Köln: Passionskonzert des Gürzenich-Orchesters

Bejun Mehta (Countertenor)

ChorWerk Ruhr, Nicolas Collon

Meditativ gestimmtes Publikum

Die Philharmonie hat es geschafft, die vorösterliche Zeit mit passionsnahen Veranstaltungen termindicht auszufüllen. Bachs Johannes-Passion unter Philippe Herreweghe war, mit dem Aufführungsdatum etwas zurückliegend, eine Art „Vorspiel“, wurde dann am Karsamstag abgerundet mit der Matthäus-Passion (Kölner Kammerorchester: Christoph Poppen). Am Gründonnerstag bot zu vorgerückter Stunde und bei (elektrischem) Kerzenschein das Ensemble Arte Musica das Programm „Tenebrae Responsoria“ mit Werken von Carlo Gesualdo. Den Karfreitag wiederum besetzte das Gürzenich-Orchester mit einem Passionskonzert, dem ersten des Klangkörpers, wenn die Erinnerung nicht täuscht. Vielleicht war bereits dieses Konzert eine alleinige Idee von Nicholas Collon, dem ersten Gastdirigenten des Klangkörpers (Rezension seines letzten Auftritts im Februar gleich unten). Auf jeden Fall aber entsprach die Werkwahl seinem ausdrücklichen Wunsch. Während der Nachpausenteil vollständige Werke enthielt (ein kurzes und ein langes), gestaltete Collon zuvor eine Art Passions-Pasticcio, von zwei Ausschnitten aus Joseph Haydns „Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze“ nachdrücklich markiert.

Obwohl im Titel von „Worten“ die Rede ist, handelt es sich bei dieser Komposition um ein reines Instrumentalwerk, deren (natürlich sieben) Teile von Haydn als Sonaten bezeichnet sind. Der Introduktionssatz beinhaltet Jesus‘ Anrufung „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun“, eine sinnvolle Einleitung für den Abend. In der Folge bot das Programm allerdings nicht eine chronologische Abfolge des Kreuzigungsgeschehens, wohl aber Rückgriffe auf einzelne Situationen, auch noch einmal mit Haydns Musik. Gegenüber der etwas pathetischen Introduktion bietet das „Sitio“ („Mich dürstet“) sanfte Geigenschwingungen zu Pizzicato-Begleitung im Pianissimo. Diese „abgehobene“ Sphäre wird dann freilich unterbrochen von rabiaten Orchesterschlägen, welche den körperlichen Schmerz des am Kreuz leidenden Gottessohnes schildern. Das Gürzenich-Orchester ließ sich von Collon zu differenzierter Klangentfaltung animieren.

Die Ausschnitte aus Werken Johann Sebastian Bachs waren sicher auch auf den Gesangssolisten des Abends, Bejun Mehta, zugeschnitten, allerdings nicht vordergründig. Die Texte der Kantate „Widerstehe doch der Sünde“ (BWV 54) hatten mit dem Thema des Abends nur peripher zu tun, waren mehr allgemeine Warnung davor, sich Gottes Geboten zu verweigern. Seine beiden, durch ein Rezitativ getrennten Arien gestaltete Bejun Mehtas eminent kerniger Altus mit großen vokalen Dimensionen, wobei die stark geforderte Tiefe (fast schon untere Tenorlage) bruchlos bewältigt wurde. Beeindruckend der vehemente Affektausdruck des Sängers.

Das „Es ist vollbracht“ aus der Johannes-Passion forderte die Sopranregionen von Mehtas Stimme heraus. Sie wurden sicher bewältigt, doch vielleicht nicht ganz so souverän, wie man sie sich beispielsweise von einem Philippe Jaroussky vorgetragen vorstellen könnte. Doch ist dies kein gravierender Einwand, sondern ein – möglicherweise überempfindliches – Abwägen.

Bei der Sinfonia der Bach-Kantate „Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen“ (BWV 12) trat der von Sebastian Breuing einstudierte ChorWerk Ruhr nur relativ kurz in Erscheinung. Die große Stunde für dieses außerordentliche Vokalensemble schlug dann nach der Pause bei Antonio Lottis „Crucifixus etiam pro nobis“. Die harmonischen Wagnisse der Komposition können es mit denen von Carlo Gesualdo („Tenebrae“ am Donnerstag) ohne weiteres aufnehmen. Bei dieser A-Cappella-Motette bewunderte man die exzellente Intonationssicherheit und Stilversiertheit des Chores. Um noch mindestens einen Schwierigkeitsgrad höher waren die Ansprüche bei „Seven last words from the cross“ von James Macmillan (Jahrgang 1959), besonders für die in der Höhe extrem geforderten Soprane. Obwohl das Werk (Uraufführung 1994 in Glasgow) häufig an krass-dissonante Grenzen gerät, wagt die Musik immer wieder auch impressionistisch tonale Wendungen. In der Korrespondenz dieser Stile liegt die Eigenart und Suggestivität dieser Kantate begründet, welche auch dann überredet, wenn sich die Ohren zunächst vielleicht etwas sträuben mögen. Nicolas Collon führte den Chor sicher durch das Werk und entlockte dem Gürzenich-Orchester selbst extremste Klangfarben und Spielweisen mit dirigentischer Souveränität.

Der Bach-Coral „Wenn ich einmal soll scheiden“ beendete den Abend, welchen das Publikum meditativ gestimmt verfolgte, ohne dann am Schluss mit Beifall zu geizen. Für die abgehenden Soprane brandete er noch einmal gesondert auf.

Bilder (c) Jim Hinson, Josep Molinam / Philharmonie Köln

Christoph Zimmermann 31.3.2018