spektakulär zu nennen, besitzt aber emotionale Stärke, natürlich auch durch die Anbindung an einen hochgestimmten Text. Man muß sich nur die „Last night oft the Proms“ in der Londoner Royal Albert Hall vor Augen führen, um die nachgerade narkotische Wirkung auf die Zuhörer zu erkennen. Ganz England scheint an solch einem Abend auf den Beinen – im Fernsehen erlebt man auch die Publikumsreaktionen im Hyde Park, im Singleton Park Swansea oder auch beim Castle Cole Enniskillen. Da borden Gefühle einfach über. Ein wenig davon war auch in der Kölner Philharmonie zu spüren, als „Pomp and circumstance Nr. 1“ als (rhythmisch leicht verhedderte) Zuhabe erklang, wo „Land of hope and glory“ ja den krönenden Abschluß bildet. Wolfgang Siegenbrink forderte ausdrücklich zum Mitsingen auf.

Elgar war sich der Wirkung seiner musikalischen Eingebung fraglos bewußt, denn in der „Coronation Ode“ wird die Melodie bereits in der dritten Strophe der Introduktionsnummer intoniert, welche den Frieden besingt. Das Publikum reagierte mit verfrühtem Beifall, was den Dirigenten zu einer kurzen, freundlichen Ansprache an das Auditorium bewog, eine bislang noch nie erlebte Maßnahme. Sie zeigte jedoch, daß für das Musikhören auch eine gewisse Etikette zu fordern ist. Aber für die (vermutlich auch stark familiäre) Hochstimmung muß man auch wieder Verständnis aufbringen. Und sie galt sicher auch den kernig intonierenden Chören, welche das Werk, durchgehend souverän unterstützt vom Staatsorchester Rheinische Philharmonie, kompetent zum Besten gaben. Siegenbrink erwies sich als animierender, versiert steuernder Pultmatador.

Die Werke von Parry und Arne gelten kompositorisch nicht unbedingt als bedeutend. Aber diese Einschätzung hat sich im Laufe der Zeit modifiziert, wobei die Phonoindustrie vielfach ihre Hände im Spiel hat. So ist das CD-Repertoire von Parry im Moment ausgesprochen umfangreich. Auswirkungen auf das öffentliche Konzertleben sind damit aber nicht unbedingt verbunden. Arnes Wirken wiederum wurde zu seiner Zeit nicht wenig von der Londoner Präsenz Georg Friedrich Händels beeinträchtigt. Aber „Rule Britannia“ – Schlußgesang seiner Oper „Masque of Alfred“ – ist in den Herzen der Engländer fest verankert. Es handelt sich um ein Chortableau von vier Strophen mit nachfolgenden Refrains. Die Soli nahm Agnes Lipka mit ihrem ausgesprochen klangvollen Sopran wahr.

In Orffs „Carmina Burana“ verbinden sich melodische Einfachheit und orchestrale Raffinesse, wobei der Wiederholungscharakter vieler Nummern von Orff bewußt anvisiert wurde. Die Instrumentation ist schlagkräftig, raffiniert, farbig und suggestiv. Die beiden anderen Teile des Triptychons – „Catulli Carmina“ und „Trionfi di Afrodite“ – können da nicht mithalten. Dennoch sollte man den Dreiteiler durchaus einmal ins Auge fassen. Sicher läßt sich eine noch schlagkräftigere und klangraffiniertere Widergabe der „Carmina“ vorstellen, als sie sie unter Wolfgang Siegenbrink offeriert wurde. Aber alleine die Probenzeit mit dem Gastorchester dürfte eine limitierte gewesen sein. Ungeachtet kleinerer Mängel: Orffs Musik kam zu ihrem Recht und bestach einmal mehr durch ihre unglaubliche Vitalität.

Agnes Lipka erfreute neuerlich ihrem attraktiven Sopran (bei leichten Höhengrenzen im zweiten „Dulcissime“). Nach seinen schönstimmigen Soli bei Elgars „Coronation Ode“ hatte Bernhard Schneider jetzt nur eine kurze Szene. Die Klage des in der Pfanne brutzelnden Schwanes erfordert Falsett-Versiertheit; da fehlte es dem Sänger ein wenig an entsprechender Kondition. Dem tenoral gefärbten Bariton von Christoph Scheeben wäre mitunter etwas mehr Volumen zu wünschen gewesen, doch in toto bot er eine überzeugende Leistung. Lediglich bei Elgar war die Altistin Rena Kleifeld mit von der Partie und erfreute mit ihrem wohlgerundeten, ausdrucksvollen Organ. Bei Orff wirkte noch der Oberstufenchor des Kölner Hans-Gymnasiums mit.

Christoph Zimmermann (10.6.2018)