Köln: Kammerorchester, Thomas Gould

Einspringer aus England

„Mit Bach ins Neue Jahr“ ist eine lockende, verlockende Konzertüberschrift. So nahm die gut gefüllte Philharmonie beim jüngsten Auftritt des Kölner Kammerorchesters (KKO) nicht wunder. Das auf Bach Vater und Söhne konzentrierte Programm hätte auch in den Zeiten von Helmut Müller-Brühl stattfinden können. Der jetzige Chefdirigent des Orchesters, Christoph Poppen, weiß um die damit vielfach verbundenen traditionellen Erwartungen des Publikums, willfährt ihnen auch. Aber er erweitert Grenzen, manchmal durch Werke der Nach-Barock-Zeit oder auch durch ungewohnte Besetzungen, wie es in Bälde bei der „Matthäus-Passion“ der Fall sein wird. Mit Joseph Haydns „Der Apotheker“ wird Mitte Februar erstmals die Aufführung einer Oper gewagt, sogar halbszenisch, wie es in der Vorankündigung heißt. Ein definitiver Brückenschlag ins 19. Jahrhundert erfolgt dann Anfang Juni: Haydn-Sinfonie, Beethovens Violinkonzert und Mendelssohns „Melusinen“-Ouvertüre. Ein festliches Benefizkonzert zugunsten des Orchesters findet mit überaus prominenten Solisten am 11. März statt. Auch hier ein weit gespanntes Programm.

Für diesmal aber ausschließlich Bach. Bedauerlicherweise ohne den vorgesehenen Geiger José Maria Blumenschein, welcher nach vielen Konzertmeister-Jahren beim WDR Sinfonieorchester zu den Wiener Philharmonikern wechselte. Über die Gründe seiner Absage war nichts in Erfahrung zu bringen, doch gibt es folgende Meldung auf www.news.at: „José Maria Blumenschein, der erst im Herbst 2016 sein Amt als Konzertmeister der Wiener Philharmoniker angetreten hat, verlässt das Elite-Orchester bereits 2018. Aus informierter Quelle ist zu hören, Blumenscheins Entscheidung habe mit Überlastung und internen Problemen zu tun: Innerhalb des Orchesters gibt es Stimmen, die das Amt zwecks Pflege des „Wiener Klangs“ aus den eigenen Reihen besetzen möchten.“ Beim Neujahrskonzert hatte man Blumenschein noch in seiner aktuellen „Rolle“ erleben können.

Für das Kölner Konzert wurde ersatzweise Thomas Gould gewonnen, offenbar so rechtzeitig, dass – wie der Abend bewies – ein Musizieren wie mit gemeinsamem Atmen zustande kam. Der junge Engländer ist Violinist und Dirigent zugleich, sein Repertoire reicht bis in die Jetztzeit. Er spielt auf historischen Instrumenten, verfügt aber auch über eine sechssaitige elektronische Geige. Schlank und hoch gewachsen, ist er in seiner freundlichen Art von sehr einnehmendem Wesen, was sich auf den Konzertabend auswirkte

Viele Fingerzeige müssen bei Aufführungen von Barockmusik eigentlich nicht gegeben werden, angemessene Proben natürlich vorausgesetzt. Aber Tempi sind weitgehend genormt und werden von versierten Musikern quasi intuitiv umgesetzt. Die Mitglieder des KKO sind solche, wie immer wieder erlebt. Das leicht tänzerische Agieren von Thomas Gould hatte andererseits etwas sehr Belebendes.

Bei dem solistisch besetzten Brandenburgischen Konzert Nr. 6 (BWV 1051) wirkten u.a. Matthias Buchholz und Oren Shevlin mit, Künstler, welche häufig auch bei KammermusikKöln auftreten. Trotz aller Versiertheit wirkte die Interpretation etwas matt. Vielleicht fehlte Thomas Goulds sportives Temperament am Pult. Die Ouvertüre Nr. 1 BWV 1066, welche das Finale des Abends bildete, wirkte nämlich ungleich belebter, obwohl es keine überzogenen Tempi gab.

Von Carl Philipp Emanuel Bach hörte man u.a. das Cellokonzert Wq 172. Der Komponist hat die originale Cembalostimme eigenhändig transkribiert. Das Werk bietet sicher nicht nur starke Musik, freilich etliches Virtuosenfutter, welches Oren Shevlin, hauptamtlich beim WDR Sinfonieorchester tätig, auch bei den abenteuerlichsten Griffeskapaden keinerlei Schwierigkeiten bereitete. Das Publikum zeigte sich nachhaltig enthusiasmiert. Bei der finalen Ouvertüre verfügten sich Shevlin wie auch sein Kollege Buchholz wieder ins Ensemble.

Eine „Doppelrolle“ nahm auch Tom Owen ein, Oboist im Gürzenich-Orchester und bei KammermusikKöln besonders aktiv. Sein schwingender, schmeichelnder Ton erfreute bei Vater Bachs Doppelkonzert BWV 1060 (welches auch in einer Cembalo-Version existiert). Thomas Gould korrespondierte mit relativ zartbesaitetem Spiel, in welches einige wohl spontane Vibrati einflossen, die bei historisch informierter Spielweise ja eigentlich verpönt sind. Beide Solisten spielten oft Aug‘ in Aug‘.

Carl Philipp Emanuels Sinfonie Wq 179 als auch die seines Bruders Johann Christian mit der Opus-Zahl 6,6 ergänzten das Programm. Beide Werke lassen barocke Ausdruckstopoi hinter sich, die „fortschrittlichen“ Elemente gestalten sich indes unterschiedlich. Thomas Goulds Animation als Geiger wie als Dirigent unterstrich den Aufbruch in eine neue musikalische Welt.

Christoph Zimmermann (14.1.)

Bild (c) Philharmonie Köln